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Eisbohrkern aus Mont-Blanc-Massiv enthält intaktes Klimaarchiv der vergangenen 12.000 Jahre

Das Expeditionsteam bei der Entnahme des Eiskerns vom Dome du Goûter unterhalb der Gipfelregion des Mont Blanc im Jahr 1999.
Das Expeditionsteam bei der Entnahme des Eiskerns vom Dome du Goûter unterhalb der Gipfelregion des Mont Blanc im Jahr 1999. Copyright: © LGGE/OSUG, Bruno Jourdain

Ein einzigartiges, intaktes Archiv vergangener klimatischer Bedingungen enthält ein Eisbohrkern, der vom Dôme du Goûter des Mont-Blanc-Massivs stammt. Einem internationalen Forschungsteam mit Wissenschaftlern der Universität Heidelberg ist es gelungen, den bereits 1999 geborgenen Kern umfassend zu datieren. Dazu nutzten sie erstmals die Radiokarbonmethode in Verbindung mit einem quantenphysikalischen Verfahren zur Datierung jüngerer Eisschichten. Die Analysen zeigen, dass der etwa 40 Meter lange Kern auch Gletschereis vom Ende der letzten Eiszeit und damit Klima- und Umweltinformationen der vergangenen 12.000 Jahre enthält. 

Gletschereis wie auch die Eisschilde der Pole werden Jahr für Jahr aus abgelagertem Schnee aufgebaut und speichern diverse Informationen über die Umweltbedingungen der Vergangenheit. Während die Klimaarchive der polaren Eisbohrkerne bis zu 800.000 Jahre in die Vergangenheit reichen, ist alpines Gletschereis in der Regel nicht älter als einige tausend Jahre, wie Prof. Dr. Werner Aeschbach, Wissenschaftler am Institut für Umweltphysik der Universität Heidelberg, erläutert. Der nun untersuchte Eisbohrkern aus den französischen Alpen bietet der Wissenschaft erstmals eine kontinuierliche Chronologie aus alpinem Eis, die das gesamte Holozän und sogar das Ende der davor liegenden Kaltzeit abdeckt, so der Heidelberger Wissenschaftler. Auskunft über die Umweltbedingungen der Vergangenheit geben die stabilen Isotope des Wassers sowie die im Eis enthaltenen Staubteilchen und Aerosole – durch die Luft transportierte chemische Verbindungen aus natürlichen und anthropogenen Quellen.

Für die umfassende Datierung des Kerns nutzten die Forscherinnen und Forscher zum ersten Mal eine Kombination aus zwei Verfahren, die auf der Zählung radioaktiver Isotope basieren: Neben der etablierten C-14-Methode für Eisschichten mit einem Alter von mehr als 1.000 Jahren kam das quantenphysikalische Verfahren der sogenannten Atom Trap Trace Analysis (ATTA) für jüngere Eisschichten zum Einsatz. Damit ist es möglich, das sehr seltene Isotop Argon-39 nachzuweisen. „Erst in der Verbindung der beiden Verfahren konnten die im Eis gespeicherten Informationen verlässlich in eine zeitliche Abfolge gestellt und interpretiert werden“, betont Prof. Aeschbach, der ATTA für Ar-39 in Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Markus Oberthaler vom Kirchhoff-Institut für Physik der Universität Heidelberg entwickelt hat.

Die Analysen der Wasserisotope zeigen eine Temperaturdifferenz zwischen der späten letzten Eiszeit und der darauffolgenden und bis heute andauernden Warmperiode des Holozäns von drei Grad Celsius. Dabei handelt es sich um Sommertemperaturen, da Winterschnee am Dôme du Goûter größtenteils durch Winderosion verloren geht. Die Phosphorkonzentrationen im Eis – sie dienen als Indikatoren für Veränderungen der Vegetation – deuten auf eine Ausbreitung von Wäldern hin. Sie wurde nach dem Ende der letzten Eiszeit durch das wärmere Klima begünstigt. Da die Alpen anders als polare Eisschilde nahe an menschlichen Lebensräumen liegen, lassen sich aus den Daten des Eisbohrkerns auch Rückschlüsse auf die Entwicklung moderner Gesellschaften im späten Holozän gewinnen. Sie zeigen zum Beispiel die Rodung von Wäldern infolge von Landnutzung und Industrialisierung.

Auch die im Eis eingelagerten Meersalz- und Staubkonzentrationen sind für die Forscherinnen und Forscher von Interesse. Diese Aerosole können Sonnenstrahlung absorbieren und streuen – und damit das regionale Klima maßgeblich beeinflussen. So zeigen die Analysen, dass der Gehalt an Meersalz im Eis nach der letzten Eiszeit abgenommen hat – ein Hinweis auf abflauende Winde vor der Küste Westeuropas. Zu anderen Aussagen als frühere Klimamodelle kommen die Wissenschaftler bei der Auswertung der Staubkonzentrationen. Sie waren während der Eiszeitperiode nicht bloß doppelt so hoch, sondern etwa achtmal höher als im Holozän. Ein Grund dafür könnten vermehrt auftretende Staubwolken aus der Sahara sein; sie sind noch heute eine Hauptquelle für Staub in Europa.

Universität Heidelberg


Originalpublikation: 

M. Legrand, J. R. McConnell, S. Preunkert, D. Wachs, N. J. Chellman, K. Rehfeld, G. Bergametti, S. M. Wensman, W. Aeschbach, M. K. Oberthaler, and R. Friedrich: Alpine ice core record of large changes in dust, sea-salt, and biogenic aerosol over Europe during deglaciation. PNAS Nexus (6 June 2025), https://doi.org/10.1093/pnasnexus/pgaf186

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