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Das Matrjoschka-Prinzip

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Die Reifung der Ribosomen ist ein komplizierter Prozess. LMU-Wissenschaftler konnten nun zeigen, dass sich dabei die Vorläufer für die kleinere Untereinheit dieser Proteinfabriken regelrecht häuten und ein Hüllbestandteil nach dem anderen abwerfen.

Es ist ein zentraler, wenn nicht der zentrale Prozess allen Lebens: die Proteinsynthese. Eiweiße haben in jedem Organismus vielfältige und unverzichtbare Aufgaben. Die molekularen Maschinen indes, die jede einzelne Zelle dafür braucht, um die Proteine nach den Bauplänen des Erbgutes zusammenzusetzen, entstehen in einem komplizierten vielstufigen Vorgang. Schließlich sind die Riesenmoleküle ein komplexes Konstrukt aus speziellen Proteinen und der Erbsubstanzvariante RNA. Doch wie der Zusammenbau der Ribosomen genau erfolgt, ist noch nicht in allen Einzelheiten verstanden. Ein Team um Roland Beckmann, Professor am Genzentrum der LMU, hat jetzt neue entscheidende Details zusammentragen.

Die Münchner Wissenschaftler haben zusammen mit Kollegen aus Heidelberg untersucht, wie sich in Zellen höherer Lebewesen die kleinere der beiden Teile, aus denen sich ein Ribosom schließlich zusammensetzt, die sogenannte 40S-Untereinheit, zunächst in vielen Schritten aus einem Vorläufer-Komplex, dem 90S-Prä-Ribosom, im wahrsten Sinne des Wortes herausschält. Zunächst liegen die RNA-Ketten für beide Untereinheiten noch in einem Stück vor, zusammen mit einem Abschnitt, der dann für die Rohversion der 40S-Untereinheit eine Art Außenskelett bildet, damit sich die RNA in die richtige dreidimensionale Form falten kann.

Doch wie und wann werden diese Abschnitte voneinander getrennt? Bislang waren die Vorstellungen von diesem entscheidenden Schritt noch recht unpräzise: Die 40S-Einheit reift heran, und nach der Trennung der Abschnitte, die dann erfolgt, löst sie sich mehr oder minder fertig aus dem Außenskelett. Doch es ist ein wenig komplizierter, fanden die Forscher jetzt heraus. Es bedarf zum Beispiel zunächst eines speziellen Enzyms (Dhr1), dass die Ribosomen-RNA noch an der vorgesehenen Stelle für den Schnitt vorbereitet und sie räumlich mit der RNA-Schere, dem Enzym Utp24, zusammenbringt, damit sich die Abschnitte dann tatsächlich trennen können.

Zusätzlich läuft eine Kette von Reaktionen ab, in denen sich das Außenskelett von der Rohversion der 40S-Untereinheit ablöst und diese freisetzt. „Es macht nicht einfach plumps“, sagt Beckmann. Die 40S-Einheit durchläuft eine Art Häutung: Schicht um Schicht lösen sich einzelne Vorläufermodule ab. „Es ist ein bisschen wie bei den russischen Puppen: Wenn man die äußere öffnet, ist noch immer wieder eine kleinere drin“, sagt Beckmann. Schritt für Schritt konnten die Münchner Experten für Kryo-Elektronenmikroskopie die komplexen dreidimensionalen Molekülstrukturen aus ihren Aufnahmen berechnen. Ein Team um Ed Hurt, Professor am Biochemie-Zentrum der Universität Heidelberg (BZH), hatte in vorausgehenden biochemischen Analysen erste Hinweise auf diesen Mechanismus gefunden, der den bisherigen Vorstellungen einer en-bloc Ablösung widersprach.

Solche Mechanismen aufzuklären, ist mehr als reine Grundlagenforschung. Immer mehr Krankheiten werden entdeckt, sagt Beckmann, in denen ein Mangel an intakten Ribosomen eine entscheidende Rolle spielt. Wenn sich Fehler in die komplizierten Prozesse einschleichen, in denen die molekularen Maschinen entstehen, kann es sein, dass die Zellen nicht mehr über genug Ribosomen verfügen und das fein austarierte Gleichgewicht des Proteinstoffwechsels zerstört wird. Unter den Syndromen finden sich Muskelatrophien, Wachstumsanomalien, Anämien und Krebsarten.

Ludwig-Maximilians-Universität München


Originalpublikation:

Jingdong Cheng, Benjamin Lau, Guiseppe La Venuta, Michael Ameismeier, Otto Berninghausen, Ed Hurt, Roland Beckmann: 90S pre-ribosome transformation into the primordial 40S subunit, Science 2020

https://science.sciencemag.org/content/369/6510/1470