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Klimawandel fördert Ausbreitung von Vibrionen: IOW-Studie zeigt globale Verbreitungsmuster

Bakterien der Art Vibrio vulnificus (hier eine Rasterelektronenmikroskop-Aufnahme)
Können für Menschen potenziell sehr gefährlich sein: Bakterien der Art Vibrio vulnificus (hier eine Rasterelektronenmikroskop-Aufnahme) Quelle: Janice Haney Carr, Copyright: CDC Public Health Image Library

Der für Menschen potenziell gefährliche Wundbranderreger Vibrio vulnificus ist natürlicher Bestandteil von Meeresplankton. Das Leibniz-Institut für Ostseeforschung Warnemünde (IOW) hat jetzt erstmals eine umfassende Analyse zu seiner globalen Verbreitung vorgelegt. Diese zeigt, dass das Pathogen in fast allen Küstenregionen der Welt auftritt, vermehrt jedoch bei vergleichsweise hohen Wassertemperaturen, mittleren Salzgehalten und in absterbenden Algenblüten. Die Studie liefert außerdem ein Vorhersagemodell, mit dem sich künftige Klimawandel-bedingte Veränderungen der Vibrionen-Verbreitung abschätzen lassen. 

Als „Vibrionen“ bezeichnet man alle Bakterien der Gattung Vibrio. Sie treten im offenen Meer auf und kommen auch in Küsten-, Brack- und Süßgewässern sowie in Gewässersedimenten vor. Man kennt gut 150 verschiedene Arten, von denen etwa 10 % pathogen sind und Infektionen bei Menschen, Fischen oder Muscheln verursachen. Zu diesen zählt auch Vibrio vulnificus, der allein durch Wasserkontakt im schlimmsten Fall bis zu einer Sepsis mit tödlichem Ausgang führen kann.

Um zu klären, welche Umweltfaktoren für die Verbreitungsmuster von V. vulnificus entscheidend sind, analysierte ein IOW-Forschungsteam um den Meeresmikrobiologen Matthias Labrenz und die Bioinformatikerin Christiane Hassenrück mehr als 70.000 Umwelt-DNA-Datensätze aus marinen Küstengewässern. Diese wurden über die letzten 10 Jahre weltweit zwischen 78° Süd und 83° Nord aus Wasserproben gewonnen und sind auf öffentlichen Sequenzdatenarchiven frei verfügbar.

Vibrionen-Hotspots und auffällige Verschiebung des Auftretens nach Norden

Die Auswertungen zeigen, dass Vibrio vulnificus nahezu weltweit verbreitet ist – von tropischen Küstenregionen bis hin zur südlichen Ostsee. Hotspots mit besonders hohen relativen Häufigkeiten liegen vor allem in den Tropen, wo 45 % aller Nachweise registriert wurden. Auch an der US-Ostküste, in Ostasien sowie in der südlichen Ostsee wurden Hotspots festgestellt. Auffällig ist ein Trend in Richtung höherer Breiten: In nahezu jedem Jahr zwischen 2013 und 2021 nahm die Zahl der Nachweise in nördlichen Regionen zu – ein Indiz dafür, dass steigende Meerestemperaturen die Ausbreitung nach Norden beschleunigen.

Was beeinflusst das Auftreten von Vibrio vulnificus und kann man es vorhersagen?

Um zu analysieren, welche Umweltfaktoren einen wesentlichen Einfluss auf das Auftreten von V. vulnificus haben, kombinierte das IOW-Team die Sequenzdatenanalyse mit Satellitendaten zu Wassertemperatur, Salzgehalt, Strömungen und Chlorophyllkonzentrationen. Mithilfe maschineller Lernverfahren, die sehr große Datenmengen bewältigen können, identifizierten die Forschenden die folgenden Parameter als die wichtigsten Einflussgrößen auf die relative Häufigkeit des Erregers:

• Die Wassertemperatur an der Meeresoberfläche erwies sich als Faktor mit dem stärksten, statistisch belegten Einfluss. V. vulnificus wurde fast nur in Gewässern nachgewiesen, die wärmer als 15 °C waren (zu 99 %); höhere Temperaturen begünstigen verstärktes Auftreten.

• Das Auftreten von Phytoplankton-Blüten und ihr Zerfall erwiesen sich als indirekter Verstärkungsfaktor, da die dabei freigesetzten Nährstoffe das Wachstum von V. vulnificus fördern.

• Der Salzgehalt spielt ebenfalls eine wichtige Rolle für die Verbreitung von V. vulnificus: Die Bakterien traten zwar in einem breiten Bereich zwischen 4,3 und 39,8 ‰ auf, besonders häufig aber bei mittleren Salzgehalten von 5 – 20 ‰, wie es für die Ostsee typisch ist.

• Geringe Strömungsgeschwindigkeiten (≤ 0,5 m/s) waren mit Nachweisen höherer relativer Häufigkeiten von V. vulnificus verbunden, während schnelle Strömungen (≥ 1 m/s) ein Auftreten offenbar eher verhinderten.

Unter Berücksichtigung dieser Einflussfaktoren entwickelten die Forschenden ein Modell, mit dessen Hilfe verstärktes Auftreten von V. vulnificus vorhergesagt und damit Hochrisikogebiete identifiziert werden können. Zur Validierung nutzten sie unter anderem Messwerte aus der Ostsee zusammen mit Infektionsstatistiken aus den Ostsee-Anrainerstaaten. Das Modell erwies sich als aussagekräftig und insbesondere deckten sich die vorhergesagten Hochrisikogebiete mit den in Schweden und Deutschland dokumentierten Vibrio-Infektionsfällen.

Klima- und Demographiewandel verstärken Infektionsrisiko

Da Vibrio vulnificus natürlicher Bestandteil von Meeresplankton ist, kommen Menschen regelmäßig mit dem Erreger in Kontakt. Er kann beim Baden schon über kleinste Wunden in den Körper eindringen und auch über kontaminierte Meeresfrüchte Infektionen auslösen. In der Regel verhindert die köpereigene Immunabwehr jedoch eine ernsthafte Erkrankung; aber Ältere und Menschen mit geschwächtem Immunsystem sind besonders gefährdet. Bleibt eine sich ausbreitende Infektion unbehandelt, verläuft sie oft rapide und schwer: Bis zu 50 % der Erkrankten sterben, ein Zehntel kann nur durch Amputation gerettet werden. Rechtzeitig erkannt, ist die Erkrankung jedoch gut mit Antibiotika behandelbar.

„Bislang sind Vibrio-Infektionen mit schlimmem Ausgang hier bei uns an der Ostsee selten. Auf viele Millionen Urlaubsgäste kommen im deutschen Ostseeraum jährlich kaum mehr als ein bis zwei Todesfälle“, sagt Matthias Labrenz, eine der beiden wissenschaftlichen Ansprechpersonen für die aktuelle Studie und am IOW seit vielen Jahren mit dem Thema Vibrionen befasst. „Unsere Studie belegt aber eindeutig: Klimawandelfolgen wie steigende Wassertemperaturen, die neben Überdüngung auch ein Zunehmen von Algenblüten begünstigen, sorgen dafür, dass sich das Infektionsrisiko erhöht. Denn Menschen sind Vibrionen verstärkt ausgesetzt, weil die jährliche Vibrionen-Saison länger, die Erreger-Konzentrationen im Wasser höher und das Verbreitungsgebiet durch die Nordausweitung größer wird. Außerdem muss man davon ausgehen, dass sich die Risikogruppe der älteren Menschen durch demografische Entwicklungen weiter vergrößert“, so der Meeresmikrobiologe.

„Umso wichtiger ist es, mit unserem Modell, das auch ökologische Faktoren wie den Zerfall von Phytoplanktonblüten und regionale Strömungsverhältnisse einbezieht, zukünftig realistische Risikoszenarien und Risikokarten zu erstellen, um Küstenregionen und Gesundheitsbehörden frühzeitig warnen zu können“, ergänzt Christiane Hassenrück, ebenfalls wissenschaftliche Korrespondenzautorin der Publikation. „Die Archivierung von gut beschriebenen, standardisierten Daten in Langzeitarchiven ist essentiell für die Erkennung solcher ökologischen Muster“, so die Bioinformatikerin weiter. Allerdings gäbe es auch methodische Grenzen: Da bislang nur positive Vibrio-Nachweise ausgewertet wurden, können Bereiche ohne Nachweis nicht eindeutig als potenzielles Verbreitungsgebiet ausgeschlossen werden. Zudem seien die verfügbaren Infektionsdaten regional sehr unterschiedlich dokumentiert. Die Forschenden empfehlen daher, künftig stärker auf eine systematische Erfassung von Infektionsfällen zu setzen und die Modelle mit aktuellen Monitoringdaten zu verknüpfen.

Leibniz-Institut für Ostseeforschung Warnemünde


Originalpublikation:

David J. Riedinger, Christiane Hassenrück, Daniel Herlemann, Matthias Labrenz (2025): Global distribution and predictive modeling of Vibrio vulnificus abundance. Communications Earth & Environment, 6: 210. https://doi.org/10.1038/s43247-025-02182-8

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