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300.000 Jahre altes Erbgut: Bislang älteste unter Freiluftbedingungen erhaltene DNA extrahiert

Die sehr alte DNA wurde aus dem Felsenbein extrahiert, einem dichten Knochen des Pferdeskeletts. Der Knochen wurde vor der Probenentnahme fotografiert und gescannt.
Die sehr alte DNA wurde aus dem Felsenbein extrahiert, einem dichten Knochen des Pferdeskeletts. Der Knochen wurde vor der Probenentnahme fotografiert und gescannt. Bild: Ivo Verheijen und Alex Stössel

Erstmals konnte das Erbgut der ausgestorbenen Pferdeart Equus mosbachensis aus der rund 300.000 Jahre alten Fundstelle Schöningen in Niedersachsen von einem Forschungsteam des Senckenberg Centre for Human Evolution and Palaeoenvironment an der Universität Tübingen und von der Forschungsstation Schöningen rekonstruiert werden. Aufgrund außergewöhnlich guter Erhaltungsbedingungen konnten die Forschenden damit die bislang älteste DNA aus einem offenen Fundplatz nachweisen. Ihre Analysen zeigen zudem, dass die Schöninger Pferde zu einer Pferdelinie gehören, die als Ursprung aller modernen Pferde gilt. 

Haus- und Wildpferd sowie Esel und Zebra – alle gehören zu der einzigen heute noch existierenden Gattung aus der Familie der Equidae. Doch der Blick in die Vergangenheit zeigt: Im Laufe der Erdgeschichte gab es über 35 verschiedene Gattungen und Hunderte inzwischen ausgestorbener Arten der Pferdeartigen. „Diese Familie gehört zu den am besten erforschten Tiergruppen der Evolutionsgeschichte. Ihre Fossilien lassen sich über einen Zeitraum von rund 55 Millionen Jahren zurückverfolgen“, erläutert Prof. Dr. Cosimo Posth vom Senckenberg Centre for Human Evolution and Palaeoenvironment an der Universität Tübingen und fährt fort: „Lange Zeit konzentrierte sich die genetische Forschung vor allem auf Veränderungen durch die Domestizierung der Pferde in der jüngeren Vergangenheit. Doch um die Evolution des Pferdes zu verstehen, muss man auch die Geschichte davor betrachten. Archäologische Funde zeigen beispielsweise, dass Pferde schon für frühe Menschenarten eine zentrale Rolle spielten – insbesondere als Nahrungsquelle.“

Der Tübinger Wissenschaftler hat gemeinsam mit den Doktorandinnen Arianna Weingarten und Meret Häusler sowie einem Forschungsteam nun erstmals mitochondriale Genome der ausgestorbenen Pferdeart Equus mosbachensis aus der Fundstelle Schöningen in Niedersachsen untersucht. Weingarten, die Erstautorin der Studie, erklärt: „Schöningen ist berühmt für seine Holzspeere, die mit rund 300.000 Jahren die ältesten bekannten vollständigen Jagdwaffen der Welt sind. Direkt neben den Speeren konnten die fossilen Überreste von mindestens 20 erlegten Pferden gefunden werden – ein eindrucksvoller Beleg für die enge Beziehung zwischen Mensch und Pferd, lange vor der eigentlichen Domestizierung. Ziel unserer Untersuchung war es, die Stellung und Herkunft von Equus mosbachensis im Stammbaum der Pferde zu klären und die genetischen Beziehungen zu heutigen Pferden besser zu verstehen.“

Durch die Analyse besonders gut erhaltener Knochenbereiche der fossilen Tiere, spezielle molekulare Techniken und der Entwicklung neuer bioinformatischer Methoden zur Rekonstruktion von Genomen aus alter DANN, gelang es dem Team, Erbgut zu rekonstruieren, das rund 300.000 Jahre alt ist – der älteste Nachweis von DNA unter offenen Freiluftbedingungen. „Bislang galt, dass sich DNA außerhalb von Höhlen oder Permafrostböden maximal etwa 240.000 Jahre erhält. Die Pferde von Schöningen verschieben diese Grenze nun deutlich“, so Mitautorin Häusler und weiter: „Normalerweise zerfällt DNA unter freiem Himmel rasch, weil Temperaturwechsel und Mikroben das Erbgut zerstören. Doch in Schöningen lagen die Knochen in dauerhaft feuchten, sauerstoffarmen Sedimenten. Diese besondere Umgebung wirkte offenbar als natürlicher Schutz.“

Im Laufe der Erdgeschichte überquerten die Vorfahren der heutigen Equidae mehrfach die Beringlandbrücke, eine Festlandverbindung zwischen Asien und Nordamerika, und breiteten sich so von Nordamerika nach Eurasien aus. Zwei große Wanderungswellen sind bislang belegt: Die erste, vor etwa 2,6 Millionen Jahren, brachte die Vorfahren der heutigen Zebras und Esel auf den asiatisch-europäischen und afrikanischen Kontinenten. Die zweite, vor rund 900.000 bis 800.000 Jahren, führte die sogenannten „caballinen“ Pferde ein. Im caballinen Stammbaum sind viele Zweige – wie Equus mosbachensis – ausgestorben. Die aktuellen Untersuchungen zeigen jedoch, dass die an der Fundstelle Schöningen sequenzierten Tiere zur gleichen evolutionären Linie gehören wie die bis heute überlebenden Pferde.

„Mit unserer Studie konnten wir eine zeitliche und geografische Lücke in der Erforschung der Pferdeevolution schließen. Unsere Ergebnisse zeigen zudem, dass selbst in scheinbar ungünstigen Fundumgebungen wie offenen Grabungsplätzen noch erstaunlich alte DNA überdauern und geborgen werden kann. Dies eröffnet die Möglichkeit, unsere Methode auf andere Arten auszuweiten und so die genetische Vielfalt der fernen Vergangenheit aufzudecken“, fasst Posth zusammen.

Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung


Originalpublikation:

Weingarten, A., Häusler, M., Serangeli, J. et al. Mitochondrial genomes of Middle Pleistocene horses from the open-air site complex of Schöningen. Nat Ecol Evol (2025). https://doi.org/10.1038/s41559-025-02859-5

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