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Trotz Forschungszuwachs und Kampf gegen das Coronavirus 2020 weniger Tierversuche

In Deutschland wurden im Jahr 2020 deutlich weniger Tiere in der Forschung eingesetzt als im Jahr zuvor. Die Zahl der zu wissenschaftlichen Zwecken eingesetzten Tiere sank um 12,7 % auf 2.533.664 Tiere (2019: 2.902.348 Tiere). Die intensive Corona-Forschung, etwa zur Entwicklung und Testung von Impfstoffen und Covid-19-Medikamenten, findet zwar zu wichtigen Teilen auch mithilfe von Tierversuchen statt. Dies hat aber insgesamt nicht zu einer größeren Gesamtzahl an Versuchstieren geführt. Die Initiative Tierversuche verstehen (www.tierversuche-verstehen.de) hat die gerade veröffentlichten Versuchstierzahlen 2020 des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) analysiert.

In vielen Bereichen der biomedizinischen Forschung hatten während der Lockdown-Einschränkungen und Homeoffice-Vorschriften Forschungsvorhaben nicht durch- oder weitergeführt werden können. „Eine abnehmende Zahl von Versuchstieren trotz der intensiven Corona-Forschung mag für Außenstehende paradox klingen. Das zeigt aber vor allem, dass auch die Forschung von den Einschränkungen während der Pandemie betroffen war“, sagt Prof. Stefan Treue, Sprecher der Initiative Tierversuche verstehen. „Wir sehen deshalb in fast allen Bereichen, die nicht in die Corona-Forschung involviert sind, einen Rückgang der Zahl der Versuchstiere.“

102 Projekte für Corona-Forschung

Aus den jetzt veröffentlichten Zahlen lässt sich der Corona-Forschungsanteil nicht direkt ablesen. Aus einer Studie des Deutschen Zentrums zum Schutz von Versuchstieren (Bf3R) geht aber hervor, dass Wissenschaftler*innen für die Erforschung des Coronavirus im Zeitraum zwischen Februar 2020 und Juli 2021 insgesamt 61.389 Versuchstiere in 102 Projekten beantragt haben. Die Anträge betrafen Mäuse (89%), gefolgt von Hamstern (7,5%), Ratten (1,5%) und Meerschweinchen (1,2%). Auch Frettchen (0,3%), Primaten (0,06%) und Schweine (0,05%) waren für Forschungsvorhaben im Kampf gegen das Virus vorgesehen. Allerdings spiegeln diese beantragten Tiere nicht die Zahl der in Versuchen tatsächlich eingesetzten Tiere wider. Zudem erfolgt die Meldung über die effektiv eingesetzten Tiere erst zum Abschluss eines Versuchs.

Forschungsförderung drastisch gestiegen – Zahl der Versuchstiere konstant

Die Pandemie hat nochmals zu einem drastischen Zuwachs bei den Forschungsausgaben des Bundes für die Gesundheitsforschung geführt, nach einem kontinuierlichen Anstieg in den Jahren davor. So stiegen die Ausgaben in 2020 um 33% auf rund 3,6 Milliarden Euro im Vergleich zum Vorjahr. Damit haben sich die Fördermittel des Bundes von 2010 und 2020 mit einem Plus von 121 % mehr als verdoppelt.  Die Versuchstierzahlen hingegen zeigten keinen Zuwachs. „Die Bemühungen, die Zahl der Tiere auf ein Minimum zu reduzieren, sind offenbar erfolgreich: Das 3R-Prinzip wirkt!“, interpretiert Treue diesen anhaltenden Trend.

Hamster und Primaten wichtige Tiermodelle in der Pandemie

Mäuse, Ratten und Fische sind mit einem Anteil von 92% weiterhin die am häufigsten eingesetzten Versuchstiere. Bei den Mäusen ist ein Rückgang um 8% auf 1.846.274 Tiere (2019: 2.001.309) zu verzeichnen. Die Zahl der eingesetzten Hamster hingegen hat sich von 1054 auf 2104 verdoppelt, was ihre Rolle in der Forschung am Coronavirus widerspiegelt: Hamster haben sich schon früh in der Pandemie als wertvolles Tiermodell für die Erforschung von COVID-19 erwiesen, da diese Tiere natürlicherweise empfänglich für SARS-CoV-2 sind und ähnliche Symptome zeigen wie Menschen. Auch einige Affenarten, insbesondere Rhesusaffen, spielen eine wichtige Rolle. Mit einer Gesamtzahl von 2111 Tieren hat die Verwendung nicht-humaner Primaten (Affen und Halbaffen) 2019 im Vergleich zum Vorjahr (3443) jedoch erheblich abgenommen (-39%). Eingesetzt werden Primaten vor allem für gesetzlich vorgeschriebene Sicherheitsprüfungen von potenziellen Medikamenten und anderen Substanzen. Der Großteil dieser Versuche im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie fand und findet im Ausland (v.a. USA, Großbritannien, China) statt.

Genetisch veränderte Tiere gewinnen an Bedeutung

Die Versuchstierzahlen in Deutschland zeigen deutlich, dass genetisch veränderte Tiere, meist Mäuse und Zebrafische, weiter an Bedeutung gewinnen. Von erheblichen jährlichen Schwankungen geprägt sind Versuche zum Arten- und Umweltschutz. Diese Versuche brauchen oftmals große Tierzahlen, aber bedeuten für die Tiere nur eine sehr geringe Belastung. Dazu gehören z.B. Fische, bei der Entwicklung von tiergerechten Fischtreppen an Staustufen. „Es ist wichtig, die genauen Hintergründe der Versuche zu kennen, um keine voreiligen Schlüsse aus der abstrakten Zahl der eingesetzten Tiere zu ziehen“, betont Treue. Konkret sank die Zahl in diesem Bereich nach besonders hohen Zahlen im Vorjahr um 77% auf 39.066 Tiere (2019: 166.502 Tiere).

„2020 war auch für die Wissenschaft ein Ausnahmejahr. Gleichzeitig hat die Entwicklung hocheffektiver Impfstoffe auf der Basis bahnbrechender Grundlagenforschung – inklusive unerlässlicher Tierversuche – die Bedeutung der biomedizinischen Forschung erneut unter Beweis gestellt. Dies wird auch während der andauernden Pandemie und danach von entscheidender Bedeutung sein“, lautet Treues Fazit.

Tierversuche verstehen


Zu den Informationen des BfR: Zahl der verwendeten Versuchstiere geht deutlich zurück