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Bärenzähne tanzen aus der Reihe

Kieferknochen mit Zähnen. Bei diesem jungen Höhlenbären bricht gerade der dritte Backenzahn durch, dessen Größe vom zweiten Zahn bestimmt wird
Bei diesem jungen Höhlenbären bricht gerade der dritte Backenzahn durch, dessen Größe vom zweiten Zahn bestimmt wird. Höhlenbären waren Pflanzenfresser und haben ungefähr gleich große zweite und dritte Backenzähne (Zoologische Staatssammlung München). Quelle: Katja Henßel, SNSB

Die Zahnentwicklung heutiger Bären folgt nicht dem für die meisten Säugetiere typischen Entwicklungsmuster. Die Ursache dafür liegt Millionen Jahre zurück in der Evolutionsgeschichte der Bären. SNSB Zoologinnen fanden zwei Phasen in der Bärenevolution, die für die Abweichungen im Gebiss der Bären verantwortlich sind.

Säugetierzähne zeigen eine erstaunliche Vielfalt, die sich über fast 225 Millionen Jahren ausbilden konnte. Ein Ansatz, die Entwicklung von Säugetierzähnen zu beschreiben, ist das sogenannte „Inhibitory Cascade Model“, kurz ICM. Dieses beschreibt das Wachstumsmuster von Backenzähnen im Unterkiefer. Nach dem Modell gilt für viele Säugetiere: Die vorderen Backenzähne im Unterkiefer beeinflussen das Wachstum aller dahinterliegenden Zähne. Bestimmte Moleküle hemmen oder aktivieren das Zahnwachstum im Gebiss der Tiere nach dem immer gleichen Muster. Welche Backenzähne klein oder groß werden, hängt von der Größe des ersten Backenzahnes ab, und das wiederum hängt von der Ernährung der Tiere ab. So ist bei fleischfressenden Säugern normalerweise der erste Backenzahn größer als der dritte. Bei Pflanzenfressern ist es genau umgekehrt: der erste Backenzahn ist klein, der dritte hingegen groß.

Bei heutigen Bären ist das anders, ihre Zahnentwicklung folgt dem ICM Muster nicht. Bei fast allen heutigen Bären – unabhängig von ihrer Ernährungsweise – ist der zweite Backenzahn der größte aller Backenzähne. Der Frage nach dem Ursprung dieses Phänomens gingen SNSB Zoologin PD Dr. Anneke van Heteren und ihre Doktorandin Stefanie Luft nach. Sie suchten nach Hinweisen in der Evolutionsgeschichte der Bären und fanden tatsächlich zwei Brüche in der Bärenhistorie, ab wann und bei welchen Bärenarten die Zahnentwicklung vom allgemeinen Muster abweicht. Die Forscherinnen verglichen für ihre Arbeit die Kiefer von fossilen und modernen Bären mit dem ICM Modell - bis weit zurück in der Bärengeschichte, der älteste untersuchte Kiefer stammt aus der Zeit des Miozäns und ist mindestens 13 Millionen Jahre alt. Den ersten fundamentalen Einschnitt in der Zahnentwicklung identifizierten die Zoologinnen vor rund 3,6 Millionen Jahren. Bei Ursus minimus – wohl der gemeinsame Vorfahr der meisten heutigen Bären - vergrößerte sich der zweite Backenzahn unverhältnismäßig. Den zweiten Bruch gab es etwas später, vor etwa 1,25 bis 0,7 Millionen Jahren beim frühen Höhlenbären Ursus deningeri. Bei ihm wuchs der dritte Backenzahn größer als dem Modell zufolge erwartet.

„Offenbar hat sich zu diesen Zeiten das Gleichgewicht der Stoffe verschoben, die das Wachstum der unterschiedlichen Backenzähne hemmen bzw. aktivieren. Diese Verschiebungen gehen wohl mit Ernährungsanpassungen der Bären im Laufe ihrer Evolution einher. Auf dem Weg vom Fleischfresser zum Alles- oder Pflanzenfresser haben sich die Bären an ein verändertes Nahrungs-spektrum angepasst, aber ohne dem ICM Muster zu folgen. Ihr Spektrum reicht noch heute vom reinen Fleischfresser zum reinen Pflanzenfresser, die meisten Bären sind heute Allesfresser“, sagt PD Dr. Anneke van Heteren, verantwortlich für die Säugetiersammlung bei den Staatlichen Naturwissenschaftlichen Sammlungen Bayerns.

Die beiden Brüche mit dem Modell zur Zahnentwicklung erklären die Forscherinnen mit den Umweltveränderungen während der Evolutionsgeschichte der Bären. Der erste Bruch zwischen dem frühen und dem späten Pliozän korreliert mit Klimaveränderungen, die zu Veränderungen der Lebensräume von subtropischen Feuchtwäldern zu Buschland und Steppen geführt haben. Der zweite Bruch fand in der Zeit zwischen dem späten Pliozän und dem mittleren Pleistozän statt und geht mit der Entwicklung von weitläufigen Graslandgebieten und einer Abkühlung des Klimas einher.

SNSB – Zoologische Staatssammlung München


Originalpublikation:

van Heteren A. H. and Luft A. S. (2025), Fossil bears break free from inhibitory cascade constraints at least twice (Ursus minimus and Ursus deningeri) caused by dietary adaptations. Boreas. https://doi.org/10.1111/bor.70044

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