Das Gehirn von Primaten wird durch verschiedene Einflüsse in der Entwicklung geprägt. Diese unterscheiden sich jedoch zwischen Menschenaffen und Affen mit gemeinschaftlicher Jungenaufzucht wie etwa den Weissbüschelaffen (Callithrix jacchus). Bei Letzteren helfen von der Geburt an andere Gruppenmitglieder massgeblich mit, die Jungen gross zu ziehen – ganz wie bei Menschen.
Wie sich solche sozialen Interaktionen auf die Gehirnentwicklung der Weissbüschelaffen auswirken, untersuchten internationale Forschende unter der Leitung von Paola Cerrito vom Institut für Evolutionäre Anthropologie der Universität Zürich. Die Studie gibt neue Einblicke in den Zusammenhang zwischen der zeitlichen Entwicklung des Gehirns und den sozio-kognitiven Fähigkeiten von Weissbüschelaffen, insbesondere deren Kooperationsbereitschaft und Prosozialität.
Längeres Lernen aus sozialen Interaktionen
Das Forschungsteam analysierte die Hirnentwicklung mit Magnetresonanztomographie-Daten und konnte zeigen, dass Gehirnregionen, die an der Verarbeitung sozialer Interaktionen beteiligt sind, beim Weissbüschelaffen eine verlängerte Entwicklungszeit aufweisen – ähnlich wie beim Menschen. Sie erreicht ihre Reife erst im frühen Erwachsenenalter, was längere Phasen des Lernens aus sozialen Interaktionen ermöglicht.
Wie beim Menschen interagieren Säuglinge bei Weissbüschelaffen von Geburt an mit mehreren Bezugspersonen und sind so einem intensiven sozialen Austausch ausgesetzt. Die Nahrungsaufnahme ist ebenfalls eine kooperative Angelegenheit: Jungtiere werden von den Gruppenmitgliedern gefüttert und müssen bisweilen darum betteln, weil ihre Mütter bereits mit dem nächsten Nachwuchs beschäftigt sind. Diese sozialen Verhaltensinteraktionen prägen laut Studie die Entwicklung des Gehirns massgeblich und tragen zu den hoch entwickelten sozio-kognitiven Fähigkeiten dieser Affen bei.
Modell für die menschliche Evolution
Aufgrund der Parallelen zum Menschen sind Weissbüschelaffen wichtige Modelle für die Untersuchung der Evolution von sozialer Kognition. «Unsere Ergebnisse unterstreichen, wie wichtig soziale Erfahrungen für die Gestaltung der neuronalen und kognitiven Netzwerke sind, nicht nur bei Affen, sondern auch beim Menschen», erklärt Cerrito.
Soziale Einflüsse während der Entwicklung könnten auch eine treibende Kraft bei der Entstehung Mitgefühls und Empathie beim Menschen gewesen sein. «Dieses Verständnis kann Auswirkungen auf die Evolutionsbiologie bis zu den Neurowissenschaften und der Psychologie haben», sagt die Erstautorin.
Universität Zürich
Originalpublikation:
Paola Cerrito, Eduardo Gascon, Angela C. Roberts, Stephen J. Sawiak, Judith M. Burkart. Neurodevelopmental timing and socio-cognitive development in a prosocial cooperatively breeding primate (Callithrix jacchus). Science Advances, 30 October 2024; DOI: https://doi.org/10.1126/sciadv.ado3486