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Begleiterkrankungen bei HIV: Big-Data-Studie bringt molekulare Zusammenhänge ans Licht

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Bild: Pixabay

Warum leiden Menschen, die mit dem Humanen Immundefizienz-Virus (HIV) infiziert sind, häufig an Herzkreislauf-, Leber- sowie anderen Begleiterkrankungen? Dieser Frage gingen Forschende des Zentrums für Individualisierte Infektionsmedizin im Rahmen der 2000HIV-Studie nach, einer Multi-Omics-Kohorte, die von mehreren Forschungszentren in den Niederlanden koordiniert wird. Dabei konnten sie verschiedene Moleküle und Mechanismen identifizieren, die mit der Entwicklung dieser Begleiterkrankungen in Zusammenhang stehen könnten. Die umfangreichen Ergebnisse ihrer Studie stellen die Wissenschaftler:innen frei zur Verfügung. Sie hoffen, dass sie für neue Forschungsansätze genutzt und zu einem besseren Verständnis der Hintergründe sowie zu hilfreichen Therapien führen werden.

„Menschen mit HIV leiden häufig an Nicht-AIDS-Begleiterkrankungen wie Herzkreislauf-, Leber- oder Krebserkrankungen. Sie haben vermehrt mit chronischen Entzündungen im Körper zu kämpfen, altern dadurch schneller und haben eine geringere Lebenserwartung als andere Menschen“, sagt Prof. Yang Li, Leiterin der Abteilung „Bioinformatik der Individualisierten Medizin“ und Direktorin des CiiM. „Mit unserer Big-Data-Studie wollten wir herausfinden, welche molekularen Player hinter diesen krankmachenden Prozessen stehen.“

Die Basis der Studie bildeten umfangreiche sogenannte Multi-Omics-Datensätze von über 1300 Menschen mit HIV, die im Rahmen einer in den Niederlanden durchgeführten großangelegten Kohortenstudie (2000HIV Study) erhoben wurden. „Dieser Multi-Omics-Datenschatz aus verschiedensten Daten wie zum Beispiel Gen-Daten, Protein-Daten oder Stoffwechsel-Daten lieferte uns einzigartige Einblicke in unterschiedliche molekularbiologische Ebenen“, sagt Javier Botey-Bataller, Wissenschaftler der CiiM-Abteilung „Bioinformatik der Individualisierten Medizin“ und einer der beiden Erstautoren der Studie. Seine CiiM-Kollegin Nienke van Unen, Co-Erstautorin, ergänzt: „Wir analysierten noch eine weitere wichtige molekulare Datenebene – die Ausprägung der Immunantwort. Sie spiegelt die Fitness des Immunsystems gegenüber Herausforderungen durch Krankheitserreger wider.“

Die Forschenden setzten die Multi-Omics-Daten mit den vorhandenen Begleiterkrankungen der Studienteilnehmenden – darunter Herzkreislauferkrankungen, Verengung der Halsschlagader durch Plaques, chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD) – ins Verhältnis und fahndeten nach Auffälligkeiten, etwa in Genen oder molekularen Signalwegen. „Wir konnten tatsächlich eine ganze Bandbreite bislang verborgener molekularer Muster und Akteure aufdecken, die mit den jeweiligen Begleiterkrankungen in Zusammenhang stehen“, sagt Javier Botey-Bataller. Zudem haben die Forschenden Moleküle identifiziert, die das Potenzial haben, die Stärke der Immunantwort voraussagen zu können. „Eine übermäßige Immunantwort kann zu Entzündungen führen, die die Hauptursache für Begleiterkrankungen bei Menschen mit HIV sind. Daher ist die Stärke der Immunantwort ein ganz wichtiger Parameter”, erklärt Botey-Bataller. „Mit unserer Studie konnten wir eine Art molekulare Landkarte zeichnen, an der sich weiterführende Forschungsprojekte orientieren können, um zum Beispiel der Bedeutung bestimmter Gene oder Proteine in diesem Kontext weiter auf den Grund zu gehen.“ Die Daten und Analyse-Ergebnisse der Studie sind online verfügbar und können für weiterführende Forschungsprojekte genutzt werden.

Yang Li: „Unsere Studie ist im Bereich der Forschung zu Begleiterkrankungen bei HIV die bislang erste mit Multi-Omics-Ansatz. Einzelne molekularbiologische Ebenen geben schon Vieles preis. Doch erst durch die vergleichende Zusammenschau der unterschiedlichen molekularbiologischen Ebenen konnten wir gänzlich neue Player und Zusammenhänge aufdecken, die künftig als Ansatzpunkte für die Entwicklung neuartiger Therapien genutzt werden können.“

Im Rahmen ihrer Untersuchungen machten die Forschenden noch eine interessante Entdeckung: Sie fanden heraus, dass eine bestimmte Variante des Gens NLRP12, das in die Regulation zellulärer Entzündungsprozesse involviert ist, für besonders hohe Entzündungswerte sorgt. „Das war bei den Studienteilnehmenden, die mit dem HI-Virus infiziert waren, der Fall, aber auch bei einer Vergleichskohorte, bei der die Teilnehmenden kein HIV hatten“, erklärt Nienke van Unen. „Menschen mit dieser Genvariante scheinen also generell anfälliger für hohe Entzündungswerte und damit einhergehenden Erkrankungen zu sein.“

Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung


Originalpublikation:

J. Botey-Bataller, N. van Unen et al.: Genetic and molecular landscape of comorbidities in people living with HIV. Nature Medicine, 2025, DOI: 10.1038/s41591-025-03887-1