VBIO

Herausforderungen in der Praxis

Wissenschaftler, die genetische Ressourcen aus einem Vertragsstaat des Nagoya Protokolls nutzen, müssen sowohl die nationalen Regelungen des Herkunftsstaates beachten, als auch die – nicht selten abweichenden – rechtlichen Vorschriften in Deutschland.


In den Herkunftsländern

Die Herausforderungen, denen sich Biowissenschaftler gegenübersehen, sind so zahlreich wie die Herkunftsländer und die dort üblichen gesellschaftlichen und juristischen Gepflogenheiten. Kulturelle und sprachliche Probleme sind häufig vorhersehbar.

Probleme entstehen beispielsweise, wenn ein Herkunftsstaat, der Zugang zu seinen genetischen Ressourcen gewährt, damit Auflagen verbindet, die die Freiheit der Wissenschaft einschränken. Beispiele sind Vorgaben in Hinblick auf Kooperationspartner, die Publikation der Ergebnisse oder die Hinterlegung von Sequenzdaten oder den weiteren Umgang mit dem Material. Je nach Charakter können bestimmte Auflagen das Forschungsprojekt selbst in Frage stellen. Nicht bei jeder biowissenschaftlichen Fragestellung ist es möglich, auf genetische Ressourcen aus anderen Herkunftsländern auszuweichen, in denen die Hürden geringer sind.


In Deutschland

Nutzer genetischer Ressourcen, die dem Nagoya Protokoll unterliegen, müssen ihrer Sorgfaltsplicht genügen. Zentraler Bestandteil sind die ins Artikel 4 der Verordnung (EU) Nr. 511/2014 geregelten umfänglichen Melde‐, Aufbewahrungs‐, Auskunfts‐ und Mitwirkungspflichten. Ziel ist eine transparente, vollständige und jederzeit nachvollziehbare Darstellung, wie und von wem das genetische Material genutzt wurde.

Die Beschaffung aller Kooperations-, Zugangs-, Transport-, Transfer- und Genehmigungsdokumente – von „prior informed consent“ (PIC) über „mutually agreed terms“ (MAT) bis hin zu „material transfer agreements“ (MTA) ist sehr aufwändig und erfordert Verhandlungsgeschick und teilweise auch spezifische juristische Expertise. Diese ist insbesondere an den Hochschulen nicht gegeben. Wissenschaftler müssen sich – für jedes Projekt und jedes Land neu – stets selbst nach bestem Wissen und Gewissen kundig machen und mit persönlichem Risiko Verträge erarbeiten. Die darin investierte Zeit geht zu Lasten der eigentlichen Forschungsaktivitäten.  Aber der erhöhte Aufwand ist nicht das einzige Problem, es gibt auch systemische Inkompatibilitäten:

Unser Wissenschaftssystem ist gekennzeichnet durch befristete Verträge, eine hohe Mobilität und eine prekäre Grundfinanzierung der Kernaufgaben in Lehre & Forschung. In diesem System ist es de facto kaum möglich, die lückenlose Dokumentationspflichten aller genannten Dokumente für einen Zeitraum von 20 Jahren (beginnend mit dem Ende des Forschungsprojektes) zu gewährleisten.

Hinzu kommt, dass im rechtlichen Sinne die Forschungsinstitution der „Nutzer“ ist und der einzelne Wissenschaftler, der daher die notwendigen Meldeformulare für sein eigenes Projekt gar nicht selbst unterzeichnen darf.


Der Standpunkt des VBIO

Der VBIO hat im September 2015 gemeinsam mit der Leibniz-Gemeinschaft und dem Konsortium Deutsche Naturforschende Sammlungen auf die Herausforderungen hingewiesen, die von Biowissenschaftlern, Hochschulen und außeruniversitären Forschungsinstitutionen bei der Umsetzung des Nagoya Protokolls bewältigt werden müssen.

Im Kontext der Bundestags-Anhörung zum deutschen Umsetzungsgesetz haben wir deutlich gemacht, dass der entstehende Mehraufwand anerkannt und ausgeglichen werden muss. Ferner haben wir auf prinzipielle Inkompatibilitäten in Hinblick auf die meist fehlende Unterschriftsbefugnis und die vorgeschriebene Aufbewahrungsfrist hingewiesen und entsprechende Lösungsvorschläge angemahnt.