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Neuer Super-Schädling vereint breites Mikrobenspektrum

Schilf-Glasflügelzikade (Pentastiridius leporinus)
Schilf-Glasflügelzikade (Pentastiridius leporinus) Quelle: Benjamin Weiss, Max-Planck-Institut für chemische Ökologie

Die Schilf-Glasflügelzikade hat sich innerhalb kurzer Zeit von einem Schilfgras-Spezialisten zu einem gefährlichen Schädling entwickelt, der neben Schilf auch wichtige Kulturpflanzen wie Zuckerrüben, Kartoffeln, Karotten und Zwiebeln befällt. Dabei lebt sie in enger Symbiose mit sieben verschiedenen Bakterien, von denen zwei Krankheiten übertragen können, die zu erheblichen Ernteausfällen führen. Vermutlich spielen die symbiotischen Bakterien eine entscheidende Rolle bei der Erweiterung des Wirtsspektrums der Zikade. Diese Erkenntnisse könnten künftig dabei helfen, gezielte Bekämpfungsstrategien zu entwickeln, die auf der Beeinflussung der schädlichen bzw. nützlichen Bakterien basieren. 

Die Schilf-Glasflügelzikade (Pentastiridius leporinus) war ursprünglich ein Spezialist, der ausschließlich auf Schilfgras als Nahrungsquelle beschränkt war. Innerhalb weniger Jahre hat sie sich jedoch zu einem gefährlichen Superschädling entwickelt, der nun auch Zuckerrüben, Kartoffeln, Karotten und Zwiebeln befällt. Obwohl sie selbst nur geringe Pflanzenschäden verursacht, überträgt sie schädliche Bakterien, die Pflanzenkrankheiten auslösen und zu massiven Ernteausfällen führen – insbesondere in der Zuckerrübenproduktion und im Kartoffelanbau. Verantwortlich dafür sind zwei bakterielle Krankheitserreger, die die Krankheiten SBR (Syndrome Basses Richesses, Syndrom des niedrigen Zuckergehalts) und Stolbur verursachen.

Forschende des Max-Planck-Instituts für chemische Ökologie in Jena und des Fraunhofer-Instituts für Molekularbiologie und Angewandte Ökologie in Gießen sind nun der Frage nachgegangen, warum sich dieses Insekt so stark ausbreiten konnte und welche Rolle seine Mikrobenflora dabei spielen könnte. Um die Mikrobengemeinschaft zu identifizieren und zu zeigen, wo sie sich im Insektenkörper ansiedeln, nutzten die Forschenden modernste Sequenzierungsmethoden sowie Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung. 

„Wir konnten zeigen, dass die Schilf-Glasflügelzikade mindestens sieben verschiedene Bakterienarten beherbergt. Auf drei davon scheint sie absolut angewiesen zu sein. Diese Symbionten leben in spezifischen Organen und werden von Generation zu Generation über die Eier weitergegeben. Sie tragen zur Ernährung der Zikade bei, indem sie essentielle Aminosäuren und Vitamine produzieren. Zwei weitere Bakterien sind die Erreger der Pflanzenkrankheiten SBR und Stolbur. Sie können von der Zikade auf die Wirtspflanzen übertragen werden. Diese Bakterien tragen maßgeblich zur Schadwirkung der Zikade bei. Die Bedeutung der beiden übrigen Bakterien bleibt noch unklar,“ fasst Erstautor Heiko Vogel die wichtigsten Ergebnisse zusammen. Er leitet in der Abteilung Insektensymbiosen die Projektgruppe Wirtspflanzenanpassung und Immunität.

Bei den beiden pflanzenpathogenen Bakterien handelt es sich um Candidatus Arsenophonus phytopathogenicus, den Verursacher von SBR, und Candidatus Phytoplasma solani, den Stolbur-Erreger. Das Forschungsteam fand fünf weitere Bakterienarten in verschiedenen Organen der Schilf-Glasflügelzikade. Die Gattungen Purcelliella, Karelsulcia und Vidania ermöglichen als Symbionten die Ernährung mit Pflanzensäften. Sie gleichen Ernährungsdefizite aus, indem sie essentielle Aminosäuren und B-Vitamine bereitstellen oder zur Biosynthese dieser Stoffe beitragen. Über die Bedeutung der Gattungen Rickettsia und Wolbachia für den Insekten-Wirt wird noch spekuliert. „Vor allem die Komplexität der unterschiedlichen Mikroben hat uns erstaunt – ebenso wie die Tatsache, dass Rickettsia-Bakterien sogar im Zellkern vieler Gewebe der Zikade zu finden sind,“ sagt Martin Kaltenpoth, Leiter der Abteilung Insektensymbiosen am Max-Planck-Institut. 

Wie sich die Schilf-Glasflügelzikade an die vielfältigen Abwehrmechanismen ihrer Wirtspflanzen anpassen kann, ist noch unbekannt. Allerdings könnten sowohl die Bakterien, die Pflanzenkrankheiten verursachen, als auch die Symbionten dabei eine Rolle spielen.

Die Ergebnisse der Studie bilden die Grundlage für die Entwicklung gezielter Strategien zur Manipulation der bakteriellen Symbionten der Schilf-Glasflügelzikade. Ein Ansatz ist, gezielt die Produktion von bestimmten Speichelproteinen der Zikaden mithilfe der RNA-Interferenz zu hemmen. Hierzu werden doppelsträngige RNA (dsRNA) gegen das Zielgen injiziert. „Gegenwärtig entwickeln wir in Gießen dsRNA-basierte Sprays für die gezielte und umweltfreundliche Bekämpfung von Schilf-Glasflügelzikaden und anderen Schädlingen,“ sagt Andreas Vilcinskas vom Fraunhofer-Institut für Molekularbiologie und Angewandte Ökologie. 

Um die Rolle und Wechselwirkungen der mikrobiellen Partner der Schilf-Glasflügelzikade besser zu verstehen, sind weitere Studien geplant. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse sollen neue Ansätze zur Bekämpfung dieses verheerenden Landwirtschaftsschädlings aufzeigen.

Max-Planck-Institut für chemische Ökologie


Originalpublikation:

Vogel, H., Weiss, B., Rama, F., Rinklef, A., Engl, T., Kaltenpoth, M., Vilcinskas, A. (2025). A multi-partner symbiotic community inhabits the emerging insect pest Pentastiridius leporinus. mBio 0:e03103-25. https://doi.org/10.1128/mbio.03103-25

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