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Bankdrückende Zellen: Immunzellen werden zu „Mini-Hulks“, um bei Wanderung durch Gewebe durchzukommen

Patricia Reis-Rodrigues am Mikroskop im Labor am ISTA.
Blick auf Immunzellen und ihre Bewegungen. Patricia Reis-Rodrigues am Mikroskop im Labor am ISTA. Copyright: © ISTA

Immunreaktionen beruhen auf der effizienten Bewegung von Immunzellen innerhalb der komplexen und geometrisch unvorhersehbaren dreidimensionalen Gewebe, aus denen unser Körper besteht. Jüngste Forschungen der Sixt-Gruppe am Institute of Science and Technology Austria (ISTA) zeigen, wie Immunzellen ihr Zytoskelett nutzen um Kräfte auf ihre Umgebung auszuüben und sich so ihren Weg durch Gewebe bahnen.

„Igitt, was, in mir?“ Eine häufige Reaktion, wenn Patricia Reis-Rodrigues, Doktorandin in der Sixt Gruppe am ISTA, erklärt, dass dendritische Zellen – eine Art von Immunzellen – sich ständig in unserem Körper bewegen. Dendritische Zellen kommen in peripheren Geweben wie der Haut vor, wo sie nach Eindringlingen wie Bakterien oder Viren suchen. Wenn sie auf solche Krankheitserreger stoßen, werden dendritische Zellen aktiviert und wandern vom Infektionsherd zu den Lymphknoten, wo sie mit T-Zellen interagieren, um die Bekämpfung der Infektion zu starten.

Eine effektive Immunantwort hängt von der effizienten und koordinierten Bewegung der dendritischen Zellen in unserem Körper ab. Die Navigation durch dreidimensionale Gewebe kann jedoch komplex und unvorhersehbar sein, und die Zellen müssen ihre Organellen und ihr Zytoskelett auf unterschiedliche Weise nutzen, um die Hindernisse zu überwinden, die sie umgeben.

Navigieren durch komplexe Umgebungen

Um sich durch diese komplexen Umgebungen zu bewegen, bilden dendritische Zellen an ihrer Vorderseite durch die Polymerisation von Aktin eine explorative Ausstülpung, das sogenannte Lamellipodium, das die Vorwärtsbewegung steuert. Gleichzeitig „können die Zellen ihren Zellkern nutzen, um ihre Umgebung zu erkunden“, erklärt Reis-Rodrigues, „so finden sie und wählen sie die am besten zugänglichen Wege aus.“

Was passiert jedoch, wenn Zellen auf enge Räume stoßen, die zu klein sind, um sie ungehindert passieren zu können? Während Fibroblasten (Zellen, die an der Gewebereparatur beteiligt sind), oder Krebszellen häufig proteolytische Enzyme absondern, die ihre Umgebung verdauen, um Platz zu schaffen, wenden dendritische Zellen eine andere Technik an. „Wenn unsere dendritischen Zellen das tun würden, würden sie zu viel von unserem Gewebe wegfressen, was sehr schlecht wäre. Man wäre dann ziemlich löchrig“, lacht Reis-Rodrigues.

Die neueste Veröffentlichung von Reis-Rodrigues und Kolleg:innen, die gerade in Nature Immunology erschienen ist, zeigt, dass dendritische Zellen in engen Räumen eine besondere Aktin-Struktur in der Mitte des Zellkörpers bilden. Diese zentrale Aktin-Struktur kann die umgebenden Hindernisse senkrecht zur Bewegungsrichtung wegdrücken, wodurch Platz für die Zellen geschaffen wird und diese selbst engste Lücken überwinden können. Der Erfolg dieser Strategie hängt stark von der Koordination zwischen diesen nach außen drückenden Kräften in der Mitte der Zelle und den Kräften an der Vorderseite ab, die das Lamellipodium bilden und die Vorwärtsmigration fördern.

Zellen bleiben stecken und verheddern sich 

„Wir waren neugierig, was passieren würde, wenn Zellen diese Kräfte nicht ausüben oder koordinieren können“, so Reis-Rodrigues. Die Forscher:innen fanden heraus, dass dendritische Zellen, denen DOCK8 fehlt, keine zentrale Aktin-Struktur haben und bei der Migration in komplexen Umgebungen schwerwiegende Defekte aufwiesen. Tatsächlich führen Mutationen im Dock8-Gen zu einer seltenen und chronischen Immunerkrankung, bei der die Betroffenen unter wiederkehrenden Virusinfektionen und Hautproblemen leiden.

„Es war nicht klar, warum eine Mutation in diesem Gen unsere Zellen so stark beeinträchtigt und bei Menschen zu so schweren Symptomen führt“, erklärt Reis-Rodrigues. Das Team zeigte, dass DOCK8-Mutanten im Gegensatz zu gesunden Immunzellen nicht in der Lage sind, sich nach außen zu drücken und enge Umgebungen zu öffnen, wodurch der Zellkörper in engen Löchern gefangen bleibt. Das Fehlen der zentralen Aktin-Struktur führte auch zu ausgedehnten unkontrollierten Ausstülpungen an der Vorderseite, wodurch die Zellen so stark verlängert wurden, dass sie sogar zerbrachen und abstarben.

Die Forschung zeigt einen neuen molekularen Mechanismus auf, den Zellen für ihre Bewegung durch die komplexen Gewebe unseres Körpers nutzen. Sie betont die Bedeutung einer effizienten Koordination zwischen den nach vorne und den nach außen gerichteten Kräften, um sich fortzubewegen und physische Hindernisse zu überwinden, ohne die Zellintegrität zu gefährden.
 

ISTA


Originalpublikation:

P. Reis-Rodrigues, M. J. Avellaneda, N. Canigova, F. Gaertner, K. Vaahtomeri, M. Riedl, I. de Vries, J. Merrin, R. Hauschild, Y. Fukui, A. Juanes Garcia & M. Sixt. 2025. Migrating immune cells globally coordinate protrusive forces. Nature Immunology. DOI: 10.1038/s41590-025-02211-w, https://www.nature.com/articles/s41590-025-02211-w