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Kosten und Nutzen der Hybridisierung

Im Amboseli-Becken im Süden Kenias leben zwei Pavianarten
In der Region um das Amboseli-Becken im Süden Kenias leben zwei Pavianarten, die sich vor 1,4 Millionen Jahren spalteten und sich seitdem mehrfach kreutzten. © Arielle Fogel, Duke University

Jüngste genetische Analysen von wildlebenden Pavianen im Süden Kenias zeigen, dass die meisten in ihrer DNA Spuren einer Hybridisierung tragen. So besteht etwa ein Drittel ihres Erbguts aufgrund von Kreuzungen aus Genen einer anderen, eng verwandten Art. Forschende unter Leitung von Jenny Tung von der Duke University, jetzt am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie, ermittelten die Genvariation und Genaktivität, um möglichen Kosten und Nutzen einer genetischen Vermischung bei Primaten einschließlich des Menschen zu verstehen.

Die Studie wurde in der Nähe des Amboseli-Nationalparks in Kenia durchgeführt, wo Steppenpaviane gelegentlich auf ihre nordwestlichen Nachbarn, die Anubispaviane, treffen und sich mit diesen fortpflanzen. Im Rahmen des Amboseli Baboon Research Project, eines der weltweit ältesten Feldforschungsprojekte zu wildlebenden Primaten, haben Forschende diese Tiere seit 1971 nahezu täglich beobachtet, ihr Paarungsverhalten erfasst und verfolgt, wie sich ihr Nachwuchs entwickelt.

Steppenpaviane haben gelb-braunes Fell mit weißen Wangen und Unterseiten. Anubispaviane haben grünlich-graues Fell, wobei die Männchen struppige Mähnen tragen. Obwohl sich die Arten vor 1,4 Millionen Jahren spalteten, können sie sich in Regionen, wo sich ihre Territorien überlappen, vermischen. Allem Anschein nach kommt der aus diesen Verbindungen stammende Nachwuchs gut zurecht. In fünfzig Jahren Feldforschung wurden keine offensichtlichen Anzeichen dafür erkannt, das hybride Tiere schlechter abschneiden als andere. Einigen geht es sogar besser als erwartet. Paviane, die mehr Anubis-DNA in ihrem Genom aufweisen, reifen schneller heran und bilden stärkere soziale Bindungen. Die Männchen sind zudem erfolgreicher bei der Partnerwahl. Nach jüngsten genetischen Erkenntnissen könnte der Schein jedoch trügen.

Die Forschungsarbeiten zeigen, wie Artenvielfalt auf der Erde erhalten wird, auch wenn die genetischen Grenzen zwischen Arten fließend sind, so  Jenny Tung von der Duke University, die das Projekt mit ihren Doktoranden Tauras Vilgalys und Arielle Fogel leitete. Kreuzungen zwischen verschiedenen Arten kommen in der Tierwelt erstaunlich häufig vor, so Fogel. Etwa 20 bis 30 Prozent der Menschenaffen, Affen und anderen Primaten paaren und vermischen sich mit anderen. Selbst der moderne Mensch trägt eine Mischung aus Genen von bereits ausgestorbenen Vorfahren in sich. Zwischen zwei und fünf Prozent der DNA unseres Genoms deutet auf eine Hybridisierung mit Neandertalern und Denisovanern. Mit diesen kreutzten sich unseren Vorfahren, als sie aus Afrika emigrierten. Diese Verbindungen hinterließen ein genetisches Erbe, das noch heute nachwirkt und unser Risiko für Depressionen, Blutgerinnsel und sogar Nikotinabhängigkeit oder für Covid-19-Komplikationen beeinflusst.

Die Forschenden wollten die möglichen Kosten und Nutzen dieser genetischen Vermischung bei Primaten und des Menschen verstehen. Doch der moderne Mensch hat vor Zehntausenden von Jahren aufgehört, sich mit anderen Homininen zu kreuzen, da zu diesem Zeitpunkt alle bis auf ihn selbst ausgestorben waren.

Hoher Vermischungsgrad

Bei den wildlebenden Amboseli-Pavianen ist es jedoch möglich, eine noch andauernde Hybridisierung zu erforschen. Das Team analysierte Genome von etwa 440 Amboseli-Pavianen über 9 Generationen hinweg und suchte nach DNA-Stücken, die von Anubis-Immigranten stammen könnten. Sie fanden heraus, dass mittlerweile alle Paviane der Amboseli-Region in Kenia gemischt sind, wobei ihre Genome im Durchschnitt zu etwa 37 Prozent aus Anubis-DNA bestehen. Bei einigen liegt die Kreuzung mit Anubis-Vorfahren noch nicht allzu lang zurück und erfolgte innerhalb der letzten sieben Generationen. Doch bei fast der Hälfte von ihnen geschah dies vor Hunderten bis Tausenden von Generationen.

„Die Daten zeigen, dass in dieser Zeit die Anubis-DNA für ihre Erben mit einem hohen Preis verbunden war und deren Überleben und Fortpflanzung so beeinflussten, dass diese Gene heute weniger häufig in den Genomen ihrer Nachkommen zu finden sind“, so Vilgalys, jetzt Postdoc-Wissenschaftler an der Universität Chicago. Die Ergebnisse stimmen mit denen der genetischen Forschung beim Menschen überein, die davon ausgeht, dass auch unsere frühen Vorfahren einen hohen Preis für die Hybridisierung zahlten, der jedoch nur schwer aus den begrenzt verfügbaren fossilen und DNA-Funden herauszufinden ist.

Regulation von Genen betroffen

Den Forschenden zufolge liefern die Amboseli-Paviane Hinweise auf die Kosten der Hybridisierung. Mit Hilfe von RNA-Sequenzierung zur Messung der Genaktivität in den Blutzellen der Paviane fanden sie heraus, dass eher die natürliche Selektion Teile der geliehenen DNA aussortiert, die als Schalter agieren und andere Gene an- und ausschalten. „Als nächstes wollen wir herausfinden, was die Fähigkeit der hybriden Paviane zum Überleben und zur Reproduktion beeinflusst“, sagt Fogel.

Genomische Daten ermöglichen den Wissenschaftlern, noch viele weitere Generationen zurückzuschauen und historische Prozesse zu untersuchen, die im Feld nicht direkt sichtbar sind. „Doch man muss die Tiere anschauen, um zu verstehen, was die genetischen Veränderungen tatsächlich bedeuten“, erklärt Tung. „Feldforschung wie auch Genetik sind nötig, um die ganze Geschichte zu erfahren.“„Wir sagen nicht, dass der Fall der Paviane dem der Neandertaler, Denisovaner und Menschen entspricht“, fügt Tung hinzu, jetzt am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig. „Doch die Paviane zeigen, dass hybride Tiere trotz der negativen Auswirkung einer Vermischung, nicht nur überleben, sondern sich oft prächtig entwickeln können."

Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie


Originalpublikation:

Tauras Vilgalys, Arielle Fogel, Jordan Anderson, Raphael Mututua, J. Kinyua Warutere, I. Long’ida Siodi, Sang Yoon Kim, Tawni Voyles, Jacqueline Robinson, Jeffrey Wall, Elizabeth Archie, Susan Alberts, Jenny Tung: Selection Against Admixture and Gene Regulatory Divergence in a Long-Term Primate Field Study. Science, Aug 5, 2022 (DOI: 10.1126/science.abm4917)

www.science.org/doi/10.1126/science.abm4917