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Wie Fliegen schlafen – und trotzdem fliehen können

Taufliegen (auch bekannt als Fruchtfliegen) im Labor
Taufliegen (auch bekannt als Fruchtfliegen) im Labor, Copyright: © NeuroCure | 2470.media

Auch Fliegen müssen schlafen. Um trotzdem auf Gefahren reagieren zu können, dürfen sie die Umwelt währenddessen aber nicht komplett ausblenden. Wie das Gehirn der Tiere diesen Zustand herstellt, haben Forschende der Charité – Universitätsmedizin Berlin jetzt entschlüsselt. Wie sie in Ihrer Studie beschreiben, filtert das Fliegengehirn im Schlaf visuelle Informationen rhythmisch heraus – sodass starke Seh-Reize das Tier dennoch aufwecken könnten. 

Ruhephasen und Schlaf sind lebenswichtig – für vermutlich alle Tiere. „Schlaf dient der körperlichen Regeneration, beim Menschen und auch bei vielen Tieren ist er außerdem für die Gedächtnisbildung elementar“, erklärt Prof. David Owald, Wissenschaftler am Institut für Neurophysiologie der Charité und Leiter der jetzt veröffentlichten Studie. Unklar war bisher, wie ein Organismus seine Reaktion auf Reize ausreichend herunterfährt, um sich regenerieren zu können, aber dennoch aufmerksam genug bleibt, um auf Gefahren von außen zu reagieren. 

Ein Team um David Owald ist dieser Frage nun am Beispiel von Taufliegen nachgegangen. Landläufig auch als Fruchtfliegen bekannt, eignen sich die zweieinhalb Millimeter großen Insekten aufgrund ihres kleinen Gehirns sehr gut für die Untersuchung neurologischer Prozesse. „Wir haben herausgefunden, dass das Gehirn der Fliegen im Schlaf aktivierende und hemmende Netzwerke fein aufeinander abstimmt“, sagt David Owald. „Dadurch entsteht ein Filter, der Seh-Reize effektiv unterdrückt, wohl aber besonders starke Reize durchlassen kann. Der Zustand ist vergleichbar mit einem angelehnten Fenster: Der Luftzug, also die Reizweiterleitung, ist unterbrochen, aber ein starker Windstoß kann das Fenster aufstoßen, ein kräftiger Reiz also das Tier aufwecken.“

Ein hemmendes neuronales Netzwerk überlagert das aktivierende

Der Studie zufolge werden die Fliegen abends, nach einer langen Wachperiode und dem Takt der Inneren Uhr folgend, müde: Es entstehen langsame, synchrone elektrische Wellen – sogenannte Slow Waves – in zwei verschiedenen Hirnnetzwerken, die Seh-Reize mit Orientierungsbewegungen verbinden. Eines aktiviert, das andere hemmt die Reaktion auf visuelle Stimuli. „Wenn beide Netzwerke gleichzeitig aktiv sind, gewinnt das hemmende Netzwerk und die Verarbeitung der Reize wird blockiert“, erläutert Dr. Davide Raccuglia, Erstautor der Studie vom Institut für Neurophysiologie der Charité. „Die Fliege blendet ihre Umgebung also sanft aus und kann einschlafen.“

Um aufgeweckt werden zu können, muss sich dieser Schlaffilter jedoch durchbrechen lassen. „Wir glauben, dass das durch die rhythmischen Schwankungen der elektrischen Wellen ermöglicht wird“, sagt Davide Raccuglia. Denn die Slow Waves sind darauf zurückzuführen, dass die elektrische Spannung der Nervenzellen einmal pro Sekunde auf- und abschwingt. „Möglicherweise entsteht, wenn die Spannung hoch ist, ein kurzer Zeitraum, währenddessen Informationen durch den Schlaffilter durchgelassen werden können“, ergänzt Dr. Raquel Suaréz-Grimalt, ebenfalls Erstautorin der Studie. Sie hat die Arbeit am Institut für Neurophysiologie der Charité durchgeführt und ist nun an der Freien Universität Berlin tätig. „In diesem Zeitraum könnten starke Seh-Reize die feine Dominanz des hemmenden Hirnnetzwerks überwinden, also gewissermaßen das Fenster aufstoßen, sodass die Fliege reagiert.“ 

Wie die Fliege so der Mensch?

Nach dem Verständnis der Forschenden erschaffen die Slow Waves also Fenster, durch die intensive Reize eine schlafende Fliege aufwecken könnten. Auch beim Menschen ist der Schlaf durch Slow Waves charakterisiert. Könnte unser Gehirn Ruhephasen und Aufmerksamkeit nach demselben Prinzip austarieren? „Beim Menschen kennen wir eine Struktur im Gehirn, die Reizinformationen filtert und als rhythmischer Taktgeber fungiert – das ist der Thalamus“, sagt David Owald. „Hier könnte es also Parallelen zu den Vorgängen im Fliegengehirn geben, vielleicht spiegeln diese also tatsächlich ein universelles Prinzip des Schlafs wider. Das muss allerdings noch weiter untersucht werden.“ 

Charité – Universitätsmedizin Berlin


Originalpublikation:

Raccuglia, D., Suárez-Grimalt, R., Krumm, L. et al. Network synchrony creates neural filters promoting quiescence in Drosophila. Nature (2025). doi.org/10.1038/s41586-025-09376-2