VBIO News http://example.com VBIO News de Copyright Tue, 28 Oct 2025 13:04:55 +0100 Tue, 28 Oct 2025 13:04:55 +0100 TYPO3 news-33903 Tue, 28 Oct 2025 12:34:43 +0100 Landnutzung zwischen Biodiversität, Ernährung und Klimaschutz https://www.vbio.de/aktuelles/details/landnutzung-zwischen-biodiversitaet-ernaehrung-und-klimaschutz Weltweit steht die Landnutzung im Zentrum zahlreicher Krisen unserer Zeit: Klimawandel, Biodiversitätsverlust, soziale Ungerechtigkeit und Ernährungsunsicherheit verbinden sich zu einer Polykrise, die durch nicht-nachhaltige Praktiken wie industrielle Landwirtschaft verschärft wird. Um diese Herausforderungen zu bewältigen, müssen große Teile der Erdoberfläche mehrere Nutzungsansprüche gleichzeitig erfüllen – von Artenschutz über Lebensmittelerzeugung bis hin zu menschlicher Erholung. Hier setzen multifunktionale Landschaften an, die ökologische, soziale und wirtschaftliche Ziele verbinden.  Forschende der Universitäten Göttingen und Kassel haben ausgewertet, wie solche Formen der Landnutzung den Naturschutz und die Wiederherstellung von Ökosystemen unterstützen können. In einem Review-Artikel zeigen sie Wege auf, Landnutzung und Naturschutz mit integrativen Ansätzen neu zu gestalten. Der Artikel wurde in der Fachzeitschrift Nature Reviews Biodiversity veröffentlicht.

„Nur wenn wir Synergien und Nutzungskonflikte verstehen, können wir Landnutzungssysteme entwickeln, die Ernährung sichern, Klima regulieren, Erholung ermöglichen und zugleich die biologische Vielfalt bewahren“, erklärt Dr. Marion Jay, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Department für Agrarökonomie und Rurale Entwicklung der Universität Göttingen. Vor diesem Hintergrund analysierten die Forschenden theoretische Konzepte und praktische Ansätze der Landnutzung aus verschiedenen Kontinenten und Zeiträumen. In ihrem Artikel stellen sie eine Vielzahl an Modellen vor, die Biodiversität und Multifunktionalität in Landschaften fördern. 

Die daraus hervorgehenden Landschaften sind vielfältig, so die Forschenden. Was sie aber oftmals gemeinsam haben, sei ein eng vernetztes Mosaik aus Wäldern, Ackerflächen, Weideland und teils Siedlungen, das mehrere Nutzungsansprüche in Einklang bringt. Traditionelle Weide- und Agroforstwirtschaft nennen sie als bewährte Beispiele. Beides werde durch globale Trends wie die Mechanisierung der Landwirtschaft jedoch verdrängt. Andere, moderne multifunktionale Landnutzungssysteme würden dagegen weltweit gefördert, etwa „urbane grüne und blaue Infrastruktur“. Stadtwälder, Parks oder städtische Feuchtgebiete sind dabei so gestaltet, dass sie beispielsweise dem menschlichen Wohlbefinden, der Biodiversität, der Regulierung von Wetterextremen und der urbanen Landwirtschaft dienen können. Auch zur Wiederherstellung zerstörter Natur trage multifunktionale Landnutzung bei. Ein im Artikel beschriebenes Beispiel dafür ist die Paludikultur: Sie verbindet durch die bodenschonende Bewirtschaftung wiedervernässter Moore die Produktion von Biomasse, etwa Schilf oder Rohrkolben, mit dem Erhalt feuchter Lebensräume und der Wiederherstellung von Ökosystemleistungen wie Kohlenstoffspeicherung und Wasserregulierung.

Um multifunktionale Landnutzungskonzepte wirksam in Naturschutz- und Renaturierungsmaßnahmen zu integrieren, brauche es Engagement auf verschiedenen Ebenen: „Sektorübergreifende Zusammenarbeit, etwa zwischen Landwirtschaft, Naturschutz und Stadtplanung, ist entscheidend. Das gilt auch in Landschaften, in denen der Schutz der biologischen Vielfalt im Vordergrund steht, wie in Schutzgebieten“, so Prof. Dr. Tobias Plieninger, Leiter des Fachgebiets für Sozial-ökologische Interaktionen in Agrarsystemen an den Universitäten Göttingen und Kassel. „Genauso wichtig sind finanzielle Förderung und die Unterstützung nicht nur öffentlicher, sondern auch privater Investitionen und neuer Geschäftsmodelle.“

Georg-August-Universität Göttingen


Originalpublikation:

Jay & Plieninger. Addressing landscape multifunctionality in conservation and restoration. Nature Reviews Biodiversity (2025). https://doi.org/10.1038/s44358-025-00091-4

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Nachhaltigkeit/Klima Wissenschaft Niedersachsen
news-33902 Tue, 28 Oct 2025 10:54:41 +0100 Fossil enthüllt frühe Evolution der Stechmücken https://www.vbio.de/aktuelles/details/fossil-enthuellt-fruehe-evolution-der-stechmuecken Ein seltener Fossilfund zeigt, wie weit die Ursprünge der heute lebenden Stechmückenarten zurückreichen.  In 99 Millionen Jahre altem Bernstein entdeckten LMU-Forschende die bisher älteste bekannte Stechmücken-Larve. Das kreidezeitliche Fossil stammt aus der Region Kachin in Myanmar und hat sich in ausgezeichnetem Zustand erhalten. Es konnte als neue Art einer neuen Gattung beschrieben werden und trägt nun den Namen Cretosabethes primaevus. Dieser erste fossile Nachweis einer Stechmückenlarve in Bernstein stellt gleichzeitig den ersten Fossilfund einer Mückenlarve aus dem Mesozoikum dar, denn aus diesem Erdzeitalter waren bislang ausschließlich Fossilien von adulten Mücken bekannt. 

Noch bemerkenswerter ist jedoch der Körperbau des Insekts: „Dieses Fossil ist einzigartig, weil die Larve den modernen Arten sehr ähnelt – im Gegensatz zu allen anderen bekannten Fossilfunden von Steckmücken aus dieser Zeit, die sehr ungewöhnliche und bei heutigen Arten nicht mehr vorhandene morphologische Merkmale aufweisen“, sagt Zoologe André Amaral, Erstautor der Studie und Doktorand im Team von Professor Joachim Haug an der Fakultät für Biologie.

Diese ältesten bekannten Fossilien von Stechmücken stammen von adulten Tieren und wurden ebenfalls in etwa 99 Millionen Jahre alten Bernsteinablagerungen gefunden. Aufgrund ihres stark von modernen Arten abweichenden Körperbaus werden sie der Gruppe Burmaculicinae zugeordnet, einer ausgestorbenen Linie innerhalb der Gruppe der Stechmücken (Culicidae). Cretosabethes primaevus hingegen gehört zur Gruppe Sabethini, die auch rezente Arten umfasst.

Die evolutionären Ursprünge der Stechmücken werden anhand der bislang bekannte Fossilien vor etwa 201–145 Millionen Jahren im Zeitalter des Jura verortet. Die Schätzungen aufgrund molekularer Phylogenien gehen weit auseinander und liefern Ergebnisse zwischen der Trias und dem Jura. Der Fund der LMU-Forschenden liefert nun neue Hinweise: „Unsere Ergebnisse deuten sehr darauf hin, dass die Gruppe der Stechmücken sich bereits im Jura diversifiziert hat und dass die Morphologie ihrer Larven seit fast 100 Millionen Jahren bemerkenswert ähnlich geblieben ist“, so Amaral. Dies stelle bisherige Annahmen über die frühe Evolution dieser Insektengruppe infrage und ermögliche neue Einblicke in ihre ökologische Entwicklungsgeschichte.

Wie die Larven der heutigen Arten aus der Gruppe Sabethini lebten demnach auch jene von Cretosabethes primaevus in kleinen Wasseransammlungen, wie sie sich in Astmulden oder zwischen den Blättern epiphytischer Pflanzen bilden. Dass ein Tropfen Harz in so ein Kleinstgewässer fällt und auf diese Weise eine aquatische Larve in Bernstein konserviert wird, ist jedoch eher unwahrscheinlich und somit ein seltener Glücksfall für die Wissenschaft. Die meisten Bernsteinfossilien stammen von terrestrischen oder fliegenden Tieren, die auf und in der Nähe von Harz produzierenden Bäumen lebten. Die häufigsten Gruppen von Arthropoden, die in myanmarischem Bernstein gefunden werden, sind Spinnen, Käfer, Hautflügler (Bienen, Wespen und Ameisen) und Wanzen (Hemiptera) sowie adulte Fliegen (Diptera).

Ludwig-Maximilians-Universität München


Originalpublikation:

André Amaral, Art Borkent, Viktor Baranov, Carolin Haug, and Joachim Haug. First fossil mosquito larva in 99-million-year-old amber with a modern type of morphology sheds light on the evolutionary history of mosquitoes (Diptera: Culicidae). Gondwana Research, 2025. https://doi.org/10.1016/j.gr.2025.09.011

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Wissenschaft Bayern
news-33901 Tue, 28 Oct 2025 10:47:07 +0100 Wanderratten fangen Fledermäuse https://www.vbio.de/aktuelles/details/wanderratten-fangen-fledermaeuse In Norddeutschland gelangen seltene Beobachtungen vom Beutefangverhalten der Wanderratte (Rattus norvegicus). Am Segeberger Kalkberg mit vielen Tausend überwinternden Fledermäusen konnten Forschende vom Museum für Naturkunde Berlin mit Hilfe von Infrarot-Videokameras beobachten, wie Wanderratten in der Schwärmphase der Fledermäuse Jagd auf die nachtaktiven Säugetiere machen. Auch am Lüneburger Kalkberg mit seiner ebenfalls erheblichen Fledermauspopulation konnten Hinweise auf Wanderratten als Beutegreifer von Fledermäusen gefunden werden.  „Unsere Beobachtungen zeigen zum einen, wie anpassungsfähig und geschickt sich Wanderratten in städtischen Ökosystemen Nahrungsquellen erschließen und weisen gleichzeitig auch auf ein Artenschutzproblem durch invasive Tierarten hin. Unseres Wissens ist derartiges Verhalten von Wanderratten noch nicht wissenschaftlich dokumentiert worden“, sagt Florian Gloza-Rausch, Gastwissenschaftler am Museum für Naturkunde Berlin und Erstautor der Studie. Seit langem ist bekannt, dass invasive Nagetiere für erhebliche Verluste an biologischer Vielfalt auf Inseln verantwortlich sind und den Rückgang oder sogar das Aussterben endemischer Arten herbeiführen können.
 
Die Fledermauspopulationen in den innerstädtischen Großwinterquartieren von Bad Segeberg und Lüneburg sind durch die fortschreitende Urbanisierung, Straßenbau und Lichtverschmutzung im Umfeld der Kalkberge zunehmend gefährdet, da es für die aus großer Entfernung anwandernden nachtaktiven Säugetiere immer schwieriger wird, ihre Winterquartiere zu erreichen.  Regelmäßige Beutezüge durch Wanderratten können unter Umständen ebenfalls zu populationsrelevanten Verlusten führen, wie in der Studie durch Berechnungen zu möglichen Beutefangszenarien gezeigt werden konnte.  Dies kann eine ernst zu nehmende Herausforderung für den Artenschutz darstellen.
 
Neben der naturschutzfachlichen Relevanz liefert die Studie auch einen wichtigen Beitrag für das Verständnis von komplexen Wechselwirkungen zwischen Tierpopulationen. Fledermäuse und Nagetiere gelten als Reservoirs für eine Vielzahl zoonotischer Krankheitserreger. Die Beobachtung, dass Wanderratten systematisch Fledermäuse erbeuten, liefert seltene Hinweise auf direkten Kontakt zwischen zwei bedeutenden Wildtierreservoirs in einer städtischen Umgebung und weist auf eine potenzielle Schnittstelle für den Austausch von Krankheitserregern hin. Die Studie betont ausdrücklich, dass die Ergebnisse kein unmittelbares zoonotisches Risiko anzeigen, sondern vielmehr einen Mechanismus aufzeigen, durch den invasive Nagetierpopulationen zur Verstärkung und Umverteilung von Krankheitserregern in städtischen Ökosystemen beitragen könnten. „Eine gezielte Bekämpfung von Wanderratten an wichtigen Fledermaus-Winterquartieren würde sowohl gefährdete Fledermauspopulationen schützen als auch potenzielle Risiken für die öffentliche Gesundheit verringern“, hebt Mirjam Knörnschild vom Museum für Naturkunde Berlin und Co-Autorin der Studie, in diesem Zusammenhang hervor. Ein wichtiger Baustein zur Dezimierung von Rattenpopulationen im städtischen Umfeld ist ein effektives Abfallmanagement und die Bekämpfung von Rattenpopulationen im Abwassersystem.

Museum für Naturkunde Leibniz-Institut für Evolutions- und Biodiversitätsforschung


Originalpublikation:

Florian Gloza-Rausch, Anja Bergmann, Mirjam Knörnschild: Active predation by brown rats (Rattus norvegicus) on bats at urban mass hibernacula in Northern Germany: Conservation and one health implications, Global Ecology and Conservation, 2025, https://doi.org/10.1016/j.gecco.2025.e03894

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Wissenschaft Berlin
news-33900 Tue, 28 Oct 2025 10:40:48 +0100 Wie Geschlechtshormone die Hirnstruktur beeinflussen https://www.vbio.de/aktuelles/details/wie-geschlechtshormone-die-hirnstruktur-beeinflussen In einer aufwändigen Längsschnittstudie untersuchte ein internationales Team den Einfluss der weiblichen Hormone im Zyklusverlauf auf die Muster der Hirnplastizität. Dabei wurde auch die Wirkung hormoneller Verhütung und von Zyklusstörungen wie bei Endometriose berücksichtigt. Die jetzt im Fachjournal Nature Neuroscience veröffentlichten Ergebnisse belegen, dass alle Hirnbereiche den hormonbedingten Schwankungen unterliegen und zu ihrem Verständnis der Blick über den normalen Menstruationszyklus hinaus wichtig ist.  Morgenroutine für die Wissenschaft: Fünf Wochen lang ließen sich drei Frauen und ein Mann jeden Tag nach dem Frühstück ins MRT schieben. Nach dem Hirnscan wurde noch eine Blutprobe genommen und die Konzentration der Eierstock-Hormone Östradiol und Progesteron bestimmt. Auch beantworteten die Versuchspersonen täglich Fragebögen zu Stimmung und Ängstlichkeit. Mit dieser aufwändigen Messreihe verfolgte ein Forschungsteam um die Jenaer Psychologin Dr. Carina Heller, wie sich die Hirnstruktur im Verlauf des weiblichen Hormonzyklus ändert. Um den Einfluss der Hormone besser zu verstehen, wählten sie dafür eine Frau mit regelmäßigem natürlichem Zyklus, eine Frau, die hormonelle Verhütungsmittel einnimmt, eine Frau mit Endometriose und einen Mann, dessen Hormone nicht den zyklischen Veränderungen unterliegen. Zusätzlich betrachtete das Team den frei zugänglichen 28andMe-Datensatz einer weiteren Frau mit einem typischen Menstruationszyklus.

Die natürlichen Schwankungen der Sexualhormone steuern den Menstruationszyklus bei Frauen während der gesamten fruchtbare Lebensphase. Da auch das Gehirn mit Sexualhormonen ausgestattet ist, unterliegt es ebenso entsprechenden Veränderungen. Im gesamten Gehirn, über den vollständigen Zyklus und bei unterschiedlichen hormonellen Konstellationen waren diese noch nie untersucht worden. Die MRT-Messungen zeigten, dass diese Veränderungen nicht nur einzelne Region betreffen, sondern das gesamte Gehirn, einschließlich des Kleinhirns und der subkortikalen Strukturen. „Erstaunlicherweise ergaben bei allen vier Frauen die Volumenänderungen des Gehirns über den Zyklus etwa dasselbe Muster der Hirnregionen. Wie sich aber die Hirnstruktur einer bestimmten Region ändert, unterschied sich individuell je nach den hormonellen Bedingungen deutlich“, erklärt die Erstautorin Carina Heller, die derzeit als Gastwissenschaftlerin an der University of Minnesota und an der University of California in Santa Barbara forscht.

Bei den Frauen mit typischem Zyklus bestimmte vor allem Progesteron die Schwankungen in der Hirnstruktur. Im Gegensatz dazu scheint Östradiol, wenn es das dominierende Hormon während des gesamten Zyklus ist – wie bei der Endometriose oder der Einnahme der Pille – auch auf die strukturelle Gehirndynamik einen größeren Einfluss auszuüben. Carina Heller: „Eine zentrale Erkenntnis unserer Studie ist, dass die Gehirn-Hormon-Kopplung nicht universell, sondern vom hormonellen Milieu abhängig ist. Und dass wir uns bei der Erforschung dieses Zusammenhangs nicht auf ‚normale‘ Zyklen beschränken dürfen.“ 

Weil die Daten von sehr wenigen Testpersonen stammen, können die Resultate nicht uneingeschränkt verallgemeinert werden. Es sind breiter angelegte Messungen notwendig, um diese Ergebnisse zu bestätigen und die interindividuelle Variabilität zu untersuchen. Das Längsschnittdesign, also die wiederholten Messungen bei denselben Personen, ermöglichen es jedoch, individuelle räumlich-zeitliche Muster aufzudecken, die in großen Querschnittsstudien oft verborgen bleiben.

Als individuelle Längsschnittstudie hat das Projekt seinen Anfang genommen: Carina Heller wollte den Einfluss hormoneller Verhütungsmittel auf das Gehirn untersuchen und legte sich dafür selbst ins MRT – jeweils einen Monat lang bevor sie die Pille nahm, währenddessen und nach Absetzen. Ein Datenset der jetzt vorgestellten Studie stammt von der jungen Wissenschaftlerin selbst. „Es ist mein Plan, regelmäßig weitere Messungen vorzunehmen, am liebsten bis zu den Wechseljahren. Denn wir wissen noch viel zu wenig über den Einfluss hormoneller Veränderungen auf das Gehirn.“

Universitätsklinikum Jena


Originalpublikation:

Heller, C., Güllmar, D., Colic, L. et al. Hormonal milieu influences whole-brain structural dynamics across the menstrual cycle using dense sampling in multiple individuals. Nat Neurosci (2025). https://doi.org/10.1038/s41593-025-02066-2

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Wissenschaft Thüringen
news-33898 Mon, 27 Oct 2025 10:33:49 +0100 Alte Mücke, neue Geschichte https://www.vbio.de/aktuelles/details/alte-muecke-neue-geschichte Das Geheimnis um den Ursprung einer der ungewöhnlichsten Stadtbewohnerinnen, der Mücke Culex pipiens molestus, besser bekannt als "London Underground Mosquito", wurde jetzt gelüftet. Entgegen der langjährigen Annahme, dass sich diese unterirdisch lebende Stechmücke erst vor rund 200 Jahren in Londons U-Bahn entwickelte, zeigen neue genomische Analysen: molestus entstand bereits vor mehr als 1.000 Jahren im Mittelmeerraum oder Nahen Osten, vermutlich im Zusammenhang mit der Sesshaftwerdung früher Agrarkulturen, wie ein internationales Forschungskonsortium mit Beteiligung des Bernhard-Nocht-Instituts für Tropenmedizin (BNITM) berichtet. Seit Jahrzehnten kursiert die Geschichte der „U-Bahn-Mücke“, die während des Zweiten Weltkriegs in Londons Tunneln aufgetaucht sei. Menschen lagen dort nachts auf Bahnsteigen, um Schutz vor Bombenangriffen zu suchen und wurden gestochen. Forschende nahmen lange an, eine neue Mücke hätte sich innerhalb weniger Generationen an das Leben unter der Erde angepasst. Doch das stimmt nicht. Die neue Studie zeigt: Evolution verläuft langfristiger.

Die untersuchte Mückenform Culex pipiens molestus lebt vor allem in warmen, feuchten, oft unterirdischen Lebensräumen in Städten. Sie paart sich auf engem Raum, bleibt im Winter aktiv und sticht Menschen. Weibchen entwickeln ihre erste Eierladung auch ohne Blutmahlzeit, eine seltene Fähigkeit namens Autogenie. Doch auch wenn sie nicht zum Stechen gezwungen sind, tun sie es dennoch: Für weitere Gelege benötigen sie Blut; der Stichtrieb bleibt also erhalten. Ihre nahe Verwandte, die oberirdische Form Cx. pipiens pipiens, bevorzugt Vögel, benötigt offene Flächen zur Paarung und hält Winterschlaf. Morphologisch lassen sich beide nicht unterscheiden.

Genomdaten und historische Proben widerlegen den Mythos

Das Forschungskonsortium unter der Leitung von Prof. Lindy McBride und Yuki Haba (Princeton University) sequenzierte die Genome von mehr als 800 Stechmücken aus 44 Ländern, darunter auch historische Exemplare aus Londoner Museen. Die umfassende Analyse zeigt: molestus ist nicht im Untergrund entstanden, sondern oberirdisch im Mittelmeerraum. Zudem fanden die Forschenden Hinweise darauf, dass sich diese Mückenform bereits vor über 1.000 Jahren an vom Menschen geprägte Lebensräume anpasste, lange bevor moderne Städte entstanden.

„Am bemerkenswertesten finde ich, dass sich diese Mücken schon vor Tausenden von Jahren oberirdisch in frühen Siedlungen an den Menschen anpassten“, sagt Dr. Mine Altinli vom BNITM, die ebenso wie Dr. Tatiana Sulesco (BNITM) Mückenproben zu der Studie beisteuerte. „Eigenschaften, die vermutlich als Reaktion auf jene frühen Lebensräume entstanden sind, ermöglichen es ihnen heute, in modernen Städten und unterirdischen Räumen zu gedeihen. Diese langfristige Beziehung zu verstehen, ist entscheidend, um die heutigen Herausforderungen für die öffentliche Gesundheit anzugehen.“

Erkenntnisse für die öffentliche Gesundheit

Die Studie liefert nicht nur eine überraschende Evolutionsgeschichte, sie hat auch aktuelle Relevanz. Cx. pipiens molestus ist ein effizienter Überträger von Viren wie dem West-Nil-Virus. Die Erkenntnis, dass diese Mückenform weit verbreitet und genetisch vielfältig ist, hilft, Übertragungswege besser zu verstehen und liefert Hinweise darauf, wie sich Krankheitsüberträger künftig in städtischen Räumen verhalten könnten.

Bernhard-Noch-Institut für Tropenmedizin


Originalpublikation:

Yuki Haba et al.: Ancient origin of an urban underground mosquito. Science Oct. 2025. doi.org/10.1126/science.ady4515

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Wissenschaft Hamburg
news-33897 Mon, 27 Oct 2025 09:05:30 +0100 Leguane auf Clarion Island lebten schon vor der Ankunft des Menschen in Amerika https://www.vbio.de/aktuelles/details/leguane-auf-clarion-island-lebten-schon-vor-der-ankunft-des-menschen-in-amerika Die Stachelschwanzleguane (Ctenosaura sp.) auf der mexikanischen Insel Clarion sind keine vom Menschen eingeführte Art, wie bisher angenommen wurde. Genetische Analysen zeigen, dass ihre Vorfahren bereits vor rund 425.000 Jahren – also lange vor der Ankunft des Menschen auf dem amerikanischen Kontinent – die Insel besiedelten. Dies hat signifikante Auswirkungen auf den Schutz der Tiere, die bisher als invasive Art galten und ausgerottet werden sollten.  Clarion Island ist die älteste Insel des Revillagigedo-Archipels im Pazifik, etwa 700 Kilometer vor der Westküste Mexikos. Das Eiland entstand vor etwa fünf Millionen Jahren durch vulkanische Aktivität und war nie mit dem Festland verbunden. Ähnlich wie die Galapagos- oder Hawaii-Inseln beherbergt der Archipel eine einzigartige, endemische Tier- und Pflanzenwelt.

Die neuen genetischen Untersuchungen belegen, dass sich die Clarion-Leguane vor fast einer halben Million Jahren von ihren Verwandten auf dem mexikanischen Festland trennten – weit vor der menschlichen Besiedlung Amerikas, die frühestens vor rund 26.000 Jahren begann. Diese überraschende Entdeckung machte ein internationales Team von Forschenden mit Beteiligung des Museums für Naturkunde Berlin. Damit sind die Leguane natürliche Bewohner der Insel und gelangten vermutlich auf Treibholz oder Vegetationsmatten über das Meer.

Diese Erkenntnis hat unmittelbare Auswirkungen auf den Naturschutz: Bisherige Managementpläne sahen die Ausrottung der Leguane vor, da sie als invasive, vom Menschen eingeführte Art galten. Aufgrund der neuen Forschungsergebnisse müssen die Tiere nun als Teil der einheimischen Fauna von Clarion Island betrachtet werden.
Die Geschichte der Insel verdeutlicht, wie stark menschliche Eingriffe Inselökosysteme verändern können. Seit den 1970er Jahren wurden durch die Einführung von Schafen, Schweinen und Kaninchen weite Teile der einst dichten Vegetation zerstört. Erst nach dieser Entwaldung wurden die scheuen Leguane regelmäßig beobachtet – was fälschlicherweise als Hinweis auf ihre Einführung interpretiert wurde.

„Unsere Studie zeigt, wie wichtig genetische und naturhistorische Forschung für den Naturschutz ist“, sagt Daniel G. Mulcahy vom Museum für Naturkunde Berlin. „Nur durch genaue Analysen verstehen wir, welche Arten wirklich zu einem Ökosystem gehören – und wie wir sie effektiv schützen können.“ Die Forschung unterstreicht die Bedeutung evidenzbasierter Strategien für den Schutz sensibler Inselökosysteme und liefert neue Impulse für die Erforschung der Inselbiogeographie und Biodiversität.

Museum für Naturkunde - Leibniz-Institut für Evolutions- und Biodiversitätsforschung


Originalpublikation:

Mulcahy DG, Reyes-Velasco J, Vázquez-Arce DI, Cervantes-Pasqualli JA, Martínez-Gómez JE, and K de Queiroz. 2025. Anthropogenic or natural dispersal: Case of the Spiny-tailed Iguanas (Ctenosaura) on Clarion Island, Mexico. Ecology and Evolution, DOI: 10.1002/ece3.72366, https://doi.org/10.1002/ece3.72366

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Wissenschaft Berlin
news-33896 Mon, 27 Oct 2025 09:01:53 +0100 Der Anfang vom Ende https://www.vbio.de/aktuelles/details/der-anfang-vom-ende Ohne die evolutionäre Herausbildung eines komplexen Verdauungssystems würde es keine großen Säugetiere inklusive Menschen geben. Denn nur dank der effizienten Verarbeitung von Nahrung kann unser Gehirn mit den erforderlichen Energiemengen versorgt werden, die es für all seine aufwendigen Denkprozesse benötigt. Für einen durchgehenden Verdauungstrakt ist allerdings – anders als bei ursprünglichen Lebensformen – nicht nur eine Mundöffnung, sondern auch ein Anus erforderlich, durch den Verdauungsreste den Körper wieder verlassen. Doch woher stammt eigentlich das Ende unseres Verdauungssystems und wann taucht es in der Evolution zum ersten Mal auf? Darauf hat nun der Evolutionsbiologe Prof. Dr. Andreas Hejnol von der Friedrich-Schiller-Universität Jena gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen von der Universität Bergen eine Antwort gefunden: Die hintere Öffnung findet sich erstmals bei winzigen Würmern, die seit rund 550 Millionen Jahren auf der Erde existieren. Die Tiere, die zum Stamm der Xenacoelomorpha gehören, sind meist nicht größer als ein Reiskorn und leben in der Regel auf dem Meeresboden. „Einerseits besitzen sie zwar nur eine Mundöffnung, die Nahrung aufnimmt und den Abfall wieder ausspeit – gleichzeitig gehören sie aber zu den ersten sogenannten Bilateria, sind also symmetrisch aufgebaut mit einer linken und einer rechten Körperhälfte, so wie auch Säugetiere und der Mensch“, sagt Andreas Hejnol. „Sie nehmen also eine sehr interessante Position im Stammbaum der Tiere ein.“ 

Gleiche Gene bei Spermienkanal und Anus 

Bereits vor einigen Jahren hat der Jenaer Zoologe entdeckt, dass Menschen und Xenacoelomorpha für die Bildung ihrer Mundöffnungen auf die gleichen Gene zurückgreifen. Nun untersuchte er, ob es nicht auch genetische Parallelen gibt, die auf eine verwandte hintere Öffnung hindeuten – und er wurde fündig. „Die adulten Tiere bilden meist hinten einen sogenannten Gonoporus aus, einen Kanal, durch den sie Spermien abgeben“, erklärt Andreas Hejnol. „An dieser Öffnung haben wir nun mehrere Gene entdeckt, die auch für die Bildung des Enddarms bei verantwortlich sind.“ 

Um sicherzugehen, dass diese Gene nicht einfach nur auf die hintere Position im Körper hinweisen, lieferte die Natur den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ein hilfreiches Experiment: Bei einer bestimmten Art von Xenacoelomorpha, dem sogenannten Pantherwurm, befindet sich der Gonoporus direkt neben dem Mund im vorderen Bereich des Körpers – und auch er besitzt die Anus-Gene. Außerdem sind bei Jungtieren, die noch nicht geschlechtsreif sind und keinen Spermienkanal besitzen, diese Gene nicht exprimiert. Der Gonoporus ist also das entscheidende Körperteil. 

Große Säugetiere dank komplexer Verdauung

In einer späteren Evolutionsstufe hat sich der Darm schließlich mit dem Spermienkanal verbunden und der Gonoporus entwickelte sich zum Anus. Wann genau das passiert ist, lässt sich noch nicht sagen. Die Xenacoelomorpha – und somit auch der Vorläufer des Afters – sind rund 550 Millionen Jahre alt. Möglicherweise diente die neu entstandene Körperöffnung zunächst der Verdauung und der Fortpflanzung, wie wir das heute noch beispielsweise von Vögeln oder Schnabeltieren kennen, die eine Kloake besitzen. Und auch bei menschlichen Embryonen im Mutterleib teilen sich Genitalien und After zunächst eine Öffnung. 

„Erst die Herausbildung des Anus ermöglichte eine Verdauung, bei der verschiedene Bereiche mit unterschiedlicher Umgebung die Nahrung nach und nach verarbeiten und alle Nährstoffe Stück für Stück herauslösen“, erklärt Andreas Hejnol. „Nur dank dieser viel effizienteren Prozesse konnten Säugetiere größer werden und sich ein so leistungsfähiges Gehirn wie das des Menschen entwickeln, das von allen unseren Organen die meiste Energie benötigt.“

Universität Jena


Originalpublikation:

Andrikou, C., Pang, K., Børve, A. et al. Molecular evidence from xenacoelomorph gonopore formation supports homology with the bilaterian anus. Nat Ecol Evol (2025). doi.org/10.1038/s41559-025-02866-6

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Wissenschaft Thüringen
news-33899 Mon, 27 Oct 2025 08:55:00 +0100 Neue Diagnostikplattform aus Jena erkennt Impflücken und Antibiotikaresistenzen https://www.vbio.de/aktuelles/details/neue-diagnostikplattform-aus-jena-erkennt-impfluecken-und-antibiotikaresistenzen Ein Tropfen Blut genügt, um zu sehen, ob der Impfschutz hält: Forschende am Leibniz-Institut für Photonische Technologien (Leibniz-IPHT) haben gemeinsam mit drei Thüringer Diagnostikunternehmen eine neue Mikroarray-Plattform entwickelt, die helfen soll, Impflücken aufzudecken und antibiotikaresistente Erreger schneller zu erkennen. Die Innovation entstand am InfectoGnostics Forschungscampus Jena und soll zwei zentrale Herausforderungen der öffentlichen Gesundheit adressieren: den Überblick über den Impfschutz und die gezielte Diagnose resistenter Infektionen.  „Unsere Plattform verkürzt die Suche nach geeigneten Antikörpern von Wochen auf Tage“, sagt Sascha D. Braun, Erstautor der Studie in Frontiers in Microbiology. „Damit lassen sich neue Tests deutlich schneller entwickeln – ein großer Vorteil angesichts zunehmender Antibiotikaresistenzen.“

Im Fokus: Resistenzen gegen Reserveantibiotika 

Die Studie untersucht Antikörper, die bakterielle Enzyme nachweisen, welche wichtige Antibiotikaklassen außer Kraft setzen. Dazu zählen Carbapenemasen, die nahezu alle Beta-Laktam-Antibiotika unwirksam machen – eines der größten Risiken der modernen Medizin – oder MCR-1, das gramnegative Bakterien wie Escherichia coli gegen das Reserveantibiotikum Colistin resistent macht. Colistin wird häufig eingesetzt, wenn andere Antibiotika versagen, etwa bei schweren Infektionen in Krankenhäusern.

Der Jenaer Mikroarray testet alle Antikörper gleichzeitig – sowohl als „Fänger“ (bindende Komponente) als auch als „Sucher“ (detektierende Komponente). Das spart Zeit und viele Einzelschritte, die klassische ELISA-Tests erfordern. Rund ein Fünftel der 49 getesteten Antikörper zeigte starke, reproduzierbare Signale und eignet sich damit für den Einsatz in Schnelltests wie Lateral-Flow-Streifen. Ziel ist es, Testergebnisse künftig innerhalb weniger Minuten zu erhalten, bei gleichzeitig hoher Spezifität und Sensitivität.

Impfschutz sichtbar machen: von Masern bis Corona

Bereits 2022 hatten die Forschenden mit der Mikroarray-Technologie gezeigt, dass sich Antikörper gegen Impfstoffe und Infektionen wie Masern, Tetanus oder SARS-CoV-2 nachweisen lassen. Ziel war es, die humorale Immunantwort – also die Antikörperbildung im Blut – nach einer Impfung sichtbar zu machen.

Ein Tropfen Blut genügt, um zu zeigen, ob ausreichend Impfschutz besteht: Auf dem Chip fixierte Antigene wirken als molekulare „Fallen“, an die passende Antikörper binden.
Diese Anwendung ist hochaktuell: Laut WHO und UNICEF wurden 2024 über 127.000 Masernfälle in der europäischen WHO-Region gemeldet, doppelt so viele wie im Vorjahr. Sinkende Impfquoten nach der Corona-Pandemie verschärfen das Problem. Mit der Plattform könnten Impflücken künftig gezielt aufgedeckt werden, etwa bei Schuleingangsuntersuchungen oder Gesundheitschecks für Menschen mit unklarem Impfstatus. 

„Wir wollten eine flexible Testplattform schaffen, die auf neue Gesundheitsrisiken reagieren kann – sei es ein neuer Erreger, eine Impflücke oder eine resistente Infektion“, sagt Projektleiter Prof. Ralf Ehricht vom Leibniz-IPHT und der Universität Jena.

Kooperation mit Thüringer Diagnostikunternehmen

Die Technologie wurde in Kooperation mit INTER-ARRAY by fzmb GmbH (Bad Langensalza), Senova GmbH (Weimar) und -4H-JENA engineering GmbH entwickelt. INTER-ARRAY war maßgeblich an der Entwicklung der Antikörper und Mikroarrays beteiligt, Senova und -4H-JENA engineering brachten ihr Know-how in der Lateral-Flow-Assay-Entwicklung und Systemintegration von Diagnostiklösungen ein. Das Leibniz-IPHT übernahm die vollständige Assayentwicklung, von der Auswahl geeigneter Zielmoleküle über die Etablierung sensitiver Nachweisverfahren bis zur Validierung unter praxisnahen Bedingungen. 

Die Studien ist Teil des vom Bundesministerium für Forschung, Technologie und Raumfahrt (BMFTR) geförderten Projekts RESISTOVAC. Ziel ist eine modulare Multiparameter-Plattform, die Impfschutz und bakterielle Resistenzen gleichermaßen schnell und zuverlässig nachweisen kann.

Zukunft am Leibniz-Zentrum für Photonik in der Infektionsforschung

Durch ihre Modularität lässt sich die Plattform jederzeit erweitern, ein entscheidender Vorteil angesichts weltweit zunehmender Infektions- und Resistenzkrankheiten. In Zukunft soll sie auch am entstehenden Leibniz-Zentrum für Photonik in der Infektionsforschung (LPI) in Jena eingesetzt werden, um neue diagnostische Verfahren schneller aus der Forschung in die Anwendung zu bringen, etwa für den Einsatz in Kliniken, Hausarztpraxen oder mobilen Testzentren.

Leibniz-IPHT


Originalpublikation:

Braun, S. D., Reinicke, M., Diezel, C., Müller, E., Frankenfeld, K., Schumacher, T., et al. (2025). High-throughput screening of monoclonal antibodies against carbapenemases using a multiplex protein microarray platform. Frontiers in Microbiology Volume 16 - 2025. doi: 10.3389/fmicb.2025.1650094. https://doi.org/10.3389/fmicb.2025.1650094
 

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Biobusiness Thüringen
news-33895 Mon, 27 Oct 2025 08:46:53 +0100 VBIO Online-Webinarreihe: „Reproduktionserfolg bei Pflanzen in Zeiten von Klimawandel und Umweltstress“ https://www.vbio.de/aktuelles/details/vbio-online-webinarreihe-reproduktionserfolg-bei-pflanzen-in-zeiten-von-klimawandel-und-umweltstress Die Online-Webinarreihe „Faszination Biologie“ des VBIO wird am 25.11.2025 von 17.00 bis 19.00 Uhr mit dem Thema: „Reproduktionserfolg bei Pflanzen in Zeiten von Klimawandel und Umweltstress“ fortgeführt. Dieses wissenschaftliche Webinar richtet sich nicht nur an Unterrichtende, sondern an alle Interessierten. Der Klimawandel und seine negativen Auswirkungen auf die Fortpflanzung und den Ertrag von Pflanzen bedrohen Ökosysteme, genetische Vielfalt, Ernährungssicherheit und Wohlstand. Besonders betroffen sind Getreidepflanzen wie Weizen, Mais und Reis, aber auch andere Nutzpflanzen wie Kaffee, Kartoffeln und Weinreben sowie Wildpflanzen, beispielsweise in Hochlagen. Schätzungen zufolge wird die globale Weizenproduktion bis zum Ende des Jahrhunderts um 10–25% und die Maisproduktion sogar um 45% sinken. Einige Hochgebirgspflanzen werden möglicherweise ganz verschwinden. Welche Umweltstressoren haben hierbei den größten Einfluss auf die Fertilität, den Ertrag und somit den Reproduktionserfolg von Pflanzen? Welche Anpassungsmaßnahmen sind notwendig? Können wir den Rückgang durch gezielte Züchtung neuer Sorten, die Nutzung robuster Pflanzenarten oder eine veränderte Landnutzung teilweise ausgleichen? 

Der Vortrag erläutert anhand von Beispielen, welche biologischen Prozesse während der Fortpflanzungsphase besonders anfällig für Umweltstress sind, und zeigt Maßnahmen auf, die wir ergreifen können – und müssen –, um den Reproduktionserfolg von Pflanzen langfristig zu sichern.

Der VBIO konnte für dieses Webinar Herrn Prof. Dr. Thomas Dresselhaus (Universität Regensburg, Lehrstuhl Pflanzliche Zellbiologie, Biochemie & Biotechnologie) gewinnen. 

Im Rahmen dieser Online-Webinarreihe „Faszination Biologie“ berichten Wissenschaftler/-innen zu ihrem Forschungsfeld und treten in den Dialog. Monatlich werden andere biologische und biomedizinische Inhalte in den Blick genommen, vertiefend erläutert und anschaulich erklärt. Anschließend werden in der Regel Text- und Bildmaterialien für den Privat- und Dienstgebrauch in z. B. Schule zur Verfügung gestellt. Anknüpfungspunkte zu den Bildungsstandards im Fach Biologie (KMK 18.06.2020) lassen sich in allen Vorträgen finden.

Weitere Vorträge (https://www.vbio.de/informationsangebote/faszination-biologie) folgen und sind schon in der Ankündigung zu finden; hochqualifizierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind angefragt. Im Mittelpunkt der Vorträge stehen wissenschaftliche Erkenntnisse und der Weg dorthin. Relevante Fachmethoden werden ebenfalls vorgestellt – und selbstverständlich werden Ihre Fragen beantwortet. 

Bitte registrieren Sie sich so rasch wie möglich – spätestens am Veranstaltungstag bis 16 Uhr. Bei Anmeldung nach 16 Uhr kann eine Teilnahme nicht garantiert werden. 

Melden Sie sich an unter

https://eu01web.zoom.us/webinar/register/WN_eXFgvFV1S-KisdbsHqi6Zw

Alle Informationen finden Sie auch auf dem Veranstaltungsposter.

VBIO

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VBIO-Online: Faszination Biologie Bundesweit
news-33870 Fri, 24 Oct 2025 12:00:55 +0200 Welche Schaltkreise im Gehirn bestimmen unser Alltagsverhalten? https://www.vbio.de/aktuelles/details/welche-schaltkreise-im-gehirn-bestimmen-unser-alltagsverhalten Vom dualen System zum Netzwerk: Forschungsteam aus Chemnitz, Santiago de Chile und Magdeburg hat eine neue Sicht auf die Handlungssteuerung im Gehirn und ihren Nutzen für die Entwicklung neuroinspirierter KI  Wenn Sie heute Morgen Ihren ersten Kaffee gemacht haben – haben Sie dabei bewusst jede Bewegung geplant oder einfach automatisch gehandelt? Diese einfache Frage führt direkt zum Kern einer zentralen Unterscheidung in den Neurowissenschaften: zwischen Handlungen, die gewohnheitsmäßig ablaufen, und solchen, die zielgerichtet sind. In einer kürzlich, im renommierten Journal „Trends in Neuroscience“, veröffentlichten Arbeit stellen Prof. Dr. Fred Hamker (Professur Künstliche Intelligenz der Technischen Universität Chemnitz), Dr. Javier Baladron (Universidad de Santiago de Chile) und Dr. Lieneke Janssen (Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg) genau diese klassische Unterscheidung in Frage. Sie schlagen vor, dass unser Verhalten wahrscheinlich durch das Zusammenspiel verschiedener Hirnkreisläufe geprägt wird – und dass ähnliche Prinzipien künftig auch für die Entwicklung von künstlicher Intelligenz (KI) relevant sein könnten.

Bisher gehen Forschende davon aus, dass unser Gehirn über zwei Systeme verfügt, die unser Denken und Handeln steuern: ein schnelles, automatisches System und ein langsames, bewusstes System – bekannt etwa aus Daniel Kahnemans Bestseller „Schnelles Denken, langsames Denken“. Diese Systeme führen entweder zu schnellen, gewohnheitsmäßigen Handlungen oder zu überlegtem, zielgerichtetem Verhalten. Doch laut Hamker, Baladron und Janssen entsteht ein Großteil unseres Alltagsverhaltens durch eine komplexe Kette von Vorgängen im Nervensystem, bei der beide Systeme eng miteinander verflochten sind.

Das Forschungsteam schlägt daher ein neues Modell vor: Statt zwischen „gewohnheitsmäßig“ und „zielgerichtet“ zu unterscheiden, sollte man Verhalten auf einem Kontinuum betrachten. Im Zentrum stehen dabei die Schleifen der Basalganglien mit Thalamus und Kortex – wiederkehrende Schaltkreise im Gehirn. „Diese Schleifen ermöglichen sowohl zielgerichtetes als auch automatisches Verhalten. Entscheidend ist, wie stark sie miteinander interagieren: Wenn Abkürzungen innerhalb dieser Schaltkreise entstehen, wird Verhalten eher zur Gewohnheit. Wenn dagegen alle Schleifen vollständig durchlaufen werden, bleibt das Handeln stärker auf ein Ziel ausgerichtet“, erläutert Hamker.

Ihre Überlegungen könnten auch neue Impulse für die KI-Forschung liefern. Die drei Forschenden sehen Parallelen zwischen den Aufmerksamkeitsmechanismen moderner Transformer-Netzwerke – also jener Technologie, die auch großen Sprachmodellen zugrunde liegt – und der Kontextverarbeitung im menschlichen Gehirn. „Indem KI-Modelle künftig gewohnheitsähnliche Abkürzungen nutzen, könnten sie effizienter und energiesparender werden“, meinen die Forschenden. So eröffnet die Arbeit von Hamker, Baladron und Janssen nicht nur neue Perspektiven auf die Funktionsweise des menschlichen Gehirns, sondern auch auf die zukünftige Entwicklung intelligenter Maschinen.

TU Chemnitz


Originalpublikation:

Hamker, Fred H. et al.: Interacting corticobasal ganglia-thalamocortical loops shape behavioral control through cognitive maps and shortcuts, Trends in Neurosciences, 9 October 2025, https://doi.org/10.1016/j.tins.2025.09.006

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