VBIO News http://example.com VBIO News de Copyright Thu, 18 Dec 2025 12:48:21 +0100 Thu, 18 Dec 2025 12:48:21 +0100 TYPO3 news-35241 Thu, 18 Dec 2025 12:27:30 +0100 Winzige Archive: Stoffwechsel-Moleküle speichern Urzeitwelt https://www.vbio.de/aktuelles/details/winzige-archive-stoffwechsel-molekuele-speichern-urzeitwelt Ein internationales Team mit Senckenberg-Forschern hat eine neue Methode entwickelt, um zu untersuchen, wie der Lebensraum urzeitlicher Tiere und Menschen aussah. Ihre jetzt veröffentlichte Studie zeigt, dass fossile Tierknochen und -zähne weit mehr Informationen bewahren als bislang angenommen. In den Hartgeweben bleiben kleinste Spuren von Stoffwechselprodukten über Jahrmillionen erhalten. Die Analyse dieser Moleküle – sogenannte Metaboliten – ermöglicht Rückschlüsse auf Ernährung, Klima und Landschaften an bedeutenden Fundstellen der frühen Menschheitsgeschichte in Afrika.  Wie sah die Umwelt früher Menschen vor rund drei bis einer Million Jahren aus – und wie lebten damalige Tiere? Dieser Frage ist ein internationales Forschungsteam, darunter Prof. Dr. Ottmar Kullmer vom Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Frankfurt, jetzt mit der innovativen neuen Methode des „Metabolomic Profiling“ auf den Grund gegangen. Das Team untersuchte Fossilien von Tieren aus verschiedenen Fundorten und Regionen Afrikas, die für die Erforschung der Menschheitsgeschichte von großer Bedeutung sind – darunter Proben aus der Olduvai-Schlucht in Tansania, aus den Chiwondo Beds in Malawi und aus dem Höhlenfundort Makapansgat in Südafrika. Im Fokus stand die Frage, ob in den Zähnen und Knochen von Nagetieren, Schweinen, Elefanten und Antilopen auch nach Millionen von Jahren noch molekulare Stoffwechselprodukte nachweisbar sind. Das sind kleine chemische Verbindungen, die im Körper entstehen oder über Nahrung und Umwelt aufgenommen werden. Aus solchen Metaboliten lässt sich herauslesen, wie ein Lebewesen mit seiner Umgebung interagiert hat.

„Wir konnten zeigen, dass bestimmte Moleküle während der Bildung von Knochen und Zähnen eingeschlossen werden und dort wie in einem winzigen Archiv konserviert sind“, berichtet Prof. Timothy Bromage, Hauptautor der Studie. „Diese Spuren von Stoffwechselprodukten stammen sowohl aus den Körpern der Tiere selbst als auch aus ihrer Umwelt und liefern damit wichtige Hinweise auf biologische Funktionen und Lebensräume.“

Die Analyse der Moleküle öffnet ein Fenster in die Vergangenheit und erlaubt es, frühere Umweltbedingungen genauer einzugrenzen. Die Daten aus der Olduvai-Schlucht deuten auf ein wärmeres Klima als heute und feuchte Landschaften mit Wäldern, Grasflächen und Süßwasser hin – sowohl für die älteren Schichten als auch für jüngere Abschnitte der Fundstelle. Auch die Standorte in Malawi und Südafrika lassen auf feuchtere und teilweise wärmere Bedingungen im Vergleich zu heute schließen. Diese Ergebnisse stützen frühere Umweltrekonstruktionen und liefern zusätzliche Details, etwa zu Bodenbeschaffenheit, Pflanzenarten und Niederschlagsmengen.

Neben Umweltinformationen fanden die Forschenden auch Hinweise auf den Gesundheitszustand einzelner Tiere. Bestimmte Moleküle lassen sich mit Entzündungen oder Infektionen in Verbindung bringen. In einigen Fossilien fanden sich zudem Spuren eines Erregers, der heute die afrikanische Schlafkrankheit verursacht und von der Tsetsefliege übertragen wird. „Solche Funde zeigen, dass wir mit dieser Methode nicht nur Landschaften, sondern auch Krankheitsrisiken vergangener Ökosysteme erfassen können“, erklärt Prof. Dr. Ottmar Kullmer, Ko-Autor der Studie. „Das erweitert unser Bild von den Lebensbedingungen früher Tiere und indirekt auch früher Menschen.“

Besonders sorgfältig prüfte das Team, ob die gefundenen Moleküle tatsächlich aus dem Inneren der Fossilien stammen oder später aus dem umgebenden Boden eingedrungen sein könnten. Dazu wurden umliegende Böden sowie heutige Vergleichsproben analysiert. Auch der Einfluss von Verdauungsprozessen – etwa bei Knochen aus Eulengewöllen – wurde überprüft. Die Ergebnisse zeigen, dass die entscheidenden Moleküle überwiegend aus dem ursprünglichen Gewebe der Tiere stammen.

„Unsere Studie zeigt, dass ‚Metabolomic Profiling‘ erfolgreich und systematisch bei sehr alten Fossilien angewendet werden kann. Damit eröffnet sich ein ganz neuer Zugang zur Rekonstruktion früher Lebensräume, der bisherige Methoden wie Isotopenanalysen oder Untersuchungen von Tiergemeinschaften entscheidend ergänzt“, so Kullmer und weiter: „Die Methode erlaubt uns, die Beziehungen zwischen Tieren und ihrer Umwelt im Laufe der Evolutionsgeschichte immer besser zu verstehen und unser Bild von den ökologischen Bedingungen der Vergangenheit weiter zu vervollständigen.“

„Zukünftige Forschung sollte auch die metabolischen Profile heutiger Pflanzen, Böden und Mikroorganismen weiter ausbauen,“ ergänzt Bromage und schließt: „Je besser wir heutige Ökosysteme auf molekularer Ebene kennen, desto präziser lassen sich vergangene Welten rekonstruieren.“

Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung


Originalpublikation:

Bromage, T.G., Denys, C., De Jesus, C.L. et al. Palaeometabolomes yield biological and ecological profiles at early human sites. Nature (2025). https://doi.org/10.1038/s41586-025-09843-w

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Wissenschaft Hessen
news-35240 Thu, 18 Dec 2025 11:10:24 +0100 Jaguar-Genetik: Drei Gruppen mit reduzierter Vielfalt identifiziert https://www.vbio.de/aktuelles/details/jaguar-genetik-drei-gruppen-mit-reduzierter-vielfalt-identifiziert Mithilfe moderner und historischer Genomdaten konnte erstmals klar gezeigt werden, dass Jaguare in drei geografisch und genetisch unterscheidbaren Populationen vorkommen: Zentralamerika sowie südamerikanische Tief- und Hochländer. Die Analyse einer internationalen Forschungsgruppe umfasst 25 Individuen und kombiniert das gesamte Genom mit wichtigen Immungenen, um die Anpassungsfähigkeit und Gesundheit der Populationen besser zu verstehen.  Die Studie belegt eine klare Trennung der Jaguar-Populationen in Zentralamerika sowie in südamerikanische Tiefland- und Hochlandgebiete. Diese Struktur zeigt sich sowohl im gesamten Genom als auch im Immungenom: In separaten Analysen der angeborenen und adaptiven Immungen-Regionen bleiben die drei Gruppen erkennbar, wobei die innerhalb der Hochland-Population beobachtete Immungenom-Variabilität besonders niedrig ist. „Die genetische Trennung ist kein Selbstzweck. Sie zeigt, dass wir den Artenschutz regional zuschneiden müssen – mindestens eine ESU‑Trennung (Evolutionarily Significant Unit*) zwischen Zentral- und Südamerika, um einzigartige Vielfalt zu sichern,“ sagt Studien-Erstautor René Meißner vom FIWI der Veterinärmedizinischen Universität Wien.

Zugleich weisen moderne Jaguare insgesamt geringere genetische Vielfalt und erhöhte Inzuchtwerte auf als historische Tiere. Besonders niedrige Inzucht findet sich im südamerikanischen Tiefland, während die Hochland-Population die geringste Immungenom-Vielfalt zeigt. Laut den Forscher:innen sind die geringere genetische Vielfalt und die höheren Inzuchtwerte bei modernen Jaguaren im Vergleich zu historischen Tieren besorgniserregend. „Besonders im Hochland ist die Vielfalt in Immungenen reduziert, während das Tiefland die niedrigste Inzucht zeigt – ein Muster, das wir mit fragmentierten Lebensräumen und eingeschränktem Austausch in Verbindung bringen,“ so Meißner weiter.

Artenschutz gezielt ausrichten

Die genetische Differenzierung zwischen Zentral- und Südamerika erreicht Werte, die bei anderen Großkatzen als Grundlage für die Einteilung in unterschiedliche Schutz- oder Untereinheiten dienen, und untermauert den Vorschlag, evolutionär bedeutsame Einheiten (ESUs) neu festzulegen. „Damit wir die Anpassungsfähigkeit und aktuelle genetische Situation noch präziser beurteilen können, brauchen wir zusätzliche moderne Proben – vor allem aus Zentralamerika und dem südamerikanischen Tiefland. Das ist entscheidend, um wirksame, regionsspezifische Schutzpläne zu entwickeln,“ betont Studien-Letztautorin Pamela Burger.

Ohne die Anerkennung klarer genetischer Einheiten wirkt die Art nach außen hin einheitlich. Dadurch können regionale Rückgänge und der Verlust einzigartiger genetischer Vielfalt übersehen werden – mit Folgen für die langfristige Anpassungsfähigkeit und das Überleben der Art. Entwaldung, Wilderei und die Zerschneidung von Lebensräumen setzen den Großkatzen massiv zu und verringern den Austausch zwischen Populationen, besonders in Zentralamerika und Teilen Brasiliens.

Veterinärmedizinische Universität Wien


Originalpublikation:

René Meißner, Sven Winter, Jean Pierre Elbers, Martin Plášil, Ján Futas, Elmira Mohandesan, Muhammad Bilal Sharif, Petr Horin, Stefan Prost und Pamela Burger: Unraveling genome- and immunome-wide genetic diversity in modern and historical Jaguars, Genome Biology 2025, https://link.springer.com/article/10.1186/s13059-025-03868-0

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Wissenschaft International
news-35239 Thu, 18 Dec 2025 11:01:32 +0100 Multizelluäres 3D-Modell der menschlichen Leber https://www.vbio.de/aktuelles/details/multizelluaeres-3d-modell-der-menschlichen-leber Erstmals haben Forschende ein dreidimensionales Organoidmodell aus Lebergewebe von Patientinnen und Patienten entwickelt. Das Modell besteht aus drei Leberzelltypen, die aus adulten Hepatozyten, Cholangiozyten und mesenchymalen Leberzellen gewonnen wurden. Die neuen komplexen Organoid-Modelle, oder „Assembloide“, rekonstruieren wesentliche strukturelle und funktionelle Merkmale der menschlichen periportalen Leberregion und besitzen patientenspezifische Eigenschaften. Dabei werden wichtige Funktionen der menschlichen Leber in einer Petrischale nachgebildet, die zum Beispiel die Entgiftung und der Stoffwechsel von Medikamenten ermöglichen. Durch Manipulation kann dieses Modell der menschlichen periportalen Leber Merkmale der gallenwegsbedingten Fibrose nachahmen und es ermöglichen Lebererkrankungen bei Menschen besser zu erforschen, die Entwicklung neuer Medikamente zu beschleunigen, eine frühe Diagnose zu ermöglichen und die personalisierte Medizin voranzutreiben. Lebererkrankungen sind weltweit ein großes gesundheitliches Problem, an dem jährlich über zwei Millionen Menschen sterben. Tiermodelle haben zum Verständnis von Leberfunktion und Krankheitsverläufen beigetragen, lassen sich jedoch oft nicht genau auf die menschliche Biologie übertragen. Bisherige, aus Gewebe gewonnene Modelle der menschlichen Leber, bestehen nur aus einem Zelltyp. Sie können die komplexe Zellzusammensetzung und Gewebearchitektur der Leber und vielschichtige Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Zelltypen in der Leber nicht nachbilden. Komplexe dreidimensionale Organoidmodelle mit mehreren Zelltypen, mit denen die zellulären Interaktionen im Leberportal des Menschen nachgebildet werden können, gab es für das Lebergewebe erwachsener Menschen bislang nicht. Dadurch sind die Möglichkeiten zur Erforschung von Lebererkrankungen und zur Entwicklung neuer Behandlungsmethoden eingeschränkt.

Bisherige Lebermodelle

Die Forschungsgruppe von Meritxell Huch, Direktorin am Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik (MPI-CBG) in Dresden, befasste sich bereits in einer früheren Studie im Jahr 2021 mit diesem Thema (Dynamic cell contacts between periportal mesenchyme and ductal epithelium act as a rheostat for liver cell proliferation, Cordero-Espinoza, Lucía et al., Cell Stem Cell, Volume 28, Issue 11). In dieser Studie entwickelten die Forscher ein Leberorganoid, bestehend aus zwei Zelltypen, Cholangiozyten und Mesenchymzellen. Allerdings fehlten noch andere wichtige Zelltypen – vor allem Hepatozyten, die Zellen, die den größten Teil der Lebersubstanz ausmachen. Dieses Jahr gelang es der Forschungsgruppe von Meritxell Huch bereits, ein Organoidmodell einer neuen Generation zu entwickeln, das aus drei Leberzelltypen der Maus – adulten Hepatozyten, Cholangiozyten und mesenchymalen Leberzellen – besteht, und damit die periportale Region der Mausleber rekonstruiert (Mouse periportal liver assembloids recapitulate mesoscale hepatic architecture and biliary fibrosis, 29th May 2025, Nature).

Entwicklung eines mehrzelligen menschlichen Lebermodells

In der aktuellen Studie, die in der Fachzeitschrift Nature veröffentlicht wurde, haben Forschende aus der Gruppe von Meritxell Huch zusammen mit Kolleginnen und Kollegen aus der Gruppe von Andrej Shevchenko am MPI-CBG, aus der Gruppe von Daniel Stange am Universitätsklinikum Carl Gustav Carus (UKD) Dresden und dem Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen (NCT/UCC) sowie aus den Gruppen von Daniel Seehofer und Georg Damm an der Klinik für Viszeral-, Transplantations-, Thorax- und Gefäßchirurgie am Universitätsklinikum Leipzig ein patientenspezifisches menschliches periportales Leber-Assembloid entwickelt. Die Zellen organisieren sich nach ihrer Zusammensetzung selbst zu dreidimensionalen Strukturen, die in vitro (außerhalb des Körpers) die zellulären Anordnungen und Interaktionen wie im Gewebe in vivo (im lebenden Körper) nachbilden.

Die Entwicklung des Lebermodells war echte Teamarbeit. Beteiligt waren nicht nur die Forschenden aus dem Huch-Labor und Klinken aus Leipzig und Dresden, sondern auch Bioinformatikerinnen und Bioinformatiker, sowie technische Assistentinnen und Assistenten aus verschiedenen Labors. Einer der vier Hauptautorinnen und -autoren, Yohan Kim, ehemaliger Postdoktorand in der Huch-Gruppe und jetzt Assistenzprofessor an der Sungkyunkwan-Universität in Suwon, Südkorea, sagt: „Als wir das Gewebe von den Patientinnen und Patienten erhielten, mussten wir zunächst die einzelnen Zelltypen trennen und sie in einer Petrischale vermehren, bevor wir sie wieder zusammenfügen konnten. Ich habe die Kulturbedingungen für das Wachstum der Zellen vor ihrer Zusammenfügung untersucht, bevor ich meine neue Stelle an der Sungkyunkwan-Universität antrat.“ Das Gewebe der Patienten wurde vom Universitätsklinikum Carl Gustav Carus (UKD) in Dresden und der Klinik für Viszeral-, Transplantations-, Thorax- und Gefäßchirurgie der Universitätsklinikum Leipzig zur Verfügung gestellt. Mit Unterstützung des technischen Forschungsassistenten Robert Arnes-Benito wurden die Kulturbedingungen weiter optimiert, bis die endgültigen Kulturbedingungen für die Vermehrung menschlicher Hepatozyten gefunden waren.

Sagarika Dawka, Doktorandin und ebenfalls Hauptautorin der Studie, setzte die Arbeit von Yohan fort, indem sie Bedingungen fand, unter denen die Hepatozyten außerhalb des Körpers in der Petrischale ausreifen konnten. Sie sagt: „Ich habe das Lebermodell so weiterentwickelt, dass es Gallengänge enthielt, ähnlich der Gallengänge über die im periportalen Bereich der Leber die Galle abfließt. Wenn dieses Gallenabflusssystem gestört ist, kommt es zu Leberschäden und Erkrankungen. Deshalb war es so wichtig, dass unsere Lebermodelle Gallengänge enthielten. Unsere Studie präsentiert das erste komplexe menschliche Lebermodell außerhalb des Körpers, das Gallengänge aufweist.“ 

Lei Yuan, Postdoktorand und einer der Hauptautoren, arbeitete anschließend daran, die Zellen miteinander zu kombinieren, um die periportalen Assembloide herzustellen. Zunächst markierte er die verschiedenen Zellen (mesenchymale Leberzellen und Cholangiozyten), um sie nach der Kombination identifizieren zu können. Dann fand er die richtigen Bedingungen, um ihre Selbstorganisation zu initiieren. „Darüber hinaus habe ich das Protokoll für die periportalen Assembloide optimiert, von der Assemblierungsmethode bis hin zu den Medien, in denen die Zellen wachsen. Das richtige Medium ist für das Wachstum und die Differenzierung der Zellen von entscheidender Bedeutung“, sagt Lei.

Eine weitere Hauptautorin der Studie und Postdoktorandin, Anke Liebert, befasste sich hauptsächlich mit der molekularen und funktionellen Charakterisierung der Organoidmodelle. „Ich habe getestet, wie ähnlich unsere Organoide den Zellen des Patientengewebes sind und wie gut unsere Lebermodelle im Vergleich zu normalen menschlichen Leberzellen funktionieren. Mit Hilfe des Bioinformatikers Fabian Rost habe ich auch untersucht, ob die Modelle die Genexpression des lebenden Gewebes korrekt erfassen.“ 

Mit ihren vorliegenden Lebermodellen erstellte die Gruppe eine Biobank mit Hepatozyten-Organoiden von 28 Patienten, die eingefroren und bei Bedarf wieder aufgetaut werden können, um die Kulturen zu reaktivieren.

Personalisierte Medizin und Medikamentenentwicklung

Das neue menschliche Lebermodell verfügt über patientenspezifische Merkmale und behält wesentliche strukturelle und funktionelle Eigenschaften der menschlichen periportalen Leberregion bei. „Mit unserem neuen Modell haben wir eine große Herausforderung gemeistert. Bislang war es nicht möglich, die mehrzellige Organisation des periportalen Lebergewebes und die zellulären Interaktionen außerhalb des lebenden Körpers zu rekonstruieren. Mit unseren Modellen können wir verschiedene Teile der Leber im Labor nachbauen und kontrollieren. Das hilft uns zu verstehen, wie verschiedene Zellen und ihre Umgebung zusammenwirken, um eine gesunde Leber zu bilden, und wie Krankheiten wie Gallengangfibrose entstehen, wenn diese Interaktionen gestört sind“, sagt Meritxell Huch, die die Studie leitete und betreute. „Unsere neuartigen Lebermodelle haben das Potenzial, die Art und Weise, wie wir Lebererkrankungen untersuchen und behandeln, zu verändern. Sie könnten uns dabei helfen, neue diagnostische Tests zu entwickeln, die Sicherheit neuer Medikamente zu testen, die Bewertung der Medikamententoxizität zu verbessern und personalisierte Behandlungen für Patienten mit Lebererkrankungen zu entwickeln.“

Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik


Originalpublikation:

Yuan, L., Dawka, S., Kim, Y. et al. Human assembloids recapitulate periportal liver tissue in vitro. Nature (2025). doi.org/10.1038/s41586-025-09884-1

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Wissenschaft Sachsen
news-35238 Thu, 18 Dec 2025 10:46:56 +0100 Wie „Hangover“ der Fruchtfliege beim Alkoholstress hilft https://www.vbio.de/aktuelles/details/wie-hangover-der-fruchtfliege-beim-alkoholstress-hilft Eine neue Studie zeigt, dass spezifische Schaltvorgänge im Erbgut die Alkoholtoleranz der Fruchtfliege bestimmen Wenn Fruchtfliegen feiern, dann richtig: Ihr Lebensraum ist vergärendes Obst – und damit eine dauerhafte Happy Hour. Doch während wir Menschen nach einer langen Nacht mit einem „Hangover“, einem heftigen Kater, kämpfen, brauchen die kleinen Insekten genau dieses Protein, um einen Kater zu vermeiden. Ohne „Hangover“ geraten sie unter Alkoholeinfluss schnell aus dem Gleichgewicht und entwickeln keine Toleranz. Was dieses ungewöhnlich benannte Molekül im Körper der Fliege genau macht, war bislang allerdings ein Rätsel. In ihrer jüngsten Publikation im Fachmagazin „Nucleic Acids Research“ untersuchen Marburger Biolog*innen um die Forschenden Jonathan Lenz und Alexander Brehm die Rolle von Hangover näher.

Das Team der Philipps-Universität Marburg hat nun entschlüsselt, wie Hangover die Genaktivität steuert. Die Forschenden zeigen erstmals, dass Hangover direkt in epigenetische Prozesse eingreift und dadurch reguliert, welche Gene eingeschaltet oder gedrosselt werden. Besonders bemerkenswert: Das Protein bindet an eine große Zahl von Genen und interagiert mit vielen weiteren Regulatoren, die gemeinsam bestimmen, wie Zellen auf äußere Reize reagieren. Damit wird deutlich, dass die Fähigkeit der Fliege, Alkoholtoleranz zu entwickeln, viel stärker von fein abgestimmten Genprogrammen abhängt als bisher angenommen.

Für ihre Studie nutzten die Wissenschaftler*innen moderne genomische und proteomische Verfahren in einer Drosophila-Zelllinie. Sie konnten so präzise verfolgen, wo Hangover im Erbgut bindet, wie es die Aktivität zahlreicher Gene beeinflusst und welche Partner es dabei unterstützt. Die Erkenntnisse weisen darauf hin, dass epigenetische Steuerprozesse eine zentrale Rolle bei der Alkoholtoleranz spielen – nicht nur bei Fliegen, sondern möglicherweise auch bei anderen Organismen. Künftige Untersuchungen sollen klären, wie diese Mechanismen im lebenden Tier koordiniert werden und in welche weiteren molekularen Prozesse Hangover eingreift.

Universität Marburg


Originalpublikation:

Jonathan Lenz, Laura Schmelzer, Ignasi Forné, Andrea Nist, Axel Imhof, Thorsten Stiewe, Alexander Brehm, Hangover regulates gene expression by limiting NSL-mediated H4K16 acetylation, Nucleic Acids Research, Volume 53, Issue 22, 11 December 2025, gkaf1349, https://doi.org/10.1093/nar/gkaf1349

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Wissenschaft Hessen
news-35237 Thu, 18 Dec 2025 10:40:59 +0100 Flüsse: zu wenig Schutz im Schutzgebiet https://www.vbio.de/aktuelles/details/fluesse-zu-wenig-schutz-im-schutzgebiet Von Europas Naturschutzgebieten profitieren Flussökosysteme bislang nur begrenzt, zeigt eine neue Studie. Ein internationales Forschungsteam untersuchte den Zustand von Flüssen an über 1.700 Stellen in zehn europäischen Ländern über einen Zeitraum von fast vier Jahrzehnten. Das Ergebnis: Bestehende Schutzgebiete brachten auch über Jahrzehnte hinweg nur in wenigen Fällen messbare Verbesserungen. Um Flüsse nachhaltig zu schützen, sollten Schutzkonzepte ganzheitlicher gedacht werden und Land- wie Gewässerlebensräume gleichermaßen berücksichtigen, so die Forschenden.  Der Verlust der Artenvielfalt schreitet weltweit voran. In den vergangenen Jahrzehnten wurden umfangreiche Maßnahmen ergriffen, um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, darunter Gesetze und Vereinbarungen zur Ausweitung von Schutzgebieten, wie die EU-Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie oder das Kunming-Montreal-Abkommen zum Schutz der Biodiversität. In ausgewiesenen Bereichen wie Nationalparks oder Naturschutzgebieten, an Land und im Meer, wird die menschliche Aktivität eingeschränkt, um die biologische Vielfalt zu erhalten und wiederherzustellen. Aber wie effektiv sind diese Maßnahmen für den Zustand von Flüssen in Europa? Dieser Frage ist ein internationales Forschungsteam unter Leitung der Senckenberg-Wissenschaftler Dr. James S. Sinclair und Prof. Dr. Peter Haase nachgegangen. 

Dazu untersuchten die Forschenden, wie sich die Vielfalt und Zusammensetzung von Flusslebewesen – insbesondere kleiner wirbelloser Tiere wie Insektenlarven und Muscheln – in geschützten und ungeschützten Gebieten entwickelt hat. Diese sogenannten Bioindikatoren zeigen an, wie gesund ein Fluss ist. Das Ergebnis: In den meisten Fällen gab es keinen erkennbaren Unterschied zwischen geschützten und ungeschützten Gewässern. Für bereits hochwertige, also relativ saubere Flüsse, hatte der Schutz kaum messbare Effekte – vermutlich, da diese Gewässer ohnehin wenig belastet sind. Mittelmäßig oder leicht beeinträchtigte Flüsse wiederum konnten durch bestehende Schutzgebiete nur geringfügig verbessert werden. Ausschließlich stark belastete Flüsse profitierten – vorausgesetzt, der Schutz umfasste weite Teile des Einzugsgebiets.
„Unsere Ergebnisse zeigen, dass bestehende Schutzgebiete in Europa für Flüsse und ihre Arten nur begrenzt wirksam sind“, erklärt Erstautor Dr. James Sinclair vom Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Frankfurt. „Nur dort, wo große Teile des Flusseinzugsgebiets geschützt waren, konnten wir Verbesserungen bei der Artenvielfalt und Wasserqualität feststellen. Kleinflächige Schutzmaßnahmen direkt am Ufer reichen offensichtlich nicht aus, um Flüsse wirklich zu entlasten.“

Die Forschenden betonen, dass viele Schutzgebiete ursprünglich für Landökosysteme – etwa Wälder oder Lebensräume seltener Vögel und Säugetiere – ausgewiesen wurden. Flüsse und ihre ökologischen Besonderheiten wurden dabei oft außer Acht gelassen. Schadstoffe oder landwirtschaftliche Einträge außerhalb der Schutzgebiete können so dennoch in die Gewässer gelangen. „Flüsse sind keine isolierten Lebensräume, sondern Teil eines Netzes, das sich weit über die eigentlichen Schutzgrenzen hinaus erstreckt“, betont Prof. Dr. Peter Haase, Letztautor der Studie und Leiter der Sektion Fluss- und Auenökologie am Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Frankfurt. „Wenn wir nur einzelne Abschnitte schützen, aber nicht das gesamte Einzugsgebiet mitdenken, bleibt der Nutzen gering.“

Das Forschungsteam plädiert daher dafür, den Gewässerschutz künftig ganzheitlich zu planen. Statt isolierter kleiner Schutzflächen müsse das gesamte Einzugsgebiet eines Flusses in den Blick genommen werden – von der Quelle bis zur Mündung. Dazu gehören auch Uferzonen, Nebenflüsse und angrenzende Landschaften. „Ein effektiver Schutz von Flüssen gelingt nur, wenn Land- und Wasserökosysteme gemeinsam gedacht und gemanagt werden“, so Sinclair. „Wir müssen die Grenzen zwischen terrestrischem und aquatischem Naturschutz auflösen.“

Die Studie weist außerdem darauf hin, dass viele Schutzgebiete menschliche Nutzung weiterhin zulassen – etwa Land- oder Forstwirtschaft. Das kann den Nutzen für Flüsse einschränken. Zusätzlich zu strengeren Regeln plädieren die Forschenden daher für besser abgestimmte Managementkonzepte, die lokale Gemeinschaften einbeziehen und die Bedürfnisse der Gewässer explizit berücksichtigen.

Mit Blick auf internationale Biodiversitätsziele – etwa die Vereinbarung, bis 2030 mindestens 30 Prozent der Erdoberfläche unter Schutz zu stellen – zeigt die Studie, dass reine Flächenziele nicht genügen, wenn die Qualität und Ausgestaltung des Schutzes unzureichend sind. „Unsere Arbeit macht deutlich, dass es nicht nur darauf ankommt, wie viel Fläche geschützt wird, sondern wie diese Gebiete gestaltet und vernetzt sind“, erklärt Haase. „Nur ein ganzheitlicher Ansatz kann den Rückgang der Artenvielfalt in Flüssen stoppen – und damit auch positive Effekte für angrenzende Land- und Meeresökosysteme entfalten.“

„Unsere Studie eröffnet wichtige Perspektiven für Politik und Naturschutz“, ergänzt Sinclair und schließt: „Zukünftige Schutzstrategien sollten stärker auf gesamte Flusseinzugsgebiete ausgerichtet werden. Dazu gehören Maßnahmen gegen Verschmutzung, eine nachhaltige Landnutzung und die Wiederherstellung natürlicher Flussverläufe. Nur so können Schutzgebiete ihre volle Wirkung für die Gewässer und ihre wertvollen Lebensgemeinschaften entfalten.“

Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung


Originalpublikation:

Sinclair, J.S., Stubbington, R., Welti, E.A.R. et al. Current protected areas provide limited benefits for European river biodiversity. Nat Commun 16, 11146 (2025). doi.org/10.1038/s41467-025-67125-5

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Nachhaltigkeit/Klima Wissenschaft Hessen
news-35236 Thu, 18 Dec 2025 10:02:55 +0100 Dekade gegen Postinfektiöse Erkrankungen als große Chance https://www.vbio.de/aktuelles/details/dekade-gegen-postinfektioese-erkrankungen-als-grosse-chance Um neue und effektive Therapieformen gegen Erkrankungen wie Long Covid oder ME/CFS zu entwickeln, hat das Bundesforschungsministerium die „Nationale Dekade gegen Postinfektiöse Erkrankungen" ausgerufen. Von 2026 bis 2036 sollen rund 500 Millionen Euro in die Erforschung dieser Erkrankungen und Therapiemaßnahmen fließen. Welche Schwerpunkte dabei gesetzt werden sollen und wie das Geld möglichst sinnvoll eingesetzt werden kann, dazu bezogen Experten in einem öffentlichen Fachgespräch des Forschungsausschusses Stellung. Die nationale Dekade gegen Postinfektiöse Erkrankungen sei eine besondere Chance, sagte Jörg Heydecke von der ME/CFS Research Foundation. Jahrzehntelange Stigmatisierung von postakuten Infektionssyndromen (PAIS) und eine Unterfinanzierung seien Gründe dafür, dass diese Erkrankungen bislang „unterforscht und unzureichend verstanden sind". Damit die nun ausgerufene Dekade zum Erfolg werde, nannte Heydecker vier Aspekte, die bei der Verteilung der Gelder berücksichtigt werden sollten: Um von Anfang an lösungsorientiert zu handeln, müssten erstens Biomarker und Therapieforschung in den Fokus gerückt werden. Auch sei, zweitens, die Auswahl von kompetenten Forscherinnen und Forschern sowie von Zentren mit Erfahrungen in relevanten Bereichen essenziell. Die Bundesregierung sollte drittens Anreize für eine Beteiligung der Pharmaindustrie schaffen sowie „Unterstützungsmaßnahmen für Start-ups bei der Therapie- und Diagnostikforschung ermöglichen". Viertens müsse eine umfassende Beteiligung von Patientenvertretern gewährleistet werden.

Carmen Scheibenbogen vom Institut für Medizinische Immunologie an der Charité betonte ebenfalls, dass die nationale Dekade eine „wichtige und dringende Initiative für Betroffene, die Gesellschaft und die Volkswirtschaft" sei. Für Deutschland sei es eine „historische Chance", eine international führende Rolle „mit großem medizinischem und wirtschaftlichem Potenzial" einzunehmen. Mindestens eineinhalb Millionen Menschen sind laut Scheibenbogen derzeit in Deutschland von PAIS betroffen. Um diese Erkrankungen besser zu verstehen und behandeln zu können, seien verschiedene Therapieansätze nötig, da es sich um heterogene Erkrankungen handele, bei denen das Prinzip „one size fits it all" nicht gelte. In der Dekade sollte auf translationale biomedizinische Forschung gesetzt werden. Außerdem brauche es klare Kriterien für die Forschungsförderung.

Für Betroffene würden die Symptome von postinfektiösen Erkrankungen wie Fatigue oder kognitiven Einschränkungen oftmals sehr ähnlich aussehen, sagte Joachim L. Schultze, tätig im Bereich Systemmedizin an der Venusberg-Campus Universität Bonn. Allerdings könnten die „zugrundeliegenden molekularen Prozesse" sehr unterschiedlich sein und müssten daher genauer untersucht werden. Schultze betonte: „Nur wenn wir die krankheitsauslösenden Mechanismen verstehen können, können wir auch rationale Therapieansätze entwickeln." Genau wie Scheibenbogen betonte auch Schultze, dass es nicht die eine Lösung geben könne. Daher müsse sich die Forschung auf die sogenannten Biomarker konzentrieren.

Bettina Hohberger, die im Bereich Kopfkliniken an der Augenklinik Erlangen tätig ist, merkte an, dass bereits während der Pandemie bestimmte Biomarker identifiziert wurden. Auch sie betonte, dass Post-Covid-Erkrankungen keine Einheitsgruppe seien, sondern dass es für verschiedene Untergruppen verschiedene Biomarker gebe. Der nächste Schritt besteht für Hohberger nun darin, die bereits gefundenen Biomarker mit Therapiekonzepten zu kombinieren. Dafür sei finanzielle Unterstützung grundlegend, da selbst kleine Patientenstudien kaum aus Eigenmitteln finanziert werden könnten.

Der Sportmediziner Jürgen Michael Steinacker sagte, dass infektiöse Erkrankungen Karrieren massiv verändern können. Er berichtete den Ausschussmitgliedern von Sportlern, die aufgrund von einer solchen Erkrankung ihren Alltag kaum noch bewältigen können. Es sei wichtig, die „personalized medicine" zu fördern und den Fokus darauf zu legen, zu verstehen, warum manche Menschen erkranken und andere nicht.

Ausschus für Forschung, Technologie, Raumfahrt und Technikfolgenabschätzung, hib

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Politik & Gesellschaft Berlin
news-35212 Wed, 17 Dec 2025 12:52:14 +0100 Synapsen bei der Arbeit zusehen https://www.vbio.de/aktuelles/details/synapsen-bei-der-arbeit-zusehen Der Moment, in dem eine Nervenzelle ihre Neurotransmitter in den synaptischen Spalt ausschüttet, ist extrem kurz. Forschenden der Charité – Universitätsmedizin Berlin und des Max Delbrück Center ist es gelungen, ihn mikroskopisch einzufangen. Die Aufnahmen der fusionierenden Vesikel zeigen sie jetzt im Fachblatt Nature Communications.  Der Vorgang dauert nur wenige Millisekunden: Ein Vesikel, gefüllt mit Neurotransmittern und nur ein paar Nanometer groß, nähert sich der Zellmembran, verschmilzt mit ihr und gibt seine Botenstoffe an den synaptischen Spalt ab – sodass sie sich dort an die nächste Nervenzelle heften können. Ein Team um Prof. Christian Rosenmund, Letztautor der Publikation und stellvertretender Direktor des Instituts für Neurophysiologie an der Charité, hat diesen für die Arbeit des Gehirns entscheidenden Moment in mikroskopischen Bildern festgehalten. 

Punktförmige Verbindungen

„Niemand wusste bisher, wie die Fusion der synaptischen Vesikel mit der Zellmembran im Detail abläuft“, sagt die Erstautorin der Studie, Dr. Jana Kroll, die mittlerweile in der Arbeitsgruppe „Strukturbiologie Membran-assoziierter Prozesse“ von Prof. Oliver Daumke am Max Delbrück Center forscht. „In unseren Experimenten mit Mäuse-Neuronen konnten wir zeigen, dass sich zunächst eine punktförmige Verbindung bildet. Dieser winzige Stiel erweitert sich dann zu einer Pore, durch die die Neurotransmitter in den synaptischen Spalt gelangen“, erläutert Jana Kroll.

„Mithilfe der über fünf Jahre hinweg entwickelten Technologie ist es zum ersten Mal gelungen, Synapsen bei der Arbeit zuzusehen, ohne sie dabei zu stören“, ergänzt Christian Rosenmund. „Jana Kroll hat hier echte Pionierarbeit geleistet“, sagt der Wissenschaftler, der auch zum Vorstand des Excellenzclusters NeuroCure gehört.

Schockgefroren in Ethan

Um die Synapsen in Echtzeit zu beobachten, haben die Forschenden Nervenzellen von Mäusen genutzt, die sie zuvor mithilfe der Optogenetik so verändert hatten, dass die Zellen durch ein Lichtsignal aktiviert werden – und daraufhin sofort beginnen, Neurotransmitter auszuschütten. Innerhalb von ein bis zwei Millisekunden hat das Team die Neuronen dann in minus 180 Grad Celsius kaltem Ethan schockgefroren. „Alle zellulären Vorgänge stehen bei diesem Verfahren, dem Plunge Freezing, sofort still und können elektronenmikroskopisch sichtbar gemacht werden“, erläutert Jana Kroll.

Dabei stießen die Wissenschaftler:innen auf ein weiteres interessantes Detail: „Wir konnten erkennen, dass die meisten der fusionierenden Vesikel über kleine Filamente mit mindestens einem weiteren Vesikel verbunden sind – sobald ein Vesikel mit der Zellmembran verschmilzt, steht schon das nächste bereit“, berichtet Jana Kroll. „Wir gehen davon aus, dass diese direkte Form der Vesikel-Rekrutierung es ermöglicht, dass Neurone auch über einen längeren Zeitraum hinweg Signale senden und so ihre Kommunikation aufrechterhalten können.“

Epilepsien besser behandeln

Die Fusion der Vesikel, die das Team visualisiert hat, findet in unseren Gehirnen jede Minute millionenfach statt. Den Prozess im Detail zu verstehen, ist auch für medizinische Zwecke wichtig: „Bei vielen Menschen mit Epilepsie oder anderen Erkrankungen der Synapsen sind Mutationen in Proteinen bekannt, die an der Vesikelfusion beteiligt sind“, erklärt Christian Rosenmund. „Wenn wir die genaue Rolle dieser Proteine aufdecken, können wir leichter zielgerichtete Therapien für solche Synaptopathien entwickeln.“

„Der vor uns vorgestellte Ansatz für eine zeitaufgelöste Kryo-Elektronenmikroskopie mittels Licht ist zudem nicht auf Neurone beschränkt, sondern lässt sich in vielen Bereichen der Struktur- und Zellbiologie anwenden“ ergänzt Jana Kroll. Sie selbst möchte ihre Experimente jetzt am Max Delbrück Center zunächst mit menschlichen Neuronen wiederholen, die sie aus Stammzellen gewinnt. Eine leichte Aufgabe werde das allerdings nicht, kündigt die Forscherin an: „Die Zellen benötigen im Labor rund fünf Wochen, bis sie erste Synapsen entwickeln, und sind dabei extrem empfindlich.“

Charité – Universitätsmedizin Berlin


Originalpublikation:
Kroll, J., Kravčenko, U., Sadeghi, M. et al. Dynamic nanoscale architecture of synaptic vesicle fusion in mouse hippocampal neurons. Nat Commun 16, 11131 (2025). doi.org/10.1038/s41467-025-67291-6

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Wissenschaft Berlin
news-35211 Wed, 17 Dec 2025 12:01:55 +0100 Vorhersage von Antibiotikaresistenz: Datenverzerrung verringert Zuverlässigkeit von KI-Modellen https://www.vbio.de/aktuelles/details/vorhersage-von-antibiotikaresistenz-datenverzerrung-verringert-zuverlaessigkeit-von-ki-modellen Um Antibiotikaresistenzen bei Krankheitserregern vorherzusagen, greifen Fachleute zunehmend auf maschinelles Lernen zurück. Mit dessen Hilfe lassen sich anhand der Genetik eines Erregers Resistenzmechanismen erkennen. Die Ergebnisse sind allerdings mit Vorsicht zu betrachten: Forschende des Würzburger Helmholtz-Instituts für RNA-basierte Infektionsforschung (HIRI) konnten nachweisen, dass die Modelle häufig weniger zuverlässig sind als angenommen. Ihre Erkenntnisse wurden im Fachmagazin PLOS Biology veröffentlicht. Sie tragen dazu bei, verlässlichere Werkzeuge zur Vorhersage und Bekämpfung von Antibiotikaresistenzen zu entwickeln. Antibiotikaresistente Infektionen stellen eine immer größer werdende Bedrohung dar. Anstatt Bakterien klassisch zu kultivieren und ihre Reaktion auf Antibiotika zu testen, analysieren Labore zunehmend das bakterielle Erbgut, um frühzeitig Resistenzen zu identifizieren. Aus den DNA-Sequenzen des Erregers können Forschende ableiten, über welche Resistenzmechanismen er verfügen könnte und anschließend wirksame Behandlungsmöglichkeiten vorschlagen. Computerprogramme, die aus vorhandenen Sequenzierungsdaten „lernen”, sind dabei ein vielversprechender Weg, um vorherzusagen, welche Antibiotika wirken und welche nicht. Diese Technologien haben jedoch auch Defizite: Eine oft unterschätzte Herausforderung sind dabei die Annahmen, die die computergestützten Methoden selbst treffen.

Forschende vom Würzburger Helmholtz-Institut für RNA-basierte Infektionsforschung (HIRI), einem Standort des Braunschweiger Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung (HZI) in Kooperation mit der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU), konnten gemeinsam mit der University of Birmingham in Großbritannien nachweisen, dass genau diese Annahmen zu übermäßig optimistischen Ergebnissen hinsichtlich der Vorhersagekraft führen und so deren Aussagewert verzerren können.

Die meisten klassischen Methoden des maschinellen Lernens – Technologien, die aus Daten lernen und ohne explizite Programmierung selbstständig Muster erkennen – erfordern, dass die Trainingsdaten unabhängig und identisch verteilt sind. Das ist bei Bakterienproben allerdings nicht der Fall: Eng verwandte Bakterien weisen viele gemeinsame Merkmale auf. Während einer Epidemie setzen sich „erfolgreiche” Erregervarianten schnell durch. Wenn sie sich unter anderem aufgrund ihrer Abwehrmechanismen gegen Antibiotika so rasch vermehren, verbreiten sich automatisch auch andere Merkmale – selbst, wenn diese nichts mit Resistenz zu tun haben.

Dies kann den Anschein erwecken, dass bestimmte genetische Merkmale direkt mit einer Resistenz zusammenhängen, obwohl sie in Wirklichkeit nur aufgrund der Verwandtschaft der Erreger gemeinsam auftreten. Die Algorithmen lernen folglich, verwandte Stämme vorherzusagen, anstatt die Resistenz selbst. 

24.000 Genome von fünf Bakterienarten

„In diesem Projekt haben wir mehr als 24.000 Genome, also die Gesamtheit aller Erbinformationen, von fünf bedeutenden krankheitsverursachenden Bakterienarten analysiert“, sagt Lars Barquist. Er ist ein mit dem HIRI assoziierter Wissenschaftler und Professor an der University of Toronto in Kanada. Barquist hat die Studie, die in PLOS Biology veröffentlicht wurde, als korrespondierender Autor initiiert. Bei den untersuchten Bakterienarten handelt es sich um den Magen-Darm- und Harnwegserreger Escherichia coli, den opportunistischen Erreger Klebsiella pneumoniae, den Magen-Darm-Keim Salmonella enterica, den Hautkommensalen und opportunistischen Erreger Staphylococcus aureus sowie den Hauptverursacher der außerhalb des Krankenhauses erworbenen Lungenentzündung, Streptococcus pneumoniae. Für diese Keime liefern gängige maschinelle Lernverfahren ein übermäßig positives Bild davon, wie gut die Resistenzvorhersage funktioniert.

„Wir wollten untersuchen, wie sich die verzerrte Stichprobenauswahl auf die Leistungsfähigkeit von Machine-Learning-Tools zur Vorhersage von Resistenzen auswirkt“, so Barquist. Die Forschenden konstruierten Szenarien, in denen Resistenzen mit bakteriellen Stammbäumen verknüpft sind. Sie konnten zeigen, dass herkömmliche Ansätze zu überoptimistischen Ergebnissen führen können, die nicht verallgemeinerbar sind. „Wenn die Modelle realistischer bewertet werden, indem sichergestellt wird, dass die Trainings- und Testbakterien nicht aus derselben genetischen Familie stammen, sinkt die Genauigkeit – manchmal sogar drastisch“, bemerkt Erstautorin Yanying Yu, die im Labor von Lars Barquist promoviert hat. Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass Modelle, welche die evolutionären Beziehungen zwischen Bakterien außer Acht lassen, möglicherweise nicht in der Lage sind, echte Resistenzsignale zu erfassen. Dadurch wird ihre Fähigkeit eingeschränkt, genaue Vorhersagen für bisher unbekannte Abstammungslinien zu treffen. Infolgedessen ist es unwahrscheinlich, dass solche Methoden zuverlässige Anhaltspunkte für eine präzise Behandlung liefern, wenn neue pathogene Stämme auftreten.

Die Studie vermittelt einen umfassenden Eindruck vom Ausmaß dieses Problems: „Viele der bisherigen Methoden-Bewertungen waren wahrscheinlich zu optimistisch“, schlussfolgert Barquist. „Um zuverlässige Instrumente zur Vorhersage von Antibiotikaresistenzen zu entwickeln, ist es unerlässlich, die evolutionären Beziehungen der Bakterien zu berücksichtigen“, bemerkt Yu.

Die Forschungsergebnisse bieten wertvolle Ansatzpunkte für die Entwicklung verbesserter Testverfahren und Datensätze und können als Orientierung für zukünftige Modelle und Überwachungssysteme dienen. Damit ermöglichen sie neue methodische Ansätze, die die Struktur von Bakterienpopulationen berücksichtigen und somit präzisere Vorhersagen erlauben.
 

Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung


Originalpublikation:

Yu Y, Wheeler NE, Barquist L: Biased sampling driven by bacterial population structure confounds machine learning prediction of antimicrobial resistance, PLOS Biology (2025), DOI: 10.1371/journal.pbio.3003539, https://doi.org/10.1371/journal.pbio.3003539

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Künstliche Intelligenz Wissenschaft Bayern Niedersachsen
news-35210 Wed, 17 Dec 2025 11:29:51 +0100 Ein Enzym neutralisiert Krankheitserreger durch Toxinspaltung https://www.vbio.de/aktuelles/details/ein-enzym-neutralisiert-krankheitserreger-durch-toxinspaltung Ein Forschungsteam beschreibtin einer aktuellen Studie ein neues Enzym, das das hochgiftige Molekül Malleicyprol unschädlich macht. Malleicyprol gilt als ein wichtiger Virulenzfaktor von Burkholderia-Bakterien, die unter anderem die gefährliche Tropenkrankheit Melioidose auslösen. Die Entdeckung eröffnet neue Wege für Strategien gegen antibiotikaresistente Erreger.  Burkholderia pseudomallei gilt als einer der gefährlichsten bakteriellen Krankheitserreger der Tropen. Die von diesen Bakterien verursachte Erkrankung Melioidose verläuft häufig schwer und ist selbst bei Behandlung mitunter tödlich. „Pro Jahr werden weltweit fast 170.000 neue Infektionen gemeldet, etwa die Hälfte der Betroffenen verstirbt daran“, berichtet Jonas Fiedler. Der Doktorand ist Erstautor der Publikation und arbeitet im Team von Christian Hertweck, Professor für Naturstoffchemie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena und Leiter der Studie am Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie (Leibniz-HKI).

Gefährlich wird der Erreger durch das Toxin Malleicyprol, es greift die Zellen an und verursacht so die Krankheit. „Verantwortlich dafür ist eine kleine, hochreaktive chemische Struktur im Molekül, der sogenannte Cyclopropanol-Ring“, erklärt Fiedler.

Ein bisher übersehenes Gen kodiert für ein Enzym, das den reaktiven Molekülteil zerstört

Obwohl Malleicyprol ein wichtiger Faktor für die Virulenz von Burkholderia-Spezies ist und dessen Biosynthese weitgehend verstanden war, blieb die Funktion eines Enzyms unklar: „Uns fiel ein kleines Gen auf, das ein unbekanntes Protein kodiert. Wir konnten diesem Genprodukt aber keine Funktion in der Toxinbildung zuordnen. Diese Lücke wollten wir schließen und schalteten das Gen gezielt aus, um dessen Rolle zu verstehen“, erinnert sich Fiedler.

Die Bakterien produzierten zwar weiterhin das giftige Malleicyprol, eine inaktive Variante des Moleküls fehlte jedoch plötzlich. „Das Gen muss also ein Enzym kodieren, das das Toxin in diese ungefährliche Form umwandelt“, so Fiedler.

Die Forschenden interessierte nun, wie genau das Enzym – es trägt den Namen BurK – die Molekülstruktur verändert. Dabei entdeckten sie einen bemerkenswerten Mechanismus: BurK benutzt eisenhaltige Verbindungen, um sehr reaktive Teilchen (Radikale) zu erzeugen. Diese spalten den für die Toxizität entscheidenden Cyclopropanol-Ring und machen Malleicyprol damit unschädlich. „Das war eine echte Überraschung“, so Fiedler. „Es war vorher kein Enzym in der Natur bekannt, das einen Cyclopropanol-Ring gezielt spaltet.“ Er erklärt weiter: „Natürlich entschärft das Bakterium das Toxin nicht, um Menschen zu schützen. Vielmehr reguliert es die Menge des Toxins mithilfe des Enzyms BurK.“

Schutz im Modellorganismus

Um zu prüfen, ob BurK auch in einem lebenden System wirkt, setzte das Forschungsteam das verantwortliche Gen in E. coli-Bakterien ein und brachte diese anschließend mit Nematoden – winzigen Fadenwürmern – zusammen, die zusätzlich das giftige Malleicyprol verabreicht bekamen. „Die Würmer, die das Toxin zusammen mit Bakterien mit BurK aufnahmen, konnten besser überleben“, berichtet Fiedler. Kontrollwürmer, die das Toxin und Bakterien ohne das Enzym erhielten, starben, weil das Toxin wirksam blieb. Damit zeigte sich, dass BurK Malleicyprol auch im lebenden Organismus neutralisieren kann.

Die Forschenden entdeckten sehr ähnliche Gene auch in anderen Bakterienarten, was darauf hindeutet, dass die gebildeten Enzyme eine wichtige Rolle im Zusammenspiel mit anderen Organismen spielen könnten. Einige Mikroorganismen könnten sich so möglicherweise gegen Toxine anderer Bakterien schützen oder sogar symbiotische Partner – wie Nematoden – vor dem schädlichen Malleicyprol bewahren.

Genmodifizierte Bakterien gegen Krankheitserreger?

Auch wenn die genaue Funktion dieser Enzyme in der Natur noch unklar ist, sind für den Menschen praktische Anwendungen denkbar: „Das Bakterium, das wir generiert haben, könnte man therapeutisch nutzen, um Malleicyprol zu neutralisieren. Die Übertragbarkeit auf menschliche Infektionen muss aber noch gründlich untersucht werden“, sagt Fiedler. Realistischer sei zunächst ein Einsatz in der Umwelt, etwa in Regionen, in denen Burkholderia-Bakterien natürlicherweise im Boden vorkommen: „Man könnte betroffene Böden dekontaminieren, um toxische Effekte zu reduzieren“, so Fiedler. „Auch das müsste man zunächst gründlich testen.“

In jedem Fall zeigt das Forschungsteam, dass die Natur ein erstaunliches Repertoire an Werkzeugen besitzt, wovon viele dem Menschen noch verborgen sind. Das Enzym BurK ist ein bemerkenswertes Beispiel dafür. Studienleiter Christian Hertweck resümiert: „Unsere Arbeit zeigt, dass man die Gefährlichkeit eines Krankheitserregers gezielt neutralisieren kann, ohne ihn direkt abtöten zu müssen. Das eröffnet uns neue Perspektiven für den zukünftigen Umgang mit antibiotikaresistenten Bakterien und könnte langfristig Teil neuartiger Therapien werden.“

Leibniz-HKI


Originalpublikation: 

Fiedler J, Richter I, Dornblut K, Scharf A, Hertweck C (2025) Inactivation of the Burkholderia Toxin Malleicyprol by Enzymatic Cyclopropanol Ring Opening. Angew Chem Int Ed, https://doi.org/10.1002/anie.202521105

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Wissenschaft Thüringen
news-35209 Wed, 17 Dec 2025 10:41:40 +0100 Wider den Funktionsverlust von kleinen Hirngefäßen https://www.vbio.de/aktuelles/details/wider-den-funktionsverlust-von-kleinen-hirngefaessen Eine neue Studie zeigt, wie Erkrankungen kleiner Blutgefäße im Gehirn entstehen. Die sogenannte zerebrale Kleingefäßerkrankung kann zu weit verbreiteten Folgen führen wie Durchblutungsstörungen, Blutungen und oft schweren Schlaganfällen; und sie gilt als eine der Hauptursachen für eine Demenz.  Angesichts der Häufigkeit dieses ernsten und lebensgefährlichen Leidens – Schlaganfälle zum Beispiel sind die häufigste Ursache für langfristige Behinderungen und die zweithäufigste Todesursache – ist es erstaunlich, „dass die Medizin bisher vergleichsweise wenig über die zellulären und molekularen Mechanismen bei der Entstehung der zerebralen Kleingefäßerkrankung wusste“, sagt Prof. Dr. Martin Dichgans, Direktor des Instituts für Schlaganfall- und Demenzforschung (ISD) des LMU Klinikums München. Denn es ist einerseits kaum möglich, die winzigen Adern im menschlichen Gehirn direkt zu untersuchen. Andererseits „standen bisher kaum geeignete experimentelle Modelle zur Verfügung, mit denen sich im Reagenzglas oder auch im Organismus untersuchen lässt, was genau auf zellulärer oder molekularer Ebene bei Kleingefäßerkrankungen passiert“, sagt Prof. Dr. Dominik Paquet, Professor für Neurobiologie am Institut für Schlaganfall- und Demenzforschung (ISD).

Doch in den vergangenen Jahren haben die Münchner Wissenschaftler Endothelzellen sowohl in Mäusen als auch in einem aus induzierten pluripotenten Stammzellen (iPS) entwickelten menschlichen Modell genetisch so verändert, dass sie bestimmte Proteine nicht mehr produzieren können. Endothelzellen bilden die innerste Schicht der Gefäßwände, an denen das Blut entlangfließt: und sie sind der Schauplatz, an dem die Erkrankung häufig beginnt. Durch die gezielte Ausschaltung des Foxf2-Gens - eines von den Forschern zuvor identifizierten Risikogens für Schlaganfall - fehlt den Zellen das entsprechende Protein, was zu einer Verschlechterung der Funktion von kleinen Hirngefäßen führt, vor allem zu einer Störung der Blut-Hirn-Schranke, die das Gehirn vor schädlichen Einflüssen schützt. „Damit“, erklärt Martin Dichgans, „ist das Fehlen von Foxf2 ohne Zweifel eine der grundlegenden Ursachen der zerebralen Kleingefäßerkrankung.“

Nun ist Foxf2 ein Transkriptionsfaktor, der viele weitere Gene aktiviert - unter anderem, wie die Münchner Forschenden herausfanden, das Gen Tie2 und dessen nachgeschaltete Gene im sogenannten Tie-Signalweg. Ein in Endothelzellen normal aktiviertes Tie2-Gen beziehungsweise ein normal arbeitender Tie2-Signalweg sind entscheidend daran beteiligt, die Gefäße gesund zu halten. Ohne Tie2 steigt zum Beispiel das Risiko für Entzündungsreaktionen in den Endothelzellen größerer Gefäße, das wiederum fördert Arteriosklerose („Arterienverkalkung“) und das Schlaganfall- und Demenz-Risiko. „Wir haben unsere Ergebnisse auf verschiedenen molekularen Ebenen abgesichert“, sagt Prof. Martin Dichgans, Direktor des Instituts für Schlaganfall- und Demenzforschung (ISD). „Und wir konnten ihre Relevanz für den Menschen auch in Experimenten mit unserem neuentwickelten menschlichen Blutgefäßmodell bestätigen“, sagt Paquet.

Last not least haben die Forschenden auch eine Therapie gegen die gestörte Funktion der kleinen Hirngefäße getestet, die auf ihren neuen Erkenntnissen beruht. Der Medikamenten-Wirkstoff AKB-9778 aktiviert spezifisch Tie2. „Durch die Behandlung konnten wir nicht nur den Tie2-Signalweg normalisieren, sondern auch die gestörte Gefäßfunktion wiederherstellen“, sagt Neurologe Dichgans. Mit dieser Therapie könnte eventuell auch das Risiko für Schlaganfall und Demenz gesenkt werden.

„Ich würde jetzt gerne verkünden, dass wir schon eine Studie mit Patienten vorbereiten, in denen dieser Wirkstoff geprüft wird“, sagt Dichgans, „aber es ist augenblicklich nicht ganz einfach an die Substanz heranzukommen, weil sie gerade in klinischen Studien für den Einsatz bei Augenerkrankungen geprüft wird.“ Die Forschenden suchen nun nach verwandten Wirkstoffen, die sich für die klinische Erprobung bei Kleingefäßerkrankungen eignen könnten.

LMU Klinikum München


Originalpublikation:

Todorov-Völgyi, K., González-Gallego, J., Müller, S.A. et al. The stroke risk gene Foxf2 maintains brain endothelial cell function via Tie2 signaling. Nature Neuroscience (2025). 
DOI: https://doi.org/10.1038/s41593-025-02136-5

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