VBIO News http://example.com VBIO News de Copyright Mon, 30 Jun 2025 14:17:11 +0200 Mon, 30 Jun 2025 14:17:11 +0200 TYPO3 news-32917 Mon, 30 Jun 2025 12:35:40 +0200 Vertragen sich Eichhörnchen und Schlafmäuse? https://www.vbio.de/aktuelles/details/vertragen-sich-eichhoernchen-und-schlafmaeuse Kommen Tierarten, die in Baumkronen leben, miteinander aus? Wälder, in denen verschiedene Arten von Laub- und Nadelbäumen kombiniert werden, begünstigen das Zusammenleben von Eichhörnchen und Schlafmäusen, auch Bilche genannt. Mithilfe von Kameras in Baumkronen fand ein Forschungsteam der Universität Göttingen heraus, dass rote Eichhörnchen Nadelwälder bevorzugen, während Schlafmäuse, wie etwa der Siebenschläfer oder die Haselmaus, eher in Buchenwäldern zu finden sind. In Wäldern mit einer Kombination aus beiden Baumarten kamen jedoch beide Tierarten vor, was darauf hindeutet, dass Mischwälder zur Förderung der Artenvielfalt beitragen können.  Die Studie wurde in Norddeutschland durchgeführt und umfasste 80 Kameras, die in unterschiedlichen Höhen an Bäumen angebracht waren: Von 2 Metern über dem Boden bis hin zu 30 Metern Höhe. Dazu mussten die Forschenden mit Hilfe professioneller Baumkletterer auf jeden Baum klettern, um die Kameras in den Baumkronen zu installieren, zu inspizieren und zu bergen. Die Kameras zeichneten Tiere automatisch auf und wurden durch Bewegung und Wärme aktiviert, wenn Tiere ihr Sichtfeld passierten. Während der siebenmonatiger Beobachtungszeit wurden in 20 verschiedenen Wäldern 468 Sichtungen von Eichhörnchen und 446 von Schlafmäusen registriert. Unter den Sichtungen der Schlafmäuse waren es 249 Siebenschläfer und 197 Haselmäuse. Anhand dieser Daten konnten die Forscher die Wahrscheinlichkeit des Vorkommens der einzelnen Arten im Zusammenhang mit der Anzahl der Buchen und der Präsenz anderer Baumsäugetierarten berechnen.

„Unsere Ergebnisse zeigen, dass Schlafmäuse und Eichhörnchen einander nicht aus dem Weg gehen. Sie können in Mischwäldern sogar recht gut zusammenleben“, so Erstautor Pedro Mittelman, Doktorand in der Abteilung Wildtierwissenschaften der Universität Göttingen. „Das ist eine großartige Nachricht, denn sie zeigt, dass forstwirtschaftliche Praktiken, die Baumarten kombinieren, der Tierwelt zugute kommen können“. Das Forschungsteam unterstreicht die Bedeutung von Mischwäldern in der Forstwirtschaft als eine Möglichkeit, die biologische Vielfalt auch in einem Umfeld der Holzproduktion zu erhalten.

Die Forschung im Graduiertenkolleg „Der Einfluss funktionaler Eigenschaften beigemischter Koniferen auf die Funktionsweise von Rotbuchenökosystemen“ (EnriCo) an der Universität Göttingen wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) finanziert und ist Teil der laufenden Bemühungen, die Funktionsweise von reinen und gemischten Waldökosystemen besser zu verstehen.

Universität Göttingen


Originalpublikation:

Mittelman P, Pineda M, Balkenhol N (2025): Mixed broadleaf-conifer forests promote coexistence of red squirrels and doormice. European Journal of Wildlife Research, 71:67. DOI: 10.1007/s10344-025-01947-y

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Wissenschaft Niedersachsen
news-32916 Mon, 30 Jun 2025 12:31:05 +0200 Pigmente, die mehr können https://www.vbio.de/aktuelles/details/pigmente-die-mehr-koennen Die Aufklärung der Struktur und Herkunft der so genannten „Yellow Affinity Substance“ (YAS, „Gelbe Affinitätssubstanz“) liefert neue Erkenntnisse über den Zelluloseabbau durch das Bakterium Clostridium thermocellum (neuer Name: Acetivibrio thermocellus). Es wird vermutet, dass das gelbe Pigment eine entscheidende Rolle bei der Umwandlung von pflanzlicher Biomasse in verwertbaren Zucker spielt, was neue Perspektiven für die Biokraftstoffproduktion ermöglicht. Außerdem eröffnet die Studie neue Ansätze in der Antibiotikaforschung.  Anaerobe Bakterien – Meister des Überlebens ohne Sauerstoff

Anaerobe Bakterien gehörten zu den ersten Lebensformen auf der Erde und existierten bereits zu einer Zeit, als es noch keinen Sauerstoff in der Atmosphäre gab. Während viele Organismen zum Überleben auf eine sauerstoffreiche Umgebung angewiesen sind, gedeihen Anaerobier an Orten, an denen andere nicht überleben können – in völlig sauerstofffreien Lebensräumen wie dem menschlichen Darm oder dem Meeresboden. Die Enzyme dieser Bakterien sind sogar empfindlich gegenüber Sauerstoff. Ihre bemerkenswerte Anpassungsfähigkeit zieht zunehmend die Aufmerksamkeit der Forschung auf sich.

Anaerobe Bakterien produzieren oft ungewöhnliche Substanzen. Das macht sie für die Forschung und Biotechnologie besonders interessant, zum Beispiel für die Produktion von Antibiotika oder Biokraftstoffen. Außerdem sind sie unverzichtbare Akteure im natürlichen Nährstoffkreislauf, indem sie organisches Material wie Zellulose abbauen und Nährstoffe wieder an das Ökosystem abgeben.

Ein Signalstoff mit einer Schlüsselrolle

Clostridium thermocellum ist eines der bekanntesten anaeroben Mikroben, wenn es um den Abbau von Zellulose – dem Hauptbestandteil der pflanzlichen Zellwände – geht. Es wandelt Zellulose in Zucker um, die dann zur Herstellung von Biokraftstoffen wie Ethanol verwendet werden können. Ein auffälliges gelbes Pigment, das von dem Bakterium produziert wird (YAS – Yellow Affinity Substance), spielt bei diesem Prozess eine Schlüsselrolle. YAS lagert sich bevorzugt an Zellulosefasern an. Es wird angenommen, dass YAS dabei hilft, die abbauenden Enzyme genau dorthin zu steuern, wo Zellulose vorhanden ist.

Strukturanalyse von bakteriellen Pigmenten

Forschenden des Leibniz-Instituts für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie – Hans-Knöll-Institut (Leibniz-HKI) und des Max-Planck-Instituts für chemische Ökologie in Jena ist es nun erstmals gelungen, die molekulare Zusammensetzung von YAS aufzuklären. Die Wissenschaftler*innen fanden heraus, dass YAS aus mehreren Komponenten, sogenannten Celluxanthenen, besteht und bestimmten deren Molekülstrukturen durch spektroskopische Analysen (NMR, MS) und Isotopenmarkierungsexperimente. Darüber hinaus identifizierten sie durch gezielte genetische Manipulation das verantwortliche Biosynthese-Gencluster.

Ein Pigment mit medizinischem Potenzial?

Überraschenderweise zeigen die Pigmente eine Wirkung gegen bestimmte Mikroorganismen. Die Celluxanthene haben eine milde antibiotische Aktivität gegen Gram-positive Bakterien – darunter auch klinisch relevante, resistente Erreger. Das Verständnis der genetischen Grundlagen der Biosynthese eröffnet zudem die Möglichkeit, Celluxanthene in Zukunft zu produzieren oder zu verändern. Die Erstautor*innen Keishi Ishida und Jana Krabbe sehen vielversprechende Ergebnisse: „Obwohl die gelben Pigmente schon seit fast einem Jahrhundert bekannt sind, blieb ihre Struktur bisher ein Rätsel. Wir können nun damit beginnen, mögliche ökologische Funktionen zu untersuchen, zu denen auch die antibakterielle Aktivität zur Verteidigung der Nahrungsquelle (Zellulose) gegen Konkurrenten gehört.“

Ein Schritt in Richtung einer nachhaltigen Zukunft

Die Entdeckung und Charakterisierung der Celluxanthene schlägt eine Brücke zwischen unserem Verständnis des mikrobiellen Stoffwechsels und praktischen Anwendungen in der Energiebranche – und vielleicht in der medizinischen Forschung der Zukunft. Die Erkenntnisse könnten auch dazu beitragen, die Nutzung von Pflanzenbiomasse zu optimieren.

Die Forschung ist Teil des Projekts „AnoxyGen“, für das Christian Hertweck mit einem der angesehenen ERC Advanced Grants des Europäischen Forschungsrats ausgezeichnet wurde. Hertweck ist Abteilungsleiter am Leibniz-HKI und Professor an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. „AnoxyGen zielt darauf ab, das verborgene Potenzial von anaeroben Bakterien zur Bildung neuer bioaktiver Naturstoffe zu erschließen“, erklärt Hertweck. „Viele dieser Mikroorganismen tragen in ihrem Genom Gene für die Produktion von wertvollen Verbindungen, die aber unter Standard-Laborbedingungen meist inaktiv bleiben.“ Das Team entwickelt neue molekularbiologische Methoden, um diese versteckten Biosynthesewege zu aktivieren – Methoden, die bisher hauptsächlich für aerobe (sauerstoffabhängige) Mikroben existieren. Ziel ist es, bisher unbekannte Naturstoffe mit medizinischem oder biotechnologischem Wert zu entdecken und nutzbar zu machen. AnoxyGen verbindet die moderne synthetische Biologie mit der Entdeckung von Wirkstoffen und könnte neue Möglichkeiten für die pharmazeutische Entwicklung eröffnen.

Das Projekt AnoxyGen trägt auch zum Exzellenzcluster „Balance of the Microverse“ bei, der die komplexen Signal- und Kommunikationsmechanismen innerhalb mikrobieller Gemeinschaften untersucht, die das Leben auf der Erde bestimmen.

Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie - Hans-Knöll-Institut 


Originalpublikation:

Ishida K, Krabbe J, Meisinger PR, Shabuer G, Schieferdecker S, Cyrulies M, Tank C, Barnes E, Paetz C, Hertweck C (2025) Discovery and Biosynthesis of Celluxanthenes, Antibacterial Arylpolyene Alkaloids from Diverse Cellulose-Degrading Anaerobic Bacteria. Angew Chem Int Ed 64 (24), e202503697, https://doi.org/10.1002/anie.202503697

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Wissenschaft Biobusiness Thüringen
news-32915 Mon, 30 Jun 2025 12:14:18 +0200 Wie sich das frühe Herz entwickelt https://www.vbio.de/aktuelles/details/wie-sich-das-fruehe-herz-entwickelt Der Ionenkanal PIEZO2 verarbeitet nicht nur Berührungsreize. Wie ein Team um Annette Hammes vom Max Delbrück Center in Nature Cardiovascular Research berichtet, ist er auch für das Wachstum der Herzkranzgefäße wichtig. Die Erkenntnisse könnten helfen, angeborene Herzleiden besser zu verstehen.  Unsere Haut spürt selbst einen leisen Lufthauch. Zu verdanken ist ihre Sensibilität speziellen Ionenkanälen, die in den Membranen ihrer Zellen liegen und dort auf feinste mechanische Reize reagieren. Dass einer dieser Kanäle, PIEZO2, zudem eine wichtige Rolle bei der Entwicklung der Herzkranzgefäße und des Herzens spielt, hat ein Team um Dr. Annette Hammes gezeigt. Die Forscherin leitet am Max Delbrück Center die Arbeitsgruppe „Molekulare Signalwege in der kortikalen Entwicklung“. Erschienen ist ihre Arbeit im Fachblatt „Nature Cardiovascular Research“.

Weitere Arbeitsgruppen des Max Delbrück Center waren an der Studie maßgeblich beteiligt, darunter die Teams der Professoren Gary Lewin, Holger Gerhardt und Norbert Hübner. „An unserem Zentrum bündeln wir unterschiedliche Fachkompetenzen, um zentrale biologische Prozesse zu verstehen“, sagt Hammes. Die Ergebnisse der jüngsten Kooperation tragen dazu bei, die Ursachen angeborener Herzerkrankungen herauszufinden – mit dem Ziel, sie künftig früher erkennen und behandeln zu können. „Zudem könnte PIEZO2 eine neue Zielstruktur für Therapien gegen Herz-Kreislauf-Erkrankungen werden“, erläutert Hammes.

Fehlerhafte Herzkranzgefäße

Gemeinsam mit ihren Kolleg*innen konnte die Erstautorin der Studie, Dr. Mireia Pampols-Perez aus Hammes’ Team, an Mausmodellen zeigen, dass sich die Koronararterien ohne PIEZO2 nicht korrekt entwickeln: Fehlt der Ionenkanal, bleiben die feinen Gefäße zu eng oder verzweigen sich anders als gewöhnlich. Dadurch wird der Herzmuskel nicht ausreichend mit Sauerstoff versorgt. Ähnliche Fehlbildungen traten bei Mäusen mit einer überaktiven PIEZO2-Variante auf, die beim Menschen unter anderem eine seltene Erbkrankheit, das Marden-Walker-Syndrom, hervorruft. In beiden Fällen verdickte sich besonders in der linken Herzkammer das Herzmuskelgewebe – vermutlich infolge des gestörten Wachstums der Gefäße.

„Genomweite Assoziationsstudien deuten darauf hin, dass Mutationen im PIEZO2-Gen auch beim Menschen kardiovaskuläre Erkrankungen wie Herzinsuffizienz, Bluthochdruck oder Aneurysmen verursachen können“, sagt Hammes. „Fehlfunktionen des Ionenkanals während der Embryonalentwicklung führen vermutlich zunächst zu kaum erkennbaren Gefäßveränderungen – die im Alter oder bei starker körperlicher Belastung aber schwere Herzprobleme auslösen können.“

Gewöhnlich ist PIEZO2 nur bei Embryonen in den Endothelzellen der Koronararterien, die die Innenseite der Gefäße auskleiden, aktiv. Spätestens nach der Geburt stellt der Kanal dort in der Regel seine Arbeit ein. „Es gibt aber Hinweise, dass er im erwachsenen Herzen unter bestimmten Bedingungen wieder exprimiert wird und dann möglicherweise die Regeneration von Gefäßen fördern kann“, berichtet Hammes. „Das ist natürlich ein sehr spannender Aspekt – zum Beispiel bei der koronaren Herzkrankheit oder nach einem Infarkt.“

Neue Optionen für Diagnostik und Prävention

Aktuell untersucht ihr Team daher gemeinsam mit Kolleg*innen des Helmholtz-Instituts für translationale AngioCardioScience (HI-TAC) in Heidelberg und Mannheim sowie der Technologie-Plattform „Pluripotente Stammzellen“ des Max Delbrück Center, inwieweit sich die an Mäusen gewonnenen Erkenntnisse über PIEZO2 auf den Menschen übertragen lassen. Dazu nutzen die Forschenden humane Endothelzellen, die sie aus pluripotenten Stammzellen gewinnen. „Mit diesen Modellen möchten wir herausfinden, wie sich die Expression und die Aktivität von PIEZO2 beim Menschen gezielt beeinflussen lassen“, sagt Hammes. 

Der medizinische Nutzen ihrer Forschung ist vielfältig. „Die aktuelle Studie erweitert das Verständnis für angeborene Herzfehler und ergänzt die Liste von Genen, die sich für die Diagnostik und Prävention nutzen lassen“, erklärt Hammes. „Unsere Ergebnisse können so dazu beitragen, genetisch bedingte Herz-Kreislauf-Erkrankungen früher zu erkennen – und langfristig vielleicht sogar zu verhindern.“

Max Delbrück Center


Originalpublikation:

Pampols-Perez, M., Fürst, C., Sánchez-Carranza, O. et al. Mechanosensitive PIEZO2 channels shape coronary artery development. Nat Cardiovasc Res (2025). doi.org/10.1038/s44161-025-00677-3

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Wissenschaft Berlin
news-32914 Mon, 30 Jun 2025 10:26:35 +0200 Aus unserer Arbeit - VBIO-Jahresbericht 2024 online https://www.vbio.de/aktuelles/details/aus-unserer-arbeit-vbio-jahresbericht-2024-online Der aktuelle VBIO-Jahresbericht 2024 ist jetzt online verfügbar und bietet einen Einblick in die Aktivitäten und Positionen des VBIO. Unsere neuen Online-Angebote konnten wir auch 2024 kontinuierlich ausbauen und waren erneut ein überzeugender Ansprechpartner für Politik, Presse und Wissenschaft. Der Verband hat in den vergangenen Jahren mit seinem breiten Spektrum an Themen – von Tierschutz und Wissenschaftskommunikation bis hin zu innovativen biowissenschaftlichen Innovationen – die Bedeutung der Biowissenschaften in Gesellschaft und Politik hervorgehoben. Der VBIO setzt mit bewährten Formaten wie dem „Berufsfeld-Infoabend“, dem „Softskill-Seminar“, der Weiterbildungsreihe „Faszination Biologie“ und dem „VBIO-Dialogforum“ Maßstäbe für die Weiterentwicklung der Biowissenschaften. Der VBIO-Jahresbericht 2024 gibt einen Einblick in unser Engagement für Wissenschaft und Gesellschaft, für Bildung, Ausbildung und Karriere sowie der Aktivitäten vor Ort und unsere Informationsangebote.

Hier geht es zum Jahresbericht 2024

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VBIO Bundesweit
news-32912 Fri, 27 Jun 2025 12:13:12 +0200 SCEP3 als Schlüsselprotein für die Meiose entdeckt https://www.vbio.de/aktuelles/details/scep3-als-schluesselprotein-fuer-die-meiose-entdeckt Ein bisher unbekanntes Protein, das eine zentrale Rolle bei der pflanzlichen Reproduktion spielt, wurde jetzt von Forschenden am IPK Leibniz-Institut entdeckt. Das Protein SCEP3 ermöglicht es Pflanzen, während der Meiose ihre Chromosomen – die Träger der Erbinformation - zu durchmischen und präzise zu verteilen. Dieser Prozess ist entscheidend für den Erhalt der genetischen Vielfalt. Die Meiose ist ein entscheidender Prozess der geschlechtlichen Fortpflanzung. Dabei entstehen Keimzellen mit einem reduzierten Chromosomensatz (Pollen und Eizellen in Pflanzen), die dann bei der Befruchtung wieder zu einem Nachkommen mit der ursprünglichen Chromosomenzahl verschmelzen. Zu Beginn der Meiose findet auch eine Rekombination (der reziproke Austausch zwischen homologen Chromosomen der Ektern) statt, welche für die genetische Vielfalt verantwortlich ist.

Eine zentrale Struktur während der Meiose ist der sogenannte Synaptonemale Komplex. Dabei handelt es sich um eine Art „Reißverschluss“ aus Proteinen, der die homologen Chromosomen miteinander verknüpft und so den Austausch von genetischem Material ermöglicht. Diese Austauschvorgänge (Crossover) sind wichtig, da sie Gene neu kombinieren und so die genetische Vielfalt der Nachkommen sicherstellen. Ihre Anzahl und Verteilung entlang der Chromosomen ist jedoch limitiert, was die mögliche genetische Variation in der Züchtung einschränkt.

In der Modellpflanze Arabidopsis thaliana waren bisher lediglich die drei Proteine ZYP1, SCEP1 und SCEP2 als wesentliche Bestandteile des Komplexes charakterisiert. Über die Existenz weiterer Proteine sowie deren Rolle bzw. Funktion war nichts bekannt. Das neu entdeckte Protein SCEP3 gehört ebenfalls zu diesem Komplex - und liegt dort genau in der Mitte.

Um dessen Funktion zu untersuchen, erzeugten die Forschenden mittels der präzisen Genom-Editierungs-Technologie CRISPR/Cas9 gezielt mutierte Arabidopsis-Pflanzen. Mit Hilfe von hochauflösender Mikroskopie konnten sie die genaue Position von SCEP3 im synaptonemalen Komplex visualisieren und dessen Interaktion mit anderen Proteinen verfolgen. Darüber hinaus zeigte sich in den Nachkommen dieser Mutanten eine erhöhte Anzahl sowie eine zufällige Verteilung von Rekombinationsereignissen. Zudem waren keine Unterschiede mehr in der Anzahl der Crossover zwischen männlichen und weiblichen Keimzellen erkennbar - normalerweise ist die Anzahl der weiblichen Crossover geringer als die der männlichen Crossover in Arabidopsis thaliana.

„Wir haben herausgefunden, dass SCEP3 ein entscheidendes Bauteil des synaptonemalen Komplexes ist. Es ist evolutionär in Pflanzen konserviert, und ohne SCEP3 kann der Komplex nicht aufgebaut werden“, sagt Dr. Chao Feng, Erstautor der Studie. Doch das neu entdeckte Protein spielt nicht nur bei dessen Bildung eine entscheidende Rolle. „Unsere Ergebnisse zeigen, dass SCEP3 auch maßgeblich die Verteilung und Anzahl der Crossover beeinflusst.“

„Die Studie erweitert unser Wissen über die komplexen Mechanismen der Meiose und der genetischen Rekombination, die für die Evolution und Vielfalt des Lebens entscheidend sind. Da SCEP3 evolutionär konserviert ist, deutet dies auf ähnliche Funktionen in anderen Pflanzenarten und sogar anderen Organismen hin“, erklärt Dr. Stefan Heckmann, Leiter der unabhängigen Arbeitsgruppe „Meiose“ am IPK. „Durch ein besseres Verständnis der Steuerung der Crossover können Züchter künftig gezielter neue Sorten mit vorteilhaften Eigenschaften entwickeln. Dies könnte letztlich die Anpassung von Nutzpflanzen an den Klimawandel und ihre Resistenz gegen Krankheiten und Schädlinge verbessern was Ertragssicherheit, aber zudem auch Ertragssteigerungen bedeutet.“

Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung


Originalpublikation:

Feng et al. (2025): The synaptonemal complex central element SCEP3 interlinks synapsis initiation and crossover formation in Arabidopsis thaliana. Nature Plants.
DOI: 10.1038/s41477-025-02030-9 

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Wissenschaft Sachsen-Anhalt
news-32910 Fri, 27 Jun 2025 11:57:45 +0200 Gefährdete Säugetiere: Populationen auf kleinen Inseln sind genetisch gesünder https://www.vbio.de/aktuelles/details/gefaehrdete-saeugetiere-populationen-auf-kleinen-inseln-sind-genetisch-gesuender In Südostasien liegt ein Biodiversitäts-Hotspot der Erde: Die als Wallacea bezeichnete Region umfasst eine Gruppe hauptsächlich indonesischer Inseln, die für ihre außergewöhnliche Artenvielfalt und einen hohen Grad an Endemismus berühmt sind. Ein internationales Team um Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) und der Queen Mary University of London konnten nun zeigen, dass kleinere Inseln innerhalb des Biodiversitäts-Hotspots Wallacea wichtige Rückzugsorte für gefährdete Wirbeltiere sind, da sie höherwertige Lebensräume bieten als größere.
Die Forschenden untersuchten die genetische Gesundheit von Hirschebern (Babirusa), die zur Familie der Schweine gehören, und Anoa, die zu den Wildrindern gehören. Beide Arten sind stark gefährdet und leben nur auf der größeren Insel Sulawesi sowie kleinen benachbarten Inseln. Lange galten kleine Inselpopulationen als besonders aussterbegefährdet. Doch Wallacea erlebt derzeit rasante Landnutzungsänderungen, die insbesondere die Lebensräume auf größeren Inseln wie Sulawesi stark beeinträchtigen.

Mehr Inzucht auf Sulawesi

Dadurch haben die Populationen der kleinen Inseln einen überraschenden Vorteil, wie genetische Analysen von 113 Individuen beider Arten von verschiedenen Inseln nachwiesen: Tiere auf kleineren, weniger gestörten Inseln wiesen zwar eine geringere genetische Vielfalt auf – aber auch deutlich weniger schädliche Mutationen. Im Gegensatz dazu zeigten Populationen auf Sulawesi ein höheres Maß an Inzucht und schädlichen genetischen Variationen – bedingt durch intensiveren Lebensraumverlust und menschliche Einflüsse. „Die Lebensraumqualität auf den kleineren Inseln war höher als auf Sulawesi, und diese Gebiete waren im Allgemeinen gut geschützt. Auf den Togian-Inseln beispielsweise liegt ein Großteil des Landes innerhalb eines großen Nationalparks“, erklärt Dr. Rosie Drinkwater (LMU und Queen Mary), gemeinsam mit Dr. Sabhrina Gita Aninta (Queen Mary) Erstautorin der Studie. 

Kleine Inseln als Rückzugsorte für gefährdete Arten

„Große Populationen von Wirbeltieren auf kleinen Inseln werden oft als gefährdet angesehen“, sagt Paläogenomiker Laurent Frantz, Professor an der LMU und der Queen Mary University, der die Studie mit leitete. „Aber der Schutz kleiner Inseln ist oft einfacher – unsere Studie zeigt, dass sie enormes Potenzial haben, als Rückzugsorte für gefährdete Arten zu dienen.“ 

„Natürlich nur, solange ihr Lebensraum intakt bleibt“, ergänzt Aninta. Sie sind nach wie vor gefährdet, da sie nicht viele Paarungsmöglichkeiten oder gar Lebensraum haben. „Daher sollten kleine Inseln in nationalen Entwicklungsprogrammen nicht vernachlässigt werden. Die Überwachung ihrer gegenwärtigen und zukünftigen genetischen Vielfalt ist entscheidend, um sicherzustellen, dass sie weiterhin langfristig bestehen.“ 

Insgesamt stellen diese Ergebnisse nach Ansicht der Forschenden herkömmliche Naturschutzansätze infrage und unterstreichen, wie wichtig es ist, sich stärker auf den Schutz auch der hochwertigen Lebensräume kleiner Inseln zu konzentrieren.

LMU


Originalpublikation:

S.G. Aninta, R.Drinkwater et al.: The importance of small island populations for the long-term 4 survival of endangered large-bodied insular mammals. PNAS 2025
https://doi.org/10.1073/pnas.2422690122

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Wissenschaft Bayern
news-32909 Fri, 27 Jun 2025 11:37:18 +0200 Kalziumkanal im Ohr: Wie ein winziger Fehler das Hören beeinflusst https://www.vbio.de/aktuelles/details/kalziumkanal-im-ohr-wie-ein-winziger-fehler-das-hoeren-beeinflusst Wie die minimale Veränderung eines einzelnen Ionenkanals die Empfindlichkeit der Sinneszellen im Innenohr erhöht, zeigen Forschende der Universitätsmedizin Göttingen (UMG) und des Göttinger Exzellenzclusters „Multiscale Bioimaging“ (MBExC). Bereits leise Geräusche wie ein Flüstern werden besser wahrgenommen, verursachen aber eine anhaltende Überlastung, die langfristig den Verlust des Gehörs begünstigen kann. Diese Erkenntnisse vertiefen das Verständnis dafür, wie Schallinformationen im Ohr verarbeitet werden.  Haarsinneszellen übernehmen im Innenohr die Umwandlung von Schall in elektrische Signale. Trifft ein Geräusch im Innenohr auf die Haarsinneszellen, geraten diese je nach Intensität des Schalls in Schwingung: leises Flüstern führt zu einer leichten Schwingung, je lauter der Ton, desto heftiger die Schwingungen. Durch diese Bewegung erfolgt eine Spannungsänderung in der Haarsinneszelle, die letztlich zur Öffnung von Kanälen in der Membran führt, durch die Kalzium in das Zellinnere strömt. Dieser Kalziumeinstrom führt zu der Freisetzung eines Botenstoffs an den Kontaktstellen zwischen Haarsinnes- und Hörnervenzellen, den sogenannten Synapsen, der die nachgeschalteten Hörnervenzellen aktiviert. Das elektrische Signal wird über die Hörbahn an das Gehirn weitergeleitet, wo der Schall als Ton oder Geräusch wahrgenommen wird. 

Bei der Signalübertragung von Haarsinneszellen auf Hörnervenzellen spielen Kalziumkanäle des Typs CaV1.3 eine entscheidende Rolle. Sie reagieren sehr empfindlich auf Spannungs-änderungen in der Zelle, die sich durch das eintreffende Schallsignal ergeben. Der Funktionsverlust dieser Kanäle kann zu Beeinträchtigungen führen, die von Hörproblemen bis hin zur Taubheit reichen. Mögliche Ursachen für diesen Funktionsverlust können minimale Veränderungen im Erbgut sein, wodurch es zu einer fehlerhaften Bildung des Kanals kommt. 

Ein Forschungsteam um Prof. Dr. Tobias Moser, Direktor des Instituts für Auditorische Neurowissenschaften der Universitätsmedizin Göttingen (UMG) und Sprecher des Exzellenzclusters „Multiscale Bioimaging: Von molekularen Maschinen zu Netzwerken erregbarer Zellen“ (MBExC), hat nun den Einfluss eines genetisch veränderten CaV1.3-Kanals, kurz CaVAG, auf die Schallverarbeitung zwischen Haarsinneszellen und Hörnervenzellen im Tiermodell untersucht. Die CaVAG-Variante basiert auf einer winzigen Veränderung im Bauplan des Kalziumkanals, weist aber im Vergleich zu dem intakten Kanal eine erhöhte Empfindlichkeit gegenüber Spannungsänderungen in der Haarsinneszelle auf. Das bedeutet, dass der CaVAG-Kalziumkanal eine niedrigere Aktivierungsschwelle hat und sich auf den gleichen Reiz viel eher öffnet als ein intakter Kanal. Die CaVAG-Variante des CaV1.3-Kanals ist auch bereits beim Menschen beschrieben und wird mit einem erhöhten Risiko für Autismus-Spektrums-Störungen bei Kindern in Zusammenhang gebracht. 

Die Göttinger Forschenden und ihre Kooperationspartner*innen vom Shanghai Institute of Precision Medicine in China und von der Universität Innsbruck, Österreich, konnten erstmals zeigen, dass die erhöhte Empfindlichkeit der CaVAG-Kalziumkanäle in den Haarsinneszellen die Aktivierung der nachgeschalteten Hörnervenzellen direkt beeinflusst und deren Antwortverhalten auf Schallsignale steuert. Durch die höhere Empfindlichkeit der CaVAG-Kalziumkanäle gegenüber den Spannungsänderungen der Haarsinneszellen wird somit auch die Reizschwelle der Hörnervenzellen herabgesetzt, die die Geräuschinformation an das Gehirn weiterleiten. Dies beeinflusst auch die spontane Aktivität der Hörnervenzellen, die nun auch ganz ohne Schallreiz, bei völliger Stille, aktiver sind als normal. 

„Die erhöhte Empfindlichkeit der CaVAG-Variante des Kalziumkanals hilft zwar kurzfristig, leise Töne besser wahrzunehmen, aber im Tiermodell zeigte sich, dass einige Kontaktstellen zwischen Haarsinnes- und Hörnervenzellen langfristig ihre Struktur verlieren – und zwar ganz ohne laute Musik oder sonstige Lärmeinwirkung. Allein der ‚normale’ Geräuschpegel im Tierhaus reicht dafür offenbar aus. Es sieht so aus, als würde der durch die genetische Veränderung verursachte überaktive Kalziumeinstrom das System überlasten“, sagt Prof. Moser, Letztautor der Studie. „Wir könnten hier auf molekularer Ebene eine neue Form der schleichenden Hörschädigung sehen – eine Art versteckten Hörverlust, den man mit normalen Hörtests aktuell gar nicht erfassen kann.“

Universität Göttingen


Originalpublikation:

Karagulyan N, Thirumalai A, Michanski S, Qi Y, Fang Q, Wang H, Ortner NJ, Striessnig J, Strenzke N, Wichmann C, Hua Y, Moser T. Gating of hair cell Ca2+ channels governs the activity of cochlear neurons. Science Advances (2025). DOI: 10.1126/sciadv.adu7898, www.science.org/doi/10.1126/sciadv.adu7898

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Wissenschaft Niedersachsen
news-32908 Fri, 27 Jun 2025 11:28:47 +0200 Internationale Studie deckt genetische Risikofaktoren für die Alzheimer-Krankheit in verschiedenen Bevölkerungsgruppen auf https://www.vbio.de/aktuelles/details/internationale-studie-deckt-genetische-risikofaktoren-fuer-die-alzheimer-krankheit-in-verschiedenen-bevoelkerungsgruppen-auf Ein Vergleich von genetischen Daten aus der ganzen Welt zeigt viele allgemeine sowie eine bevölkerungsspezifische genetische Veranlagung für die neurodegenerative Krankheit Alzheimer. Die Ergebnisse ermöglichen präzisere und inklusivere Behandlungsmöglichkeiten Eine neue internationale Studie, die vom Konsortium der European Alzheimer‘s and Dementia Biobank (EADB) koordiniert wurde, gibt Aufschluss darüber, welche genetischen Risikofaktoren für die Alzheimer-Krankheit in verschiedenen Bevölkerungsgruppen existieren und welche universell verbreitet sind. Die Studie ist die erste weltweite Untersuchung von polygenen Risikoscores (polygenic risk score – PRS) und deren Zusammenhang mit der Wahrscheinlichkeit, an Alzheimer zu erkranken. PRS bezeichnet einen Wert, der die geschätzte genetische Anfälligkeit einer Person für bestimmte Krankheiten misst. Die Wissenschaftler*innen analysierten Daten von Bevölkerungsgruppen aus Europa, Asien, Afrika, Nordamerika, Südamerika und Australien. Von der Universität zu Köln waren Professor Dr. Dr. Alfredo Ramirez und sein Team von der Abteilung für Neurogenetik der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Uniklinik Köln sowie vom Exzellenzcluster für Alternsforschung CECAD beteiligt.

Ein zentrales Ergebnis ist die Identifizierung von zwei unterschiedlichen genetischen Signaturen für die häufigeren, komplexen Formen der Alzheimer-Krankheit. Die eine Signatur wird in erster Linie von einem einzigen genetischen Faktor, dem Apolipoprotein E (APOE), bestimmt. Bei der anderen spielt hingegen die Kombination und Interaktion von etwa 75 weiteren genetischen Varianten eine Rolle. Die Studie ergab, dass die zweite Signatur in allen Populationen weitgehend übereinstimmt, was auf einen gemeinsamen biologischen Mechanismus schließen lässt, der für einen erheblichen Teil des weltweiten Alzheimer-Risikos verantwortlich ist. Die Ergebnisse der Studie „Transferability of European-derived Alzheimer‘s disease polygenic risk scores across multiancestry populations“ sind in dem Fachjournal Nature Genetics erschienen. 

Seit über acht Jahren widmen sich Professor Ramirez und sein Team in Köln der Genetik von Alzheimer in bisher wenig untersuchten Bevölkerungsgruppen, insbesondere aus Lateinamerika. Als einer der Studienleiter und Mitglied des EADB-Lenkungsausschusses leitet Ramirez die Forschungsvorhaben des Konsortiums zur genetischen Vielfalt von Alzheimer. Diese Arbeit hat bereits wichtige Ergebnisse, besonders für lateinamerikanische Kohorten, hervorgebracht, die in wissenschaftlichen Fachzeitschriften veröffentlicht wurden.

Da die genetische Vielfalt in verschiedenen Ländern zunimmt, ist es von entscheidender Bedeutung zu verstehen, welche Risikofaktoren bevölkerungsspezifisch und welche in allen Bevölkerungen gleich sind. Diese Forschung ist von großer Bedeutung für die Präzisionsmedizin, bei der Präventionsmaßnahmen und Behandlungsmethoden von Krankheiten auf die genetische Beschaffenheit von Einzelpersonen und Bevölkerungsgruppen zugeschnitten werden können. 

Die Wissenschaftler*innen ermittelten die polygenen Risikoscores anhand der aktuellen Genome-Wide Association Study (GWAS) zur Alzheimer-Krankheit (veröffentlicht in Nature Genetics im Jahr 2022). Die statistische Übersicht enthält eine genomweite Liste der genetischen Varianten, die mit der Krankheit in Verbindung stehen, und gibt an, wie stark die einzelnen Varianten zum Risiko beitragen. Anhand einer Unterscheidung zwischen der Gruppe der an Alzheimer Erkrankten und der gesunden Kontrollpersonen in der Datenbank ermittelten die Forschenden, wie gut der PRS-Wert zwischen ihnen unterscheidet. 

Die aktuelle Studie konnte feststellen, dass die Auswirkungen des APOE-Gens in den verschiedenen Populationen sehr unterschiedlich sind, im Gegensatz zu den anderen 75 genetischen Varianten, die weltweit als genetische Risikofaktoren für Alzheimer gelten. Diese Variabilität bei APOE ist wahrscheinlich auf derzeit noch nicht bekannte genetische Unterschiede innerhalb der genomischen Region zurückzuführen, die das APOE-Gen enthält. Dies deutet darauf hin, dass dieses Gen eine zentrale Rolle bei den unterschiedlichen Prävalenz- und Risikowerten in den verschiedenen ethnischen und regionalen Gruppen spielt. 

Außerdem ergab die Studie, dass polygene Risikoscores in allen untersuchten Populationen spezifisch für die Alzheimer-Krankheit und nicht für Demenz im weiteren Sinne sind, weshalb eine genaue klinische Diagnose notwendig ist. Dieses Ergebnis zeigt zudem, dass polygene Risikoscores sich als Instrument zur Verbesserung klinischer Studien eignen könnten, da Wissenschaftler*innen Personen mit einem hohen genetischen Risiko für Alzheimer identifizieren und Personen mit potenziellen diagnostischen Unsicherheiten ausschließen können.

Alfredo Ramirez sagt: „In einer Zeit, in der Einwanderung und Vielfalt zunehmend politisiert werden, unterstreicht diese Studie die Bedeutung integrativer Wissenschaft. Bisher befassten sich die meisten Forschungsarbeiten mit Personen europäischer Abstammung, die in Industrieländern leben. Das stellte die Verallgemeinerbarkeit und Gerechtigkeit hinsichtlich unterversorgter Bevölkerungsgruppen aus Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen und unterschiedlicher ethnischer Herkunft infrage. Unserer Studie zeigt, wie globale Zusammenarbeit und die Berücksichtigung der genetischen Vielfalt nicht nur das wissenschaftliche Verständnis verbessern, sondern auch die gesundheitliche Chancengleichheit und Integration fördern. Unsere Forschungsarbeit verdeutlicht, dass die globale Gesundheit nur verbessert werden kann, wenn die Wissenschaft alle Menschen berücksichtigt und ihnen gleichermaßen dient, unabhängig von ihrer Herkunft.“

Die neue Studie ermöglicht es, die zugrunde liegende Biologie der Alzheimer-Krankheit besser zu verstehen, indem sie genetische Komponenten vergleicht und analysiert. Somit ebnet sie den Weg für umfassendere, wirksamere und gezieltere Behandlungsstrategien. Die Autor*innen sehen darin einen großen Fortschritt im weltweiten Kampf gegen die Alzheimer-Krankheit.

Universität Köln


Originalpublikation:

Nicolas, A., Sherva, R., Grenier-Boley, B. et al. Transferability of European-derived Alzheimer’s disease polygenic risk scores across multiancestry populations. Nat Genet (2025). doi.org/10.1038/s41588-025-02227-w

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Wissenschaft Nordrhein-Westfalen
news-32907 Fri, 27 Jun 2025 11:07:08 +0200 Folgen einer abnormalen Chromosomenzahl weiter entschlüsselt https://www.vbio.de/aktuelles/details/folgen-einer-abnormalen-chromosomenzahl-weiter-entschluesselt Dass eine abnormale Chromosomenzahl zu einem Proteinungleichgewicht in den betroffenen Zellen führt, ist seit einigen Jahren bekannt. Wie sich ein solches Ungleichgewicht im Detail auswirkt, haben Forschende der RPTU untersucht. Dabei haben sie überraschenderweise festgestellt, dass Proteomveränderungen die Funktion der Mitochondrien beeinträchtigen. Das wiederum könnte für die medikamentöse Behandlung von Krebserkrankungen relevant sein. Jede gesunde menschliche Zelle enthält 23 Chromosomenpaare, die während eines Prozesses, der als Zellteilung bezeichnet wird, dupliziert und gleichmäßig auf zwei Tochterzellen verteilt werden müssen. Wenn dabei jedoch etwas schiefgeht, erhält eine Tochterzelle ein zusätzliches Chromosom, während der anderen Tochterzelle ein Chromosom fehlt. Dieser Zustand einer unausgewogenen Chromosomenzahl wird als Aneuploidie bezeichnet und kommt besonders häufig in Krebszellen und in Zellen von Menschen mit Downsyndrom vor. „Schon ein einziges zusätzliches Chromosom führt zu vielen Problemen für die Zelle. Darunter fällt die Produktion unnötiger Proteine aus den zusätzlichen Chromosomen, die den Mechanismus der Zelle zur Aufrechterhaltung eines gesunden Proteingleichgewichts stören. Wie sich all dies jedoch auf molekularer Ebene manifestiert, ist noch nicht klar“, erklärt Professorin Zuzana Storchová vom Fachgebiet Molekulare Genetik der RPTU. 

In einer aktuellen Studie haben Forschende um Zuzana Storchová, Leiterin des Fachgebiets Molekulare Genetik an der RPTU, und Prince Saforo Amponsah die damit verbundenen Prozesse in Zelllinien genauer entschlüsselt. Aus der nahezu diploiden Darmkrebszelllinie HCT116 wurden im Labor Zelllinien mit einer oder zwei zusätzlichen Chromosomenkopien hergestellt.

Die Forschenden konnten zeigen, dass Zellen mit zusätzlichen Chromosomen membranlose Strukturen, sogenannte Proteinaggregate, in ihrem Zytoplasma ansammeln. Diese Proteinaggregate enthalten hauptsächlich ein Protein namens Sequestrosom 1 (SQSTM1, auch bekannt als p62) – ein bekannter Rezeptor, der bereits bei der Verwertung defekter Proteine und beschädigter Zellorganellen identifiziert wurde. „Wir haben beobachtet, dass die Konzentration dieses Proteins in Zellen mit zusätzlichen Chromosomen höher war und dass die Menge mit der Größe des zusätzlichen Chromosoms zunahm“, sagt Prince Saforo Amponsah.

Die Forschenden fanden außerdem heraus, dass Zellen mit zusätzlichen Chromosomen eine veränderte mitochondriale Struktur und Funktion aufweisen. Der Grund: Mitochondriale Vorläuferproteine werden in p62-positiven Aggregaten sequestriert, also gewissermaßen „beschlagnahmt“, was wiederum ihren Transport in die Mitochondrien beeinträchtigt. „Da zusätzliche Chromosomen bei Krebs, Trisomie-Syndromen und verschiedenen anderen pathologischen Zuständen wie dem Altern häufig vorkommen, stellen unsere Zelllinien ein physiologisch relevantes Modellsystem für die Untersuchung der Auswirkungen von Proteom-Ungleichgewichten in menschlichen Zellen dar“, beschreibt Zuzana Storchová die Besonderheiten ihrer Forschung. „Unsere Forschung zeigt einen bisher unbekannten Zusammenhang zwischen genomischen Anomalien, proteotoxischem Stress und mitochondrialer Homöostase.“

Das Fazit: Obwohl Krebszellen Chromosomenanomalien aufweisen und ein Proteom-Ungleichgewicht zeigen, sind sie interessanterweise in der Lage, proteotoxischen Stress zu tolerieren, der für normale Zellen oft schädlich ist. „Unsere Ergebnisse deuten nun darauf hin, dass Krebszellen dafür möglicherweise ihren mitochondrialen Stoffwechsel ändern“, sagt Prince Saforo Amponsah. Diese Eigenschaft könnte zu einer erhöhten Arzneimittelresistenz bei aneuploiden Krebsarten beitragen. Prince Saforo Amponsah: „Langfristig hoffen wir, dass unsere Forschung mehr Licht in diesen Aspekt bringt und zu neuen therapeutischen Strategien zur Verbesserung der Gesundheit von Krebspatienten beiträgt.“

Rheinland-Pfälzische Technische Universität Kaiserslautern-Landau


Originalpublikation:

Amponsah, P.S., Bökenkamp, JE., Kurpa, O. et al. Aneuploidy-induced proteostasis disruption impairs mitochondrial functions and mediates aggregation of mitochondrial precursor proteins through SQSTM1/p62. Nat Commun 16, 5328 (2025). doi.org/10.1038/s41467-025-60857-4

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Wissenschaft Rheinland-Pfalz
news-32906 Fri, 27 Jun 2025 10:58:44 +0200 Blütenpflanzen nutzen ein Pseudoenzym für die Bildung von Indol https://www.vbio.de/aktuelles/details/bluetenpflanzen-nutzen-ein-pseudoenzym-fuer-die-bildung-von-indol Ein katalytisch totes Enzym ermöglicht die Bildung von freiem Indol für die pflanzliche Verteidigung und Kommunikation.  Pflanzen bilden eine erstaunliche Vielfalt chemischer Substanzen. Die meisten dieser Stoffwechselprodukte sind an der chemischen Kommunikation von Pflanzen beteiligt und dienen der Verteidigung gegen Schädlinge, dem Schutz vor Krankheitserregern oder als Lockstoff für Nützlinge. Ein Beispiel hierfür ist die chemische Verbindung Indol: eine stickstoffhaltige aromatische Verbindung, die als zentrales Zwischenprodukt bei der Biosynthese der Aminosäure Tryptophan fungiert. In vielen Pflanzen dient Indol auch als Ausgangssubstanz für die Bildung von Abwehrstoffen. Flüchtiges Indol wird von vielen Pflanzen bei Schädlingsbefall freigesetzt, um Schädlinge abzuschrecken oder benachbarte Pflanzen vor einem drohenden Angriff zu warnen Auf diese Weise wird die Widerstandskraft der Pflanze gestärkt. Zudem kann Indol als Bestandteil von Blütendüften Bestäuber anlocken.

Ein Forschungsteam um Matilde Florean und Tobias Köllner in der Abteilung Naturstoffbiosynthese am Max-Planck-Institut für chemische Ökologie erforscht Enzyme, die an der Biosynthese von Benzoxazinoiden beteiligt sind. Dabei handelt es sich um eine Gruppe von spezialisierten Abwehrstoffen in Pflanzen, für deren Herstellung Indol als Vorstufe benötigt wird. Bei einigen Pflanzenarten wie Mais und Rittersporn, die zu den Einkeimblättrigen bzw. den basalen Zweikeimblättrigen gehören, sind die für die Indol-Biosynthese verantwortlichen Enzyme bereits bekannt und aktiv. Bei anderen zweikeimblättrigen Blütenpflanzen sind diese Enzyme jedoch nur schwach aktiv. „Deshalb vermuteten wir, dass diese Pflanzen einen anderen, effizienteren Mechanismus für die Indol-Biosynthese haben”, beschreibt Erstautorin Matilde Florean den Ausgangspunkt für ihre Untersuchungen.

Pseudoenzym spielt bei der Bildung von Indol eine Schlüsselrolle

Mithilfe der Modellpflanze Nicotiana benthamiana testete das Team viele verschiedene Enzyme, die für den entscheidenden Syntheseschritt von Indol infrage kommen könnten. Darüber hinaus führten sie enzymatische Tests mit gereinigten Proteinen in vitro durch. Auf diese Weise fanden die Forschenden heraus, dass die Biosynthese von Indol in diesen Pflanzen durch das Pseudoenzym TSB-like vermittelt wird. Pseudoenzyme sind Proteine, die echten aktiven Enzymen sehr ähnlich sind, jedoch über keine katalytische Aktivität verfügen.

Das Pseudoenzym TSB-like ähnelt strukturell dem Enzym TSB (Tryptophan-Synthase Beta-Untereinheit), ist jedoch im Gegensatz zu TSB nicht an der Bildung von Tryptophan beteiligt. TSB bindet normalerweise an ein anderes Enzym, TSA (Tryptophan-Synthase Alpha-Untereinheit), und aktiviert es. Dabei wird auch kurzzeitig Indol gebildet, aber umgehend von TSB zu Tryptophan umgewandelt. Im Gegensatz dazu bindet TSB-like zwar auch an TSA und aktiviert dieses, aber im Zusammenspiel zwischen dem Pseudoenzym TSB-like und dem Enzym TSA wird Indol nicht zu Tryptophan umgewandelt, sodass es als flüchtige Verbindung freigesetzt werden kann.

„In der Regel suchen wir nach Enzymen, die für die uns interessierende Reaktion katalytische Aktivität zeigen. Enzyme, die keine solche Aktivität aufweisen, sind für uns normalerweise von sehr geringem Interesse. Umso erstaunlicher war es, dass die Indol-Biosynthese durch ein Pseudoenzym vermittelt wird, dass die Aktivität eines aktiven Enzyms zur Herstellung von Indol für die Emission flüchtiger Stoffe oder die Biosynthese spezialisierter Abwehrstoffe umleitet“, fasst Tobias Köllner die wichtigsten Erkenntnisse der Studie zusammen.

Pseudoenzyme sind tatsächlich nicht leicht zu entdecken, da sie ohne den passenden Bindungspartner keine enzymatische Aktivität zeigen. Sie sind jedoch gar nicht so selten und können bis zu zehn Prozent des Proteoms, also der Gesamtheit aller Proteine, ausmachen. In dem vergleichsweise jungen Forschungsgebiet der Pseudoenzyme gibt es noch viele offene Fragen hinsichtlich der Rolle dieser Proteine. Das Forschungsteam möchte nun herausfinden, wie Pflanzen die Aktivität von Pseudoenzymen wie TSB-like regulieren. Im Mittelpunkt steht dabei insbesondere die Frage, wie Pflanzen verhindern, dass TSB-like mit dem katalytisch aktiven TSB-Enzym um die essentielle Tryptophan-Biosynthese konkurriert. „Die Entschlüsselung der Mechanismen, mit denen die große und wirtschaftlich bedeutende Gruppe der Blütenpflanzen Indol produziert, ist auch für die moderne Landwirtschaft relevant“, sagt Sarah O’Connor, Leiterin der Abteilung Naturstoffbiosynthese. Denkbar ist beispielsweise die gezielte Züchtung von Pflanzen, die für Bestäuber attraktiver und weniger anfällig für Krankheitserreger und Schädlinge sind.

Max-Planck- Institut für chemische Ökologie


Originalpublikation:

Florean, M., Schultz, H., Grabe, V. et al. A pseudoenzyme enables indole biosynthesis in eudicot plants. Nat Chem Biol (2025). doi.org/10.1038/s41589-025-01943-y

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Wissenschaft Thüringen