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Die empfundene Betroffenheit von Corona hängt mit Einstellungen zusammen

Corona
Grafik: Alexander Büssing, IDN

Im Rahmen der Eindämmungsmaßnahmen hat sich gezeigt, dass Menschen mit den gleichen wissenschaftlichen Daten wie den Inzidenzzahlen sehr unterschiedlich umgehen. Um die psychologischen Beweggründe der Einhaltung von Eindämmungsmaßnahmen zu untersuchen haben Forschende des Instituts für Didaktik der Naturwissenschaften (IDN) der Leibniz Universität Hannover und des Instituts für Biologiedidaktik an der Justus-Liebig-Universität Gießen den Faktor der empfundenen Betroffenheit mittels des Konstrukts der psychologischen Distanz untersucht. Dabei zeigten sich Zusammenhänge der psychologischen Distanz mit Einstellungen gegenüber den Eindämmungsmaßnahmen sowie dem Installieren einer Corona Warn-App. Zudem scheint sich die Betroffenheit auf den Zusammenhang von Wissen über die Pandemie und das Virus auf die Einstellungen auszuwirken.

Während bereits verschiedene relevante Faktoren für die Einschätzung von Eindämmungsmaßnahmen zur Corona-Pandemie untersucht wurden, ist der Faktor der gefühlten Betroffenheit bisher nur wenig verstanden. So wurden und werden zum gegenwärtigen Zeitpunkt in der Corona-Pandemie erstmals in großem Maße und täglich Inzidenzen untersucht und kommuniziert. Doch führen diese Zahlen dazu, dass sich Menschen stärker von der Pandemie betroffen fühlen, insbesondere durch die Zahlen in ihrem eigenen Landkreis (also der unmittelbaren Umgebung)? Und welche Auswirkungen hat diese gefühlte Betroffenheit für die Einstellungen und den Effekt des Wissens auf die Einstellungen gegenüber den Eindämmungsmaßnahmen? Um diese Fragen zu beantworten haben die Forschenden eine Online-Querschnittstudie mit 395 Personen (Durchschnittsalter von 32,3 Jahren) durchgeführt und dabei das Konstrukt der Psychologischen Distanz verwendet.

Die psychologische Distanz beschreibt die gefühlte Entfernung zu Objekten, Ereignissen, Personen oder Aktionen und ist nach Liberman & Trope durch vier Dimensionen definiert. So hängt die empfundene Distanz von Menschen davon ab, ob sie das Objekt als in ihrer unmittelbaren Nähe befindlich (geografische Distanz), sie persönlich betreffend (soziale Distanz), im unmittelbaren Zeitpunkt (zeitliche Distanz) und generell als wahrscheinlich (hypothetische Distanz) einschätzen. „Dabei gab es verschiedene Zusammenhänge der einzelnen Dimensionen mit den Einstellungen und anderen Variablen wie den Fällen im sozialen Umfeld. Insgesamt sind dabei vor allem die geografische und hypothetische Distanz wichtig“, wie der Erstautor Simon Blauza berichtet.

Insbesondere die hypothetische Distanz hing dabei mit allen Komponenten der Einstellungen sowie dem Installieren einer Corona Warn-App zusammen. In einem nächsten Schritt wurde die Einschätzung der psychologischen Distanz untersucht, wobei die Existenz eines Corona-Falles im sozialen Umfeld signifikant mit einer geringeren hypothetischen Distanz zusammenhing. Menschen mit einer Erkrankung in ihrem Umfeld schätzen es also insgesamt als wahrscheinlicher ein, von Corona betroffen zu sein, was sich ebenfalls auf die Einschätzung der Maßnahmen auswirkt. Zuletzt wurde der Zusammenhang von Wissen über die Pandemie mit den Einstellungen untersucht, wobei die psychologische Distanz als Mediator herausgestellt werden konnte. Wissen hängt also nur dann positiv mit Einstellungen zusammen, wenn die Personen sich gleichzeitig betroffen fühlen.

Die Ergebnisse stellen insgesamt die Betroffenheit als einen weiteren Faktor für die Entstehung von Einstellungen gegenüber der Pandemie heraus. Auch wenn die weitere Generalisierung der Ergebnisse Aufgabe zukünftiger Studien ist, können die Ergebnisse genutzt werden, um die Einschätzung der Maßnahmen und der Pandemie besser zu verstehen. Dies könnte auch bei der Erklärung der Impfwilligkeit wichtig sein: Warum sollten sich Menschen impfen lassen gegen ein Virus von dem sie sich nicht betroffen fühlen? Gerade zu dieser Frage könnten weitere experimentelle Studien auch mögliche Kausalitäten weitergehend klären, über die aufgrund der korrelativen Daten im Rahmen dieser Studie nur beschränkte Aussagen möglich sind.

Als Lösung zur Überwindung der psychologischen Distanz beschreibt die Autorengruppe die klare Kommunikation von Risiko, was jedoch insbesondere bei Pandemien aufgrund des globalen Charakters schwierig ist. „Natürlich können wir uns nicht durch alle Ereignisse auf der anderen Seite des Planeten stressen lassen. Dennoch sollten wir über den Effekt der geografischen Distanz genauer nachdenken und Möglichkeiten für eine Überwindung untersuchen“, wie der Seniorautor der Studie Dr. Alexander Büssing erläutert. Dies sei auch für die Gestaltung formaler und informeller Bildungsangebote relevant, was laut Büssing ein Hauptaugenmerk für die weitere Integration des Konstrukts der psychologischen Distanz in der Biologiedidaktik darstellen könnte.

IDN


Originalpublikation:

Blauza, S., Heuckmann, B., Kremer, K., & Büssing, A. G. (2021). Psychological distance towards COVID-19: Geographical and hypothetical distance predict attitudes and mediate knowledge. Current Psychology, 1-12.

https://doi.org/10.1007/s12144-021-02415-x

Weitere Informationen zur Rolle der psychologischen Distanz bei biologischen Themen sind auf der Homepage des IDN zu finden: www.idn.uni-hannover.de

Die Forschenden haben den Hintergrund, die Hauptergebnisse sowie einen Ausblich zudem in einem kurzen Video zusammengefasst: https://youtu.be/9FoXld5Y2ik