VBIO News http://example.com VBIO News de Copyright Wed, 17 Sep 2025 20:44:01 +0200 Wed, 17 Sep 2025 20:44:01 +0200 TYPO3 news-33603 Wed, 17 Sep 2025 12:41:47 +0200 Frühe Bären waren Allesfresser: Dreidimensionale Kieferanalysen enthüllen ihren Speiseplan https://www.vbio.de/aktuelles/details/fruehe-baeren-waren-allesfresser-dreidimensionale-kieferanalysen-enthuellen-ihren-speiseplan Spezielle 3D Formanalysen seiner Kieferknochen zeigen: Der ausgestorbene Bär Ursus minimus, eine der ältesten Bärenarten Europas, hatte ein breites Nahrungsspektrum ohne eine Spezialisierung auf Insekten – anders als bisher angenommen. Er war damit besonders anpassungsfähig an ein wechselndes Nahrungsangebot. Ursus minimus – vermutlich der gemeinsame Vorfahr der meisten modernen Bärenarten – lebte vor 4,9 bis ungefähr 1,8 Millionen Jahren, zur Zeit des Pliozäns möglicherweise bis ins frühe Pleistozän, in Europa. Er ist der erste Schwarzbär Europas und damit der älteste bisher bekannte Vertreter der Gattung Ursus, zu der auch heutige Braun- und Eisbären gehören. Bisher gingen Forschende davon aus, dass sich der Ur-Bär hauptsächlich von Insekten ernährte. Eine neue Studie der SNSB-Zoologin Anneke van Heteren zeigt nun ein anderes Bild: Ursus minimus, der sogenannte Auvergne-Bär, war höchstwahrscheinlich ein typischer Allesfresser – ganz ohne spezielle Vorliebe für Insekten. Die Säugetierexpertin verglich für ihre Forschungsarbeit Kiefer von Ursus minimus mit denen anderer moderner sowie früherer Bärenarten mit ganz unterschiedlichen Nahrungsspektren – darunter Spezialisten wie der insektenfressende Malaienbär, der fleischfressende Eisbär oder der rein vegetarisch lebende Panda. Die Kiefer der Bären unterscheiden sich insbesondere in ihrer Biomechanik beim Kauen der Nahrung. Unterschiedliche Öffnungswinkel der Kiefer sowie die Lage der Kaumuskulatur offenbaren die Ernährungsgewohnheiten der Tiere. Die Forscherin aus München nutzte für ihre Studie die sogenannte geometrische Morphometrie. Das ist die Vermessung von Skeletteilen mit Hilfe digitaler Messpunkte, sogenannten Landmarks. Diese 3D-Formanalyse erlaubt es, die Kieferknochen der Bären dreidimensional zu visualisieren und über statistische Verfahren zu vergleichen.

„Als echter Allesfresser war Ursus minimus besonders flexibel und anpassungsfähig und konnte sich leicht auf ein wechselndes Nahrungsangebot einstellen. Diese allgemeine Anpassungsstrategie könnte die Grundlage für die spätere Entwicklung spezialisierter Ernährungsformen bei den Bären sein. Die Erkenntnisse über die Ernährungsgewohnheiten so ursprünglicher Arten wie Ursus minimus liefert neue Zusammenhänge für unser Verständnis der evolutionären Entwicklung der Bären und ihrer Anpassungen an sich verändernde Umweltbedingungen“, erläutert Anneke van Heteren, Kuratorin an der Zoologischen Staatssammlung München (SNSB-ZSM) und Autorin der Studie.

Die meisten heute noch lebenden sowie inzwischen ausgestorbenen Bärenarten – mit ihrer gesamten Bandbreite an unterschiedlichen Ernährungsformen – gehen auf den sehr ursprünglichen Ursus minimus zurück.

SNSB - Zoologische Staatssammlung München


Originalpublikation:

van Heteren, A.H. (2025), Exploring dietary adaptations in Ursus minimus: a 3D geometric morphometric analysis of the mandible. Boreas. https://doi.org/10.1111/bor.70036

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Wissenschaft Bayern
news-33600 Tue, 16 Sep 2025 11:44:47 +0200 Artenvielfalt in Deutschland nur lokal stabil https://www.vbio.de/aktuelles/details/artenvielfalt-in-deutschland-nur-lokal-stabil Dank eines riesigen Datenschatzes konnten Forschende der Universität Trier neue Erkenntnisse zur Biodiversität in Deutschland gewinnen.  Klimawandel, Umweltverschmutzung und Zerstörung von Lebensräumen setzen der Natur auch in Deutschland schwer zu. Das geht zu Kosten der Artenvielfalt – sollte man meinen. Doch Forschende der Universität Trier kommen nun zu einem differenzierteren Bild, das aber keine Entwarnung bedeutet.

Eine umfassende Analyse von Proben der letzten 40 Jahre ergab, dass die Biodiversität auf lokaler Ebene stabil geblieben ist. Alles in Ordnung also? Leider nein. „Es sind viele Arten aus ihren Ökosystemen verdrängt worden oder regional ausgestorben. Doch sie wurden von neuen, eingewanderten ersetzt, die besser an die Umweltbedingungen angepasst sind“, erläutert Prof. Dr. Henrik Krehenwinkel aus den Umweltbiowissenschaften.

Die Problematik wird beim überregionalen Blick über die Lebensräume sichtbar. Auf dieser größeren Ebene hat die Biodiversität nämlich abgenommen. Die verschiedenen Lebensräume werden sich in der Artenzusammensetzung immer ähnlicher. Bedeutet: Es gibt in Deutschland immer weniger, aber dafür weiter verbreitete Arten.

Einzigartige Umweltprobenbank ermöglicht Erkenntnisse

Zunächst erscheint es erstaunlich, dass diese Erkenntnisse bisher unentdeckt blieben. Die Ursache liegt darin, dass oft nur prominentere Arten wie Pflanzen und Wirbeltiere untersucht werden. Die Trierer Forschenden weiteten das Spektrum aber auf deutlich kleinere Ebenen wie Pilze, Plankton, Algen oder Gliederfüßer aus, von denen sie zehntausende Arten untersucht haben. Diese spielen in der Nahrungskette eine unverzichtbare Rolle.

Möglich machte das eine innovative Verwendung der Umweltprobenbank des Bundes, die vom Umweltbundesamt koordiniert wird. Die Probenbank wurde 1985 zur Erfassung des Zustandes und der Schadstoffbelastung der Umwelt und des Menschen in ganz Deutschland konzipiert. Für die Sammlung der Biotaproben aus Schlüsselregionen in ganz Deutschland ist seit Beginn eine Trierer Projektgruppe zuständig. Dementsprechend viel Erfahrung ist am Standort im Umgang mit den Daten vorhanden.

Die neue Studie untersuchte die tiefgefrorenen Proben nun nicht auf Schadstoffe, sondern machte sich zunutze, dass auf ihnen Rückstände von Umwelt-DNA zu finden sind. Von zwei Muschelarten, drei Baumarten sowie einer Braunalge wurde die sogenannte eDNA, also kleinste Spuren aller möglicher Arten, genommen.

Es entstand eine einzigartige, lückenlose Datenserie, mit der die Forschenden 40 Jahre in die Vergangenheit blicken konnten. So kann die Entwicklung der Biodiversität, beispielsweise auch konkret des Insektensterbens in Deutschland, erstmals überhaupt richtig verstanden werden.

Zukünftige Forschung sollte sich nun vor allem auf die Rolle der gefundenen Arten in ihren jeweiligen Ökosystemen und Nahrungsketten konzentrieren, so Krehenwinkel. Außerdem könnten die Umweltproben als Frühwarnsystem fungieren, um etwa den Rückgang lokaler oder das Aufkommen problematischer invasiver Arten festzustellen.

Universität Trier


Originalpublikation:

Junk, I., Hans, J., Perez-Lamarque, B. et al. Archived natural DNA samplers reveal four decades of biodiversity change across the tree of life. Nat Ecol Evol (2025). doi.org/10.1038/s41559-025-02812-6

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Wissenschaft Rheinland-Pfalz
news-33599 Tue, 16 Sep 2025 11:40:04 +0200 Stammzellen reparieren Mäusehirn nach Schlaganfall https://www.vbio.de/aktuelles/details/stammzellen-reparieren-maeusehirn-nach-schlaganfall Die Transplantation von Stammzellen kann Schlaganfall-Schäden rückgängig machen, wie Forschende der Universität Zürich berichten. Zu den positiven Effekten gehört die Wiederherstellung von Nervenzellen und motorischen Funktionen. Dies ist ein Meilenstein für die Therapie von Hirnerkrankungen.  Einer von vier Erwachsenen erleidet im Laufe seines Lebens einen Schlaganfall, etwa die Hälfte trägt bleibende Schäden wie Lähmungen oder Sprachstörungen davon. Denn durch Einblutungen oder mangelnde Sauerstoffversorgung sterben Hirnzellen unwiederbringlich ab. Zurzeit existiert keine Behandlung, um solche Schäden zu reparieren. «Daher ist es essenziell, neue therapeutische Ansätze für eine mögliche Hirnregeneration nach Krankheit oder Unfall zu verfolgen», sagt Christian Tackenberg, wissenschaftlicher Abteilungsleiter in der Gruppe Neurodegeneration am Institut für Regenerative Medizin der Universität Zürich (UZH).

Das Potenzial dazu haben neuronale Stammzellen, wie ein Team um Tackenberg und Postdoktorandin Rebecca Weber in Kollaboration mit der Gruppe von Ruslan Rust von der University of Southern California jetzt in zwei Studien eindrücklich belegt. «Unsere Resultate zeigen, dass neuronale Stammzellen nicht nur neue Nervenzellen ausbilden, sondern auch weitere Regenerationsprozesse in Gang setzen», so Tackenberg.

Neue Nervenzellen aus Stammzellen

Für die Studie kamen menschliche neuronale Stammzellen zum Einsatz, aus denen sich unterschiedliche Zelltypen des Nervensystems bilden können. Die Stammzellen wurden aus sogenannten induzierten pluripotenten Stammzellen gewonnen, die sich wiederum aus normalen menschlichen Körperzellen herstellen lassen. Für die Untersuchung lösten die Forschenden einen permanenten Schlaganfall in Mäusen aus, dessen Merkmale einem Hirninfarkt beim Menschen stark ähneln. Die Tiere waren genetisch so modifiziert, dass die menschlichen Stammzellen nicht abgestoßen wurden.

Eine Woche nach dem Schlaganfall transplantierte das Team neuronale Stammzellen in die betroffenen Hirnregionen und beobachtete die Entwicklung mit einer Vielzahl an bildgebenden und biochemischen Methoden. «Es zeigte sich, dass die Stammzellen den gesamten Analysezeitraum von fünf Wochen überlebten und sich grösstenteils zu Nervenzellen umbildeten − die sogar mit den bereits vorhandenen Hirnzellen kommunizierten», sagt Tackenberg. 

Gehirn regeneriert sich

Zudem fanden die Forschenden weitere Kennzeichen von Regeneration: die Neubildung von Blutgefäßen, die Reduktion von Entzündungsprozessen sowie eine verbesserte Integrität der Blut-Hirn-Schranke. «Unsere Analyse geht damit deutlich über den Umfang anderer Arbeiten hinaus, die sich auf die unmittelbaren Effekte direkt nach einer Transplantation konzentrierten», so Tackenberg. Erfreulicherweise machte die Stammzelltransplantation bei den Mäusen auch die motorischen Einschränkungen rückgängig, die der Schlaganfall verursacht hatte. Der Nachweis erfolgte unter anderem mit einer KI-gestützten Ganganalyse.

Klinische Anwendung rückt näher

Beim Studiendesign hatte Tackenberg die klinische Anwendung beim Menschen schon im Blick. So wurden die Stammzellen beispielsweise ohne Reagenzien hergestellt, die von Tieren stammen. Ein definiertes Protokoll dafür hat das Zürcher Forschungsteam in Zusammenarbeit mit dem Center for iPS Cell Research and Application (CiRA) der Universität Kyoto entwickelt. Dies ist wichtig für eine potenzielle Anwendung der Therapie am Menschen. Eine ebenfalls neue Erkenntnis: Die Stammzelltransplantation funktioniert besser, wenn sie nicht direkt nach dem Schlaganfall, sondern erst eine Woche später durchgeführt wird, wie die zweite Studie nachwies. In der Klinik könnte dieses Zeitfenster die Vorbereitung und Durchführung einer Therapie maßgeblich erleichtern.

Trotz der positiven Resultate gäbe es aber noch einiges zu tun, warnt Tackenberg. «Wir müssen die Risiken minimieren und eine potenzielle Anwendung im Menschen vereinfachen.» Ebenfalls in Zusammenarbeit mit Ruslan Rust arbeitet seine Gruppe derzeit an einer Art Sicherheitssystem, das ein unkontrolliertes Wachstum von Stammzellen im Hirn verhindert. In Entwicklung ist auch die Verabreichung der Stammzellen durch Injektion ins Blut, was viel praktikabler wäre als eine Hirn-Implantation. In Japan gibt es bereits erste klinische Studien, die Parkinson-Krankheit beim Menschen mit induzierten Stammzellen zu therapieren, wie Tackenberg berichtet. «Der Schlaganfall könnte eine der nächsten Krankheiten sein, für die eine solche Studie möglich wird.»

Universität Zürich


Originalpublikation:

Rebecca Z. Weber et al.: Neural xenografts contribute to long-term recovery in stroke via molecular graft-host crosstalk. Nature Communications. XX Mai 2025. DOI: 10.1038/s41467-025-63725-3

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Wissenschaft International
news-33598 Tue, 16 Sep 2025 11:09:44 +0200 Neues CRISPR-Verfahren hilft, Zellfunktionen besser zu verstehen https://www.vbio.de/aktuelles/details/neues-crispr-verfahren-hilft-zellfunktionen-besser-zu-verstehen CRISPR/Cas9 wurde 2020 mit dem Nobelpreis für Chemie ausgezeichnet. Das als „Genschere“ bekannte Verfahren ermöglicht es unter anderem, besser zu verstehen, wie menschliche Zellen funktionieren und gesund bleiben. Für diesen Zweck haben Forschende der Universität Stuttgart CRISPR weiterentwickelt. In der Fachzeitschrift „Cell Reports Methods“ stellen sie ihr Verfahren CRISPRgenee vor.  Zellen ermöglichen alle lebenswichtigen Funktionen des menschlichen Körpers – von der Energieproduktion über den Aufbau von Gewebe bis zur Abwehr von Krankheiten. Für die Steuerung der Zellfunktion spielen unsere Gene eine zentrale Rolle: Je nachdem, welche Gene in einer Zelle gerade an- oder ausgeschaltet sind, werden unterschiedliche zelluläre Prozesse angeregt. „Meine Arbeitsgruppe erforscht, wie Zellen die Kontrolle über ihre Gene behalten und so einen gesunden Zellzustand etablieren und erhalten“, sagt PD Dr. Phillip Rathert, Akademischer Rat und Gruppenleiter am Institut für Biochemie der Universität Stuttgart. „Insbesondere beschäftigen wir uns mit Proteinen, die an Chromatin, die Verpackungsform unserer DNA im Zellkern, gebunden sind. Wir untersuchen, wie diese Proteine miteinander interagieren, um Gene zum richtigen Zeitpunkt ein- oder auszuschalten.“

Um das herauszufinden, führen Rathert und sein Team im Labor sogenannte Genetische Loss-of-Function (LOF)-Analysen durch: „Wir schalten gezielt einzelne Gene oder Proteine in der Zelle aus, um die Auswirkungen dieses Funktionsverlusts auf die Zelle zu verstehen. Das erlaubt uns Rückschlüsse darauf, welche Rolle das fehlende Gen und das darin kodierte Protein normalerweise spielen.“ 

Neuartiges Analyseverfahren: CRISPRgenee 

Um LOF-Analysen durchzuführen, braucht man modernste biotechnologische „Werkzeuge“. Eines dieser Werkzeuge ist CRISPR/Cas9, eine Methode, mit der Wissenschaftler*innen gezielt und sehr präzise Gene verändern können – ähnlich wie mit einer Schere, die DNA an bestimmten Stellen schneidet. Das wirft einerseits grundlegende ethische Fragestellungen auf, bietet aber auch großen Nutzen für Forschung und Medizin. 

Etwa, wenn es darum geht, mithilfe von LOF-Analysen besser zu verstehen, wie menschliche Zellen funktionieren und gesund bleiben. „Unsere Erkenntnisse in der sogenannten Grundlagenforschung kommen vor allem der medizinischen Forschung zugute, sie helfen zum Beispiel, die Ursachen von Krankheiten wie Krebs besser zu verstehen oder neue Ansätze für personalisierte Therapien zu finden“, sagt Philipp Rathert. 

Philipp Rathert und seinem Team ist es gelungen, ein neuartiges CRISPR-Verfahren zu entwickeln, das LOF-Analysen deutlich effizienter und reproduzierbarer macht: CRISPRgenee. „CRISPRgenee kombiniert zwei Mechanismen: das Abschalten und das Zerschneiden eines Zielgens und dies gleichzeitig in derselben Zelle. Dadurch ist die Methode besonders wirksam bei Genen, die sich mit herkömmlichen Verfahren nur schwer ausschalten lassen, und eignet sich auch für die Untersuchung komplexer zellulärer Steuerungsprozesse“, so Jannis Stadager, Erstautor der entsprechenden Studie und Doktorand in der Arbeitsgruppe von Philipp Rathert. „Mithilfe von CRISPRgenee lassen sich zudem nicht nur einzelne Gene effizienter und schneller ausschalten, die Methode ermöglicht auch kombinatorische Analysen von zwei verschiedenen Genen gleichzeitig. Das ermöglicht eine präzisere und robustere Aufklärung von zellulären Zusammenhängen.“

Veröffentlichung in der Fachzeitschrift „Cell Reports Methods“

In enger interdisziplinärer Zusammenarbeit mit Jun. Prof. Franziska Traube vom Institut für Biochemie, Prof. Dr. Stefan Legewie vom Institut für Biomedizinische Genetik und Prof. Steven Johnsen vom Robert Bosch Centrum für Tumorerkrankungen haben die Forschenden CRISPRgenee in verschiedenen biologischen Systemen eingesetzt, von der Zellproliferation über die epithelial-mesenchymale Transition bis hin zur neuronalen Differenzierung in humanen iPS-Zellen. In der Fachzeitschrift „Cell Reports Methods“ stellen sie ihr Verfahren CRISPRgenee vor und berichten über ihre Ergebnisse.

Universität Stuttgart


Originalpublikation:

Stadager J, Bernardini C, Hartmann L, May H, Wiepcke J, Kuban M, Najafova Z, Johnsen SA, Legewie S, Traube FR, Jude J, Rathert P.: CRISPR GENome and epigenome engineering improves loss-of-function genetic-screening approaches. Cell Rep Methods. 2025 Jun 16;5(6):101078. doi: 10.1016/j.crmeth.2025.101078. Epub 2025 Jun 10. PMID: 40499551. Link zur Publikation

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Wissenschaft Baden-Württemberg
news-33597 Tue, 16 Sep 2025 09:47:37 +0200 Weizen: Extremer Zwergwuchs verschlechtert Gluten-Zusammensetzung und Backqualität https://www.vbio.de/aktuelles/details/weizen-extremer-zwergwuchs-verschlechtert-gluten-zusammensetzung-und-backqualitaet Weizen zählt weltweit zu den wichtigsten Grundnahrungsmitteln, insbesondere in Form von Brot. Extrem zwergwüchsiger Weizen weist eine ungünstigere Gluten-Zusammensetzung auf als halbzwerg-, zwerg- oder hochwüchsiger Weizen und liefert damit Mehle mit schlechteren Backeigenschaften. Dies zeigt eine gemeinsame Studie des Leibniz-Instituts für Lebensmittel-Systembiologie an der Technischen Universität München (LSB) und des Leibniz-Instituts für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) Die Einführung sogenannter Zwergwuchs-Gene (Reduced height-Rht-Gene) während der „Grünen Revolution“ in den 1960er-Jahren gilt als Meilenstein der Landwirtschaft. Die Gene sorgen dafür, dass Weizenpflanzen kürzer und hierdurch weniger anfällig für Windbruch sind. Sie können so auch mehr Energie in die Ausbildung der Körner investieren, was die Erträge deutlich gesteigert hat. „Heute tragen mehr als 70 Prozent aller weltweit angebauten Weizensorten mindestens eines dieser Gene in sich“, sagt Co-Autor Andreas Börner, Wissenschaftler aus der Abteilung Genbank am IPK.

Unklarer Einfluss auf Gluten

Bislang war jedoch unklar, ob die Rht-Gene nicht nur die Halmlänge, sondern auch die Gluten-Zusammensetzung im Korn verändern. Weizengluten besteht aus zwei Speicherproteingruppen: den Gliadinen und Gluteninen. Gliadine machen Teige dehnbar und viskos und wirken wie ein Weichmacher. Glutenine verleihen Teigen Elastizität und Festigkeit. Ein ausgewogenes Gliadin-Glutenin-Verhältnis ist dabei für eine gute Backqualität entscheidend. Überwiegen die Gliadine zu sehr, werden die Teige zu weich, das Brotvolumen sinkt und das Backergebnis ist schlecht.

Um den Einfluss der Rht-Gene auf die Gluten-Zusammensetzung zu klären, verglich das Forschungsteam hochwüchsigen Wildtyp-Weizen mit fünf nahezu identischen Varianten in vier Weizenlinien, die sich lediglich in den Rht-Genen unterschieden. Alle Linien wurden über drei Vegetationsperioden am IPK in Gatersleben angebaut, um vergleichbares Probenmaterial zu gewinnen. Die klimatischen Bedingungen der Erntejahre 2021, 2022 und 2023 waren dabei sehr unterschiedlich.

Das Team kam zu folgenden Ergebnissen:

Die in modernen Weizensorten vorkommenden Zwergwuchs-Gene (Rht1, Rht2 sowie ihre Kombination) beeinflussten die Gluten-Zusammensetzung kaum. Gene, die extremen Zwergwuchs verursachen (Rht3 sowie die Kombination Rht2+3), senkten jedoch den Gluteningehalt und verschoben das Gliadin-Glutenin-Verhältnis, mit potentiell negativen Folgen für die Backeigenschaften. Noch deutlicher als die Gene beeinflussten jedoch die Umweltbedingungen die Gluten-Zusammensetzung: So führten warme und feuchte Bedingungen im Jahr 2021 während der Kornfüllungsphase zu einem besonders hohen und ungünstigen Gliadin-Glutenin-Verhältnis.

„Unsere Ergebnisse zeigen, dass die Einführung von Halbzwerg- und Zwerg-Genen während der Grünen Revolution die Gluten-Zusammensetzung moderner Weizensorten nicht negativ beeinflusst hat“, erklärt Erstautorin und Studienleiterin Sabrina Geißlitz vom LSB. Sie fügt hinzu: „Allerdings sollte man in Zukunft überlegen, ob man bei Neuzüchtungen Gene einbringt, die einen extremen Zwergwuchs verursachen. Solche Gene könnten die Backqualität verschlechtern und auch das immunreaktive Potenzial vergrößern, da beides mit einem hohen Gliadinanteil assoziiert ist.“

„Die Studie macht deutlich, wie komplex die Weizenzüchtung ist“, ergänzt Katharina Scherf, Leiterin der Arbeitsgruppe Food Biopolymer Chemistry am LSB. „Denn wie wir nachweisen konnten, entscheiden nicht nur die Gene, sondern auch die Umweltbedingungen über die Gluten-Zusammensetzung im Weizen. Angesichts des Klimawandels ergeben sich somit weitere Herausforderungen, Züchtungen hinsichtlich ihrer Gluten-Zusammensetzung zu optimieren.“

Leibniz-Institut für Lebensmittel-Systembiologie


Originalpublikation:

Geisslitz, S., Schierenbeck, M., Börner, A., and Scherf, K.A. (2025). Semi-Dwarfing Reduced Height Genes Hardly Influenced Gluten Protein Composition While Extreme Dwarfing Genes Decreased Glutenins in Wheat. Food Sci Nutr 13, e70649. 10.1002/fsn3.70649.
https://doi.org/10.1002/fsn3.70649

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Wissenschaft Bayern
news-33596 Tue, 16 Sep 2025 09:16:28 +0200 Wie HIV ins Erbgut gelangt https://www.vbio.de/aktuelles/details/wie-hiv-ins-erbgut-gelangt Einen bislang unbekannten Mechanismus, mit dem HIV-1 seine Integrationsorte im menschlichen Erbgut gezielt auswählt, wurde jetzt von Forschenden entschlüsselt. Sie konnten nachweisen, dass RNA:DNA-Hybride (R-Loops) als molekulare Wegweiser für das Virus dienen. Diese Erkenntnisse legen eine zentrale Schwachstelle im Lebenszyklus von HIV-1 offen. Die Ergebnisse liefern neue therapeutische Ansatzpunkte, um HIV-Reservoire im Körper gezielt zu kontrollieren. Dies ist bislang eines der größten Hindernisse auf dem Weg zu langfristigen oder heilenden HIV-Therapien.  Dank antiretroviraler Therapien können Menschen mit einer HIV-Infektion heute meist ein nahezu normales Leben führen. Die antiretroviralen Medikamente verhindern die Vermehrung des HI-Virus, erfordern jedoch eine lebenslange und tägliche Einnahme. Behandlungsunterbrechungen – sei es durch eingeschränkten Zugang, Lieferengpässe oder mangelnde Therapietreue – führen jedoch häufig zu einem schnellen Wiederanstieg der Viruslast und begünstigen die Entstehung resistenter HIV-Stämme.

Das HI-Virus infiziert vorwiegend Zellen des Immunsystems: Es verankert sein Erbgut insbesondere in den T-Zellen und bildet dort ein lebenslanges Infektionsreservoir. Das Enzym HIV-1-Integrase baut das genetische Material des Virus dauerhaft in das Erbgut der infizierten Wirtszelle ein. Durch die Integration wird die Wirtszelle gezwungen, neue Viren zu produzieren – was den Infektionsprozess weiter fortsetzt. „Wie HIV-1-Integrase ihre Zielstellen im Genom auswählt, war bislang nicht vollständig geklärt. Ein tieferes Verständnis dieses Vorgangs ist entscheidend, um neue Behandlungsstrategien zu entwickeln und die persistierenden viralen Reservoirs anzugehen, die durch bestehende Therapien nicht eliminiert werden“, sagt Dr. Marina Lusic, DZIF-Wissenschaftlerin am Center for Integrative Infectious Disease Research (CIID) am Universitätsklinikum Heidelberg und Leiterin der Studie.

RNA:DNA-Hybride als Wegweiser für die Virusintegration

Das Forschungsteam konnte zeigen, dass HIV-1 nicht willkürlich ins Erbgut eindringt, sondern bestimmte Wegweiser nutzt: sogenannte RNA:DNA-Hybride oder „R-Loops“, die vor allem in nicht-codierenden Abschnitten aktiver Gene entstehen. In menschlichen Immunzellen kartierten die Forschenden diese Strukturen und wiesen nach, dass die virale Integrase genau dort andockt. „Das Virus folgt diesen Strukturen wie Wegweisern auf einer Landkarte und findet so die passenden Integrationspunkte“, erklärt Dr. Carlotta Penzo, leitende Postdoktorandin im Team von Dr. Marina Lusic und Erstautorin der Studie. „Ein weiteres wichtiges Ergebnis unserer Untersuchung ist, dass ein spezifischer zellulärer Partner, das Enzym Aquarius, dem Virus bei der Erkennung von R-Loops hilft und so die Integration von HIV-1 in RNA:DNA-Hybride erleichtert.“

Das Enzym RNA-Helikase Aquarius (AQR) spielt in diesem Prozess eine Schlüsselrolle. Das Enzym fungiert als eine Art Türöffner: Es verbindet sich mit der HIV-1-Integrase und fördert die Integration, indem es die R-Loops entwindet. „Unsere Ergebnisse zeigen, dass die Eliminierung von AQR dazu führt, dass die Integrationsrate deutlich abnimmt. Die verbleibenden Integrationsereignisse verlagern sich in R-Loop-arme Regionen – ein klarer Beleg für das Zusammenspiel von viraler Integration und AQR-Aktivität an R-Loops“, so Penzo.

„Diese Entdeckung eröffnet eine völlig neue Perspektive für zukünftige HIV-Therapien. Wenn es uns gelingt, die Fähigkeit des Virus zu stören, RNA-Strukturen der Wirtszelle für die Integration zu nutzen, könnten wir gezielt verhindern, wo sich HIV im Genom versteckt – und somit den Weg zu einer langfristigen oder sogar heilenden Therapie ebnen“, sagt Dr. Marina Lusic. „Diese Erkenntnisse gewinnen besondere Bedeutung angesichts der zunehmenden globalen Instabilität in der HIV-Versorgung. In vielen Regionen ist die kontinuierliche Bereitstellung antiretroviraler Therapien nicht gesichert – mit der Folge, dass Unterbrechungen das Risiko von Therapieversagen und der Verbreitung resistenter Virusvarianten deutlich erhöhen.“

Die Studienergebnisse zeigen bislang unbekannte Angriffspunkte zur Bekämpfung des HI-Virus auf. Langfristig könnte der identifizierte R-Loop/Aquarius-Mechanismus dabei helfen, HIV-Reservoire im Körper gezielt anzugehen, welche bislang durch bestehende Therapien nicht eliminiert werden – und somit neue Wege zu wirksamen, möglicherweise sogar heilenden Behandlungsformen aufzeigen.

Förderung und internationale Zusammenarbeit

Diese Studie wurde durch das Deutsche Zentrum für Infektionsforschung (DZIF) sowie durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) im Rahmen des Sonderforschungsbereichs SFB 1129 gefördert. Sie entstand in enger, multidisziplinärer Zusammenarbeit unter der Leitung von Dr. Marina Lusic, mit Beteiligung von Kolleg:innen am Center for Integrative Infectious Disease Research (CIID), Heidelberg, darunter Prof. Oliver Fackler und Prof. Hans-Georg Kräusslich. Darüber hinaus wurde die Studie durch eine enge paneuropäische Zusammenarbeit ermöglicht, mit Beiträgen von Expert:innen in Bioinformatik, Strukturbiologie und Retrovirologie aus Forschungsinstitutionen in Zagreb, Padua, London und Bordeaux.

Deutsches Zentrum für Infektionsforschung


Originalpublikation:

Penzo, C., Özel, I., Martinovic, M. et al. Aquarius helicase facilitates HIV-1 integration into R-loop enriched genomic regions. Nat Microbiol 10, 2306–2322 (2025). doi.org/10.1038/s41564-025-02089-2

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Wissenschaft Baden-Württemberg Niedersachsen
news-33595 Mon, 15 Sep 2025 12:07:01 +0200 Zwei Wege, ein Ziel – Wie die Krone der Zellteilung entsteht https://www.vbio.de/aktuelles/details/zwei-wege-ein-ziel-wie-die-krone-der-zellteilung-entsteht Die Zellteilung ist einer der am gründlichsten untersuchten Prozesse in der Biologie, doch viele Details bleiben weiterhin rätselhaft. Ein seit fast einem Jahrhundert bestehendes Rätsel um die „Krone” der Zellteilung – die Kinetochor-Korona – wurde nun gelöst. Die Forschung von Verena Cmentowski und Andrea Musacchio am Max-Planck-Institut für molekulare Physiologie in Dortmund (MPI) zeigt, wie sich die Krone über zwei parallele Wege aufbaut. So entsteht aus einem kleinen „Protein-Keim” ein multifunktionaler Komplex, der eine präzise Verteilung der Chromosomen gewährleistet – und somit die fehlerfreie Weitergabe des Lebens von einer Generation zur nächsten sichert.  Proteine sind die Arbeitstiere der Zelle, doch viele funktionieren nur als Teil größerer Multiproteinkomplexe. Diese Komplexe erfüllen zentrale Aufgaben wie Muskelkontraktion, Energieproduktion und Genregulation. Eine der größten und komplexesten dieser Maschinen ist das Kinetochor – der zentrale Dreh- und Angelpunkt der Zellteilungsmaschinerie. Es verbindet Chromosomen mit den Spindelmikrotubuli, korrigiert Anheftungsfehler und löst schließlich die Trennung der Schwesterchromatiden aus. Das Kinetochor besteht aus mehr als 100 Proteinen, die in etwa 30 Unterkomplexen gruppiert sind; seine äußerste Schicht ist die als Korona bekannte Struktur.

Eine 20-jährige Reise

„Die Erforschung des Kinetochors ist eine enorme Herausforderung“, sagt Musacchio, Direktor am MPI. „Man kann es nicht einfach aus der Zelle herausnehmen und untersuchen – seine Größe, sein mehrschichtiger Aufbau und seine Integration in andere Zellstrukturen machen seine Analyse extrem schwer.“ In den letzten zwei Jahrzehnten hat sein Team im Labor nach und nach immer größere Teile des Kinetochors nachgebaut, was schließlich zu einer nahezu vollständigen Rekonstruktion und einer 3D-Strukturkarte führte – ein Meilenstein auf diesem Gebiet. Erst kürzlich gelang es ihnen, die Korona selbst nachzubauen, ihre Kernelemente zu identifizieren und die Gesamtarchitektur zu bestimmen. Wie diese „Krone“ jedoch zusammengebaut wird, blieb bis jetzt rätselhaft.

Die Krone enthüllt

„Die Korona birgt einige der faszinierendsten Geheimnisse des Kinetochors“, sagt Verena Cmentowski, ehemalige Doktorandin in Musacchios Labor. „Ihr Auf- und Abbau sind entscheidend, weil sie die korrekte Chromosomen-Ausrichtung sicherstellen und den Zeitpunkt der Segregation durch Checkpoint-Signale regulieren.“ Cmentowskis Arbeit zeigt, dass die Bildung der Korona mit nur zwei Proteinen beginnt: BUB1 und BUBR1. Gemeinsam bilden sie eine Keimzelle und leiten eine Reihe von Interaktionen ein, die den Aufbau der Korona über zwei unabhängige, aber miteinander verknüpfte Wege vorantreiben. So entsteht eine kooperative und robuste Architektur.

Eine Krone mit großer Verantwortung

Zu Beginn der Mitose hilft die Korona, die Chromosomen zum Spindeläquator zu führen und ihre korrekte Anordnung sicherzustellen. Sobald die Mikrotubuli an die Chromosomen gebunden haben, löst sich die Korona auf und gibt damit den Startschuss für die Trennung der Chromosomen. Beide Schritte sind für eine präzise Verteilung der Chromosomen unerlässlich. 

„Eine schwere Bürde liegt auf der Krone – Fehler in diesem Prozess können zu schweren Entwicklungsstörungen und Krankheiten führen“, betont Musacchio. „Der von uns entdeckte duale Aufbau-Mechanismus verleiht der Korona Robustheit, macht sie widerstandsfähig gegen zeitliche Schwankungen und ermöglicht ihr, so lange wie nötig an den Chromosomen gebunden zu bleiben.“

MPI für molekulare Physiologie


Originalpublikation:

Cmentowski V, Musacchio A (2025). A validation strategy to assess the role of phase separation as a determinant of macromolecular localization. Science Advances, DOI: 10.1126/sciadv.ady6890

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Wissenschaft Nordrhein-Westfalen
news-33594 Mon, 15 Sep 2025 10:24:18 +0200 Verborgene Genschalter finden https://www.vbio.de/aktuelles/details/verborgene-genschalter-finden Der größte Teil des menschlichen Genoms kodiert keine Proteine. Vielmehr bestehen weite Bereiche unseres Erbguts aus regulatorischen Regionen. Wie Schalter, die das Licht an- und ausknipsen, bestimmen diese Abfolgen aus Nukleotiden, auch Transkriptionsverstärker genannt, wo und wann ein Gen aktiv ist. So können sie weitgehend kontrollieren, welche Mengen des entsprechenden Proteins eine Zelle produziert. Veränderungen in der Nukleotidsequenz solcher Schalter können zu Entwicklungsstörungen und Krankheiten führen. Im Vergleich zu proteinkodierenden Regionen sind Transkriptionsverstärker allerdings schwerer zu identifizieren, da sie oft weit entfernt von den Genen liegen, die sie regulieren, und vielfach keinen klar definierten genetischen Code besitzen. Forschende um Dr. Dubravka Vučićević aus der Arbeitsgruppe „Bioinformatik der Genregulation“ von Professor Uwe Ohler am Max Delbrück Center haben jetzt ein leistungsstarkes Werkzeug entwickelt, um die Regionen im Erbgut, die unsere Gene steuern, zu finden. Das TESLA-seq (TargEted SingLe-cell Activation screen) genannte Tool kombiniert die CRISPR-basierte Genaktivierung (CRISPRa) – eine Technik, bei der eine modifizierte Form des CRISPR-Cas9-Systems eingesetzt wird, um die Expression bestimmter Gene zu verstärken – mit der gezielten Einzelzell-RNA-Sequenzierung. Die neue Methode spürt regulatorische Abschnitte im Genom schneller und genauer als andere Verfahren auf. Die Studie ist in „Cell Genomics“ veröffentlicht. 

„Mit dem neuen Tool können wir testen, ob Tausende potenzieller regulatorischer Elemente im Erbgut Gene tatsächlich aktivieren können – und genau herausfinden, auf welche Gene sie Einfluss haben“, sagt Vučićević, die Erstautorin der Studie.

Kartierung regulatorischer Elemente

Um das Verfahren zu demonstrieren, nutzten die Forschenden ein Gen namens PHOX2B, das für die Entwicklung des Nervensystems unerlässlich ist. Mutationen in dem Gen stehen im Zusammenhang mit Neuroblastomen – einer Krebserkrankung des Nervensystems, die vor allem im Kindesalter auftritt. 

Vučićević und ihre Kolleg*innen konzentrierten sich auf einen großen Bereich um PHOX2B herum. Für Abschnitte von jeweils 100 Basenpaaren entwarfen sie jeweils zwei bis drei Leit-RNAs (gRNAs), die das CRISPRa-System zu seinen Zielorten im Genom führten. Mit insgesamt 46.722 gRNAs konnten sie so die gesamte Genomlandschaft des PHOX2B-Gens und benachbarter Erbanlagen nach potenziellen Genschaltern absuchen.

Anschließend übertrug das Team jede gRNA in eine einzelne menschliche Neuroblastomzelle, damit das CRISPRa-System dort alle regulatorischen Regionen aktivieren konnte, die in dem entsprechenden Abschnitt des Genoms vorhanden sind. Die Forschenden identifizierten so mehr als 600 Regionen, CaREs (CRISPRa-responsive elements) genannt, die – wenn sie aktiviert wurden – das Zellwachstum veränderten.

Im nächsten Schritt nahmen Vučićević und ihre Kolleg*innen etwa 200 CaREs genauer unter die Lupe. Mithilfe gezielter Einzelzell-RNA-Sequenzierung analysierten sie in jeder Zelle sowohl die gRNA als auch die RNA aus benachbarten Genen. So konnten sie jedes CaRE mit einem der gut 70 Gene in der PHOX2B-Region verknüpfen, deren Expression sich in dieser Zelle verändert hatte – darunter wichtige Regulatoren von SHISA3 und APBB2, die an Krebs und Alzheimer beteiligt sind. 

Überraschenderweise kontrollierten viele CaREs weit entfernte Gene und übersprangen dabei benachbarte Erbanlagen vollständig – was andere Methoden oft übersehen. „TESLA-seq erfasst nicht nur, was in einem Zelltyp geschieht, sondern kann auch potenzielle Verbindungen zwischen Genen und regulatorischen Regionen in verschiedenen biologischen Systemen aufdecken“, sagt Ohler.

Dies sei wichtig, weil viele Krankheiten mehr als einen Gewebetyp betreffen, ergänzt Vučićević. „Die Technik lässt sich verwenden, um die riesigen unerforschten Teile unserer DNA zu untersuchen, die die Gesundheit und Krankheit über mehrere Organsysteme hinweg beeinflussen. So kann TESLA-seq uns helfen, präzisere und wirksamere Therapien zu entwickeln.“

Max Delbrück Center


Originalpublikation:

Dubravka Vučićević, Che-Wei Hsu, Uwe Ohler, et. al. (2025): „Sensitive dissection of a genomic regulatory landscape using bulk and targeted single-cell activation.” Cell Genomics. DOI: 10.1016/j.xgen.2025.100984, www.cell.com/cell-genomics/fulltext/S2666-979X(25)00240-X

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Wissenschaft Berlin
news-33592 Fri, 12 Sep 2025 11:48:33 +0200 Buchenwälder: Fit für den Klimawandel? https://www.vbio.de/aktuelles/details/buchenwaelder-fit-fuer-den-klimawandel Durch Kombination von Satellitenbildern mit einer neuartigen genetischen Analyse konnte ein Forschungsteam unter Leitung des Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrums Frankfurt (SBiK-F) entschlüsseln, wie europäische Buchenwälder auf den Klimawandel reagieren. Die Studie zeigt, dass der Zeitpunkt des Laubaustriebs im Frühjahr in erster Linie von steigenden Temperaturen abhängt, aber auch, dass Baumpopulationen genetisch an ihre lokale Umgebung angepasst sind. Dieser integrierte Ansatz ermöglicht es erstmals, genau vorherzusagen, welche Buchenpopulationen für zukünftige Klimabedingungen am besten gerüstet sind.  Durch die globale Erwärmung geraten auch die Wälder in Deutschland zunehmend unter Stress. Die Auswirkungen der klimatischen Veränderungen im Detail zu verstehen und vorhersehen zu können, ist daher von großer Bedeutung für die Forstbewirtschaftung und den Naturschutz. Der jährliche Zyklus des Blattaustriebs und Blattfalls – die sogenannte Phänologie – ist wichtig für die Gesundheit der Laubwälder und für das Klima. Er legt fest, wie lange Bäume Photosynthese betreiben können und beeinflusst damit ihr Wachstum sowie den Austausch von Kohlendioxid und Wasser mit der Luft. „Der Klimawandel verändert diese saisonalen Rhythmen, aber das Verständnis und die Vorhersage der Reaktion langlebiger Bäume war bisher eine große Herausforderung“, erklärt Prof. Dr. Markus Pfenninger vom Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum Frankfurt. „Bislang war es schwierig, die beiden Hauptfaktoren zu unterscheiden, die die saisonale Uhr eines Baumes steuern: die direkten Umwelteinflüsse wie Temperatur und die genetische Veranlagung des Baumes.“

Pfenninger und sein Team entwickelten einen innovativen Ansatz, um diese Hürde zu überwinden. Sie nutzten hochauflösende Satellitendaten aus den Jahren 2015 bis 2022, um den genauen Zeitpunkt des Laubaustriebs und des Laubfalls bei 46 Rotbuchenpopulationen (Fagus sylvatica) in ganz Deutschland zu überwachen. Anschließend verknüpften sie diese groß angelegte „Phänotypisierung aus dem Weltraum” mit einer neuen populationsbasierten genetischen Analysemethode. „Zum ersten Mal konnten wir ganze Wälder über Jahre hinweg aus dem Weltraum beobachten und gleichzeitig ihren kollektiven genetischen Bauplan lesen”, sagt Pfenninger. „Diese Kombination gibt uns einen beispiellosen Einblick in die Funktionsweise und Anpassungsfähigkeit dieser lebenswichtigen Ökosysteme.”

Ökologisch betrachtet wird der Zeitpunkt des Laubaustriebs im Frühjahr in erster Linie von der Temperatur und der Wasserverfügbarkeit bestimmt. Die Analyse der Forschenden zeigte, dass sich die Vegetationsperiode für Buchen seit den 1970er-Jahren bereits um etwa acht Tage verlängert hat, was fast ausschließlich auf einen früheren Laubaustrieb zurückzuführen ist. Diese Veränderung erfolgte nicht schrittweise, sondern als abrupte Verschiebung Ende der 1980er-Jahre, die mit einem dokumentierten Anstieg der Frühjahrstemperaturen in Europa zusammenfiel.

Entscheidend ist, dass die Studie auch starke Hinweise auf eine lokale genetische Anpassung liefert. „Buchenpopulationen sind nicht alle gleich, sie sind recht genau auf ihren jeweiligen Standort abgestimmt“, erklärt Prof. Dr. Thomas Hickler, Mitautor der Studie vom SBiK-F. „Beispielsweise sind nördliche Populationen genetisch so programmiert, dass sie ihre Blätter früher treiben lassen, als es das Klima allein vermuten lassen würde. Wir vermuten, dass so die kürzere Vegetationsperiode optimal genutzt wird. Dies zeigt, dass es eine vererbbare Grundlage für ihre Phänologie gibt.“ Die Forschenden konnten sogar die für diese Anpassungen verantwortlichen Kandidatengene identifizieren und sie mit der inneren „circadianen Uhr“ der Bäume für den Blattantrieb und mit den Ruhephasen für den Blattabwurf in Verbindung bringen.

Durch die Kombination von Umweltdaten mit den identifizierten genetischen Informationen kann das Team nun prognostizieren, wie verschiedene Buchenpopulationen auf zukünftige Klimaszenarien reagieren werden. „Dieses präzise Vorhersagemodell ist ein Meilenstein für die Waldbewirtschaftung und den Naturschutz“, fügt Pfenninger hinzu. „Unsere Studie macht deutlich: Die Europäische Buche kann sich gut an veränderte Bedingungen anpassen, wenn bei der Waldbewirtschaftung die genetische Vielfalt erhalten und eine natürliche Selektion ermöglicht wird.“

Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung


Originalpublikation:

Markus Pfenninger, Liam Langan, Barbara Feldmeyer, et al. (2025): Predicting forest tree leaf phenology under climate change using satellite monitoring and population-based genomic trait association. Global Change Biology https://doi.org/10.1111/gcb.70484

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Nachhaltigkeit/Klima Wissenschaft Hessen
news-33591 Fri, 12 Sep 2025 11:36:47 +0200 Vom Muskelkater-Molekül zum Schutzschild: Wie Laktat Zellen in Krisenzeiten verteidigt https://www.vbio.de/aktuelles/details/vom-muskelkater-molekuel-zum-schutzschild-wie-laktat-zellen-in-krisenzeiten-verteidigt Viele Menschen kennen Laktat vor allem aus dem Sport, wo es bei körperlicher Belastung in Muskelzellen entsteht. Doch das Molekül könnte auch in anderen Körperzellen eine zentrale Rolle spielen: Forscherinnen des Universitätsklinikums Essen und des Zentrums für Medizinische Biotechnologie der Universität Duisburg-Essen vermuten, dass Laktat zusammen mit Eisen ein bislang übersehenes Abwehrsystem gegen oxidativen Stress bildet. Für die Medizin würden sich dadurch neue Therapiemöglichkeiten eröffnen, etwa in der Krebstherapie oder bei neurodegenerativen und entzündlichen Erkrankungen.  Laktat könnte in Krisenzeiten gemeinsam mit Eisen Zellen verteidigen. Denn es entsteht nicht nur in Muskelzellen, sondern auch in anderen Zelltypen, etwa in Tumorzellen, Astrozyten im Gehirn oder in Fibroblasten bei Entzündungen. Sie enthalten zudem oft viel Eisen, das nicht fest gebunden ist und dadurch leicht an chemischen Reaktionen teilnehmen kann. Dieses auffällige Muster war der Ausgangspunkt für eine neue Hypothese: Dr. Astrid Hensel, Dr. Renáta Váraljai und Prof. Dr. Shirley K. Knauer schlagen im Fachjournal Redox Biology ein bislang übersehenes Abwehrsystem gegen oxidativen Stress vor. 

Dieser entsteht, wenn schädliche Formen von Sauerstoff in den Zellen überhandnehmen. Ein Beispiel dafür ist Wasserstoffperoxid (H₂O₂), das unter anderem bei Immunreaktionen produziert wird. In geringen Konzentrationen kann es in Zellen als Signalstoff wirken. Wenn allerdings zu viel H₂O₂ entsteht, greift es wichtige Zellbestandteile wie die DNA oder Eiweiße an. Um dies zu verhindern, besitzen Zellen Enzyme, die Wasserstoffperoxid abbauen. Sind diese überlastet, droht jedoch die Gefahr des Zelltods.

„Viele Zellen sind oxidativem Stress ausgesetzt, zum Beispiel in Tumoren, bei Virusinfektionen oder Autoimmunerkrankungen“, erklärt Molekularbiologin Knauer. „Unsere Hypothese ist, dass Laktat gemeinsam mit Eisen wie ein Zellschutzschild wirken könnte, um schädliches Wasserstoffperoxid zu entschärfen. Vereinfacht gesagt: Das Laktat opfert sich und fängt die besonders aggressiven Sauerstoffformen ab, bevor sie lebenswichtige Bausteine der Zelle angreifen können.“ Dabei wird Laktat in Pyruvat umgewandelt, eine Substanz, die Zellen für Wachstum und Reparatur verwenden können.

Biochemikerin Hensel betont die mögliche Bedeutung für die Medizin: „Bestätigt sich die Hypothese, könnte man den Mechanismus gezielt beeinflussen. In der Krebstherapie beispielsweise ließe sich das Schutzschild von Tumorzellen schwächen, damit sie empfindlicher auf Behandlungen reagieren. Bei Autoimmunerkrankungen oder bei neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer wäre das Ziel hingegen genau das Gegenteil: Das Schutzschild müsste gestärkt werden, um gefährdete Zellen besser vor Schäden durch oxidativen Stress zu bewahren.“

Universität Duisburg-Essen 


Originalpublikation:

Astrid Hensel, Renáta Váraljai, Shirley K. Knauer: Raising the iron curtain: Lactate's secret role in oxidative stress defense, Redox Biology, Volume 85, 2025, doi.org/10.1016/j.redox.2025.103754

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Wissenschaft Nordrhein-Westfalen