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Darmkrebs: Genetische Veränderungen steuern Metastasenbildung

Darmkrebs kann Metastasen in Leber, Lunge und Gehirn bilden. Copyright: pixabay, Karin Kaiser/MHH

In Deutschland erkranken jährlich etwa 60.000 Menschen neu an Darmkrebs. Zwar sinkt die Sterblichkeitsrate seit Jahrzehnten stetig. Dennoch gehört das kolorektale Karzinom zu den häufigsten Tumorarten und ist für etwa zehn Prozent der krebsbedingten Todesfälle weltweit verantwortlich. Besonders gefährlich ist der Tumor, wenn er Metastasen – also Tochtergeschwülste – in anderen Organen bildet. Das geschieht vor allem in Leber und Lunge, seltener auch im Gehirn. Ein Forschungsteam um Dr. Dr. Björn Sander, Pathologe am Institut für Pathologie der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH), hat untersucht, wie genetische Veränderungen in den Chromosomen, den Trägern der Erbinformation, die Metastasenbildung beeinflussen und welche Unterschiede zwischen verschiedenen Arten von Metastasen bestehen. Die Ergebnisse der wissenschaftlichen Studie sind in der Fachzeitschrift „Nature Communications“ veröffentlicht worden. Sie könnten dazu beitragen, das individuelle Risiko einer Metastasenbildung besser abzuschätzen und neue Therapieansätze zu entwickeln.
 

Genaue Abläufe bislang nicht gut verstanden
Darmkrebs entwickelt sich oft aus gutartigen Polypen in der Darmschleimhaut. Werden diese Wucherungen nicht rechtzeitig entfernt, können sie zu bösartigen Tumoren heranwachsen. Diese weisen häufig komplexe genetische Veränderungen in ihren Chromosomen auf. Dabei gehen bestimmte Gene verloren oder werden vervielfältigt, was das Verhalten der Tumorzellen beeinflusst. Die chromosomalen Veränderungen unterscheiden sich nicht nur individuell von Patient zu Patient, sondern können auch innerhalb eines einzelnen Tumors variieren. Weil die genauen Abläufe der Metastasenbildung bislang nicht gut verstanden sind, ist es besonders schwierig, Prognosen zu stellen oder zielgerichtete Therapien zu entwickeln. „Wir haben mehr als 3800 Fälle von Darmkrebs nun genau untersucht und herausgefunden, dass Hirnmetastasen im Vergleich zu Leber- und Lungenmetastasen besonders viele genetische Veränderungen aufweisen“, sagt Dr. Dr. Sander. 

Mutationen im KRAS-Gen fördern Tumorwachstum
Eine zentrale Rolle spielt dabei das sogenannte KRAS-Gen. Es trägt die Information für ein Protein, das eine wichtige Rolle in der Signalübertragung und Regulierung des Zellwachstums spielt. KRAS-Mutationen treten besonders häufig bei verschiedenen Krebsarten auf, insbesondere Lungen-, Darm- und Pankreaskrebs und können das Wachstum von Tumoren fördern. In Hirnmetastasen fanden die Forschenden besonders häufig eine Kombination von Mutationen und Vervielfältigungen dieses Gens. Die Besiedlung des Gehirns stellt die Tumorzellen vor besondere Herausforderungen. Zum einen müssen die Krebszellen Barrieren wie die Blut-Hirn-Schranke überwinden, eine natürliche Barriere in den Blutgefäßen, die das Gehirn vor schädlichen Substanzen aus dem Blutkreislauf schützt. Zum anderen müssen sie sich an die einzigartige Gewebeumgebung anpassen, die durch eine reduzierte Verfügbarkeit von Sauerstoff für die Tumorzellen gekennzeichnet ist. „Das Gehirn hat selbst einen hohen Sauerstoffverbrauch. Tumorzellen mit nachgewiesenen Veränderungen im KRAS-Gen zeigen einen Vorteil bei der Anpassung an das begrenzte Sauerstoffangebot im Gehirn", erklärt der Pathologe.

Muster bei Hirnmetastasen entwickeln sich spät
Ein weiterer Befund aus der wissenschaftlichen Studie ist, dass die vielfältigen genetischen Muster bei Hirnmetastasen sich eher spät entwickeln – im Gegensatz zu weniger komplexen Veränderungen, die bei Leber- und Lungenmetastasen beobachtet werden. Dies deutet darauf hin, dass die genetische Entwicklung der Tumorzellen beeinflusst, in welchem Organ sich die Metastasen bilden. „Durch die Untersuchung von Proben aus an Darmkrebs Erkrankten, die noch keine zielgerichtete Therapie erhalten hatten, konnten wir sicherstellen, dass die beobachteten genetischen Veränderungen tatsächlich natürlich und nicht durch Einfluss neuer zielgerichteter Medikamente entstehen“ sagt Dr. Dr. Sander.

Mögliche Schwachstellen als Ansatz für neue Therapien
Doch die Ergebnisse der Studie geben nicht nur Einblicke in die Mechanismen der Metastasenbildung, sondern zeigen auch mögliche Schwachstellen der Tumorzellen auf. Ein Ansatz für zukünftige Therapien könnte sein, die Schwachstellen, die sich durch die chromosomale Instabilität ergeben, therapeutisch auszunutzen. Dr. Dr. Sander und sein Team hoffen, dass die Erkenntnisse langfristig dazu beitragen werden, personalisierte Behandlungsstrategien für Darmkrebspatienten zu entwickeln.
(Medizinische Hochschule Hannover)


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Die Originalarbeit „Cytogenetic signatures favoring metastatic organotropism in colorectal cancer” finden Sie unter: https://www.nature.com/articles/s41467-025-58413-1