VBIO
Aktuelles aus den Biowissenschaften

Fünf Millionen Jahre Klimawandel an einem Ort konserviert

Sedimentabfolge im Charyn-Canyon, Kasachstan
Charlotte Prud’homme seilt sich zur Entnahme der Bodenproben ab. Die 80 Meter dicke Sedimentabfolge im Charyn-Canyon, Kasachstan, dokumentiert den Klimawandel in den letzten fünf Millionen Jahren. Charlotte Prud’homme, Max-Planck-Institut für Chemie

Eine 80 Meter dicke Lössdecke im Charyn-Canyon dokumentiert Wechselwirkungen zwischen Land, Atmosphäre und Ozean

Einem internationalen Team von Forschenden unter Führung des Mainzer Max-Planck-Instituts für Chemie ist es gelungen, die Veränderungen der Niederschläge in Zentralasien während der letzten fünf Millionen Jahre zu rekonstruieren. Dazu untersuchten sie Proben aus der Sedimentabfolge eines Lössbodens im Charyn-Canyon in Kasachstan. Die enthaltenen Informationen stellen das bisher fehlende Bindeglied im Verständnis der Rückkopplungsmechanismen zwischen Land und Wasser für das globale Klima dar.

Paläoforscherin Charlotte Prud‘homme, die bis vor kurzem Max-Planck-Institut für Chemie arbeitete und nun an der Université Lausanne forscht, erklärt: „Die 80 Meter dicke Sedimentabfolge, auf die wir im Charyn-Canyon stießen, bietet uns eine nahezu kontinuierliche Aufzeichnung von fünf Millionen Jahren Klimawandel. Das ist etwas sehr Seltenes.“ Die abwechselnden Staub- und Bodenschichten im kasachischen Canyon sind durch Windablagerungen zum Beispiel von Steppenstaub entstanden. Sie liefern den ersten verlässlichen Nachweis über die langfristigen Wechselwirkungen zwischen den Haupt-Klimasystemen des eurasischen Kontinents.

„Die Landoberflächen Eurasiens scheinen in den letzten fünf Millionen Jahren aktiver zum Wasserkreislauf von Land, Luft und Meer beigetragen zu haben, als bisher bekannt war. Das Klimaarchiv im Charyn-Canyon diente uns dafür als wichtiger Indikator für den Zufluss von Süßwasser in den Arktischen Ozean, was wiederum den Transport feuchter Luftmassen aus dem Nordatlantik durch westliche Luftströme zurück aufs Land stimuliert hat“, sagt Charlotte Prudhomme. Die Ergebnisse der Feldforschung wurden jetzt im Wissenschaftsjournal Communications Earth and Environment veröffentlicht.

Die Forscherinnen und Forscher untersuchten nicht nur Proben aus dem Pleistozän, also dem Zeitabschnitt, der vor etwa 2,6 Millionen Jahren begann und vor etwa 11.700 Jahren endete, sondern speziell auch die des Pliozäns. Dieses Zeitalter vor fünf bis 2,6 Millionen Jahren ist mit den klimatischen Bedingungen des jetzigen Anthropozäns vergleichbar, denn damals war die Kohlendioxid-Konzentration in der Atmosphäre zum letzten Mal mit rund 400 ppm (Anteilen pro Million) so hoch wie heute. „Deshalb sind die Erkenntnisse, die wir aus der Sedimentabfolge im Charyn-Canyon gewinnen konnten, so wichtig für das Verständnis des zukünftigen Klimas“, so Prud´homme.

Über die Rolle, die Zentralasien für die globale Klimaentwicklung sowohl in der Vergangenheit als auch in der Gegenwart spielt, war bislang nur wenig bekannt. Die klimatische Entwicklung der Erde in den letzten fünf Millionen Jahren wurde bislang hauptsächlich aus der Perspektive mariner Mechanismen verstanden. Die Bedeutung von Klimarückkopplungen, die ihren Ursprung an Land und nicht in den Ozeanen, Seen oder Eiskernen hatten, blieb dagegen bislang weitgehend unerforscht. Diese Lücke hat das internationale Team an Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern mit der Feldforschung im Charyn-Canyon geschlossen.

Wechselwirkungen zwischen den Klimasystemen mittlerer und hoher Breiten

Die geografische Lage des Untersuchungsortes in der Mitte Zentralasiens war für das Team von zentraler Bedeutung: „Wir brauchten einen Ort, der sich im Landesinneren befindet und möglichst weit weg vom Ozean ist“, erläutert Kathryn Fitzsimmons, Leiterin der Forschungsgruppe Terrestrische Paläoklimarekonstruktion am Max-Planck-Institut für Chemie. „Eine noch kontinentalere Situation als im Charyn-Canyon im Südosten Kasachstans konnten wir kaum finden.“ Das halbtrockene Klima wurde vom Zusammenspiel der Westwinde der mittleren Breiten und den Polarfronten der hohen Breiten sowie dem Sedimenttransport aus dem nahen Tien-Shan-Gebirge geprägt. Der Charyn-Canyon eignete sich also ideal dazu, so Kathryn Fitzsimmons, die langfristigen Land-Klima-Rückkopplungsmechanismen zu studieren.

Für ihre Untersuchung reisten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zwei Mal in den kasachischen Canyon: Zum ersten Mal 2017, und ein weiteres Mal im darauffolgenden Jahr, für jeweils drei Wochen intensiver Feldforschung. Dabei achteten sie darauf, die beeindruckend kontinuierliche Aufzeichnung des terrestrischen Klimaarchivs komplett zu erfassen. Zur Entnahme der Bodenproben seilten sie sich entlang der 80 Meter dicken und fast senkrechten Lössschichten ab. Mit Messungen der Isotopenkonzentrationen in Karbonatverbindungen des Bodens konnten sie die Veränderungen der Bodenfeuchte im Laufe der Zeit rekonstruieren.

Das Team um Fitzsimmons ermittelte sowohl das Alter der Sedimentschichten als auch ihre Akkumulationsrate, also wie schnell sich die Schichten im Lauf der Zeit angereichert haben. Dazu kombinierte es paläomagnetische Analysen mit Uran-Blei-Datierungen der Bodenkarbonate. Die Bodenproben zeigten, dass die Region in den letzten fünf Millionen Jahren von zunehmender Austrocknung gekennzeichnet war. Im frühen Pliozän war der Boden demnach deutlich feuchter als in späteren Epochen oder heute. Der Prozess verlief allerdings nicht linear, sondern wurde von kurzfristigen Klima-Schwankungen unterbrochen, die Aufschluss über die Wechselwirkung zwischen den Westwinden der mittleren Breiten und dem sibirischen Hochdrucksystem geben.

Bodenfeuchte als Stellvertreter für die Aktivität sibirischer Flüsse

Die Forschung im Charyn-Canyon ermöglichte es den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die langfristige Interaktion des sibirischen Hochs mit den regenbringenden Westwinden zu untersuchen. Kathryn Fitzsimmons sagt: „Wir sind zuversichtlich, dass die Veränderungen der Bodenfeuchte, die wir an unserem Standort vorfanden, auch als Proxy – also stellvertretend – für die Aktivität der sibirischen Flüsse weiter nördlich genutzt werden können. Das Hydroklima im Charyn-Canyon spiegelt das Klima der Steppen im Norden wider, wo eine Reihe großer sibirischer Flüsse, wie der Irtysch und der Ob, fließen. Diese werden in ähnlicher Weise von der Dynamik des sibirischen Hochs und den westlichen Luftmassen beeinflusst.“ Für eine bestimmte Phase ist dieser Zusammenhang bedeutsam: Kurz vor der ersten großen globalen Vergletscherung vor circa 3,3 Millionen Jahren gab es eine anhaltende Feucht-Periode. „Wahrscheinlich dehnten sich diese Verhältnisse bis zu den sibirischen Flüssen im Norden aus. Der Abfluss von Süßwasser aus diesen Flüssen in den arktischen Ozean könnte für einen Kipppunkt gesorgt haben, der zu einer weit verbreiteten, verstärkten Meereisbildung führte“, so Fitzsimmons.

Für die Entwicklung künftiger Klimamodelle bilden die Informationen des vollständigsten terrestrischen Klimaarchivs der vergangenen fünf Millionen Jahre eine wertvolle Grundlage. Charlotte Prud´homme ist sich sicher: „Wir haben eine Tür aufgestoßen.“

Max-Planck-Institut für Chemie


Originalpublikation:

Charlotte & Scardia, Giancarlo & Vonhof, Hubert & Guinoiseau, Damien & Nigmatova, Saida & Fiebig, Jens & Gerdes, Axel & Janssen, Renée & Fitzsimmons, Kathryn. : “Central Asian Modulation of Northern Hemisphere Moisture Transfer Over The Late Cenozoic” Prud'homme,(2021). Communications Earth & Environment, 3 June 2021, doi:10.21203/rs.3.rs-117347/v1.

https://www.nature.com/articles/s43247-021-00173-z.