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Genetische Geschlechtsbestimmung bei Spinnen

Die Wespenspinne Argiope bruennichi mit Eikokon. Foto: Gabriele Uhl

    Forschende der Universitäten Greifswald, Hamburg und Prag haben für die europäische Wespenspinne genetische Marker entwickelt, die es erlauben, das Geschlecht winziger Jungspinnen aufzudecken. Die Wespenspinne ist von besonderem ökologischem und evolutionsbiologischem Interesse, da sich das Areal dieser ursprünglich südeuropäischen Art in den vergangenen Jahrzehnten bis nach Skandinavien und Finnland ausgeweitet hat.

    Ihre Forschungsergebnisse wurden jetzt in der Fachzeitschrift Biological Journal of the Linnean Society veröffentlicht. Die Forschung fand im Rahmen der Doktorarbeit von Monica Sheffer, finanziert durch das DFG-Graduiertenkolleg RESPONSE (GRK 2010) statt.

    Ob bei der Verschmelzung von Ei und Spermium ein Weibchen oder Männchen hervorgeht, kann im Tierreich von einzelnen Genen abhängen oder durch Geschlechtschromosomen bestimmt werden. Bei vielen Tierarten ist das Geschlecht eines Tiers erst sehr spät in der Entwicklung erkennbar, wie zum Beispiel bei Schmetterlingen, Käfern oder Spinnen. Obwohl sich erwachsene Männchen und Weibchen in ihrer Morphologie, Physiologie und im Verhalten oft unterscheiden, wissen wir wenig über die Unterschiede in der Lebensweise der Jungtiere.

    Spinnen spielen eine große ökologische Rolle als Beutegreifer. Es wird geschätzt, dass sie mehr Beute pro Jahr konsumieren als wir Menschen Fleisch zu uns nehmen. Ihr Einfluss auf Nahrungsnetze und Energieflüsse in der Natur ist daher enorm hoch. Wir wissen bisher nichts darüber, ob zum Beispiel die Geschlechter in ihrer Entwicklung unterschiedlich auf Verfügbarkeit von Nahrung oder sich ändernde Temperaturbedingungen reagieren, oder ob die Wahrscheinlichkeit abzuwandern höher bei einem der beiden Geschlechter ist.

    Monica Sheffer und Koautor*innen von der Universität Greifswald, Hamburg und Prag haben für die europäische Wespenspinne genetische Marker entwickelt, die es erlauben das Geschlecht winziger Jungspinnen aufzudecken. Die meisten bisher untersuchten Spinnenarten und auch einige Insekten besitzen ein X0-System der genetischen Geschlechtsbestimmung, das bedeutet, dass die Weibchen zwei X-Chromosomen haben, während die Männchen nur ein X-Chromosom besitzen – im Gegensatz zur XY-Geschlechtsbestimmung beim Menschen und anderen Säugetieren, bei denen Weibchen zwei gleiche Geschlechtschromosomen besitzen, XX, und Männchen XY.

    Bereits 2021 wurde von Sheffer und Koautor*innen ein hochaufgelöstes Genom der Wespenspinne veröffentlicht. Aufbauend darauf wurde in der neuen Studie der Karyotyp dieser Art analysiert und untersucht, welche Chromosomen die Geschlechtschromosomen sind. Dann wurden molekulare Marker entwickelt, um das Geschlecht frisch geschlüpfter Spinnen zu bestimmen.

    Es stellte sich heraus, dass weibliche Wespenspinnen 26 Chromosomen besitzen, hingegen männliche nur 24 – von den Chromosomen 9 und 10 ist bei Männchen je nur eines vorhanden. Es handelt sich daher um eine Abwandlung des X0-Systems, nämlich X1X2/0. Die Ergebnisse der genetischen Analyse wurden durch eine klassische Chromosomenanalyse überprüft und bestätigt. Die Forscher*innen konnten für drei Genorte auf dem Chromosom 9 verlässliche genetische Marker etablieren, so dass winzige Jungtiere zukünftig mit dieser Methode als Weibchen oder Männchen bestimmt werden können.

    Durch die Möglichkeit der Geschlechtsanalyse an Jungspinnen wurde der Grundstein für die Untersuchung verschiedener Fragen gelegt: Unterscheiden sich Weibchen und Männchen früh in ihren Lebensweisen, Wachstumsraten und im Abwanderungsverhalten? Inwieweit reagieren junge Weibchen und Männchen unterschiedlich auf Temperaturbedingungen und sind damit unterschiedlich durch Klimawandel betroffen? Ist das Verhältnis von Weibchen und Männchen bei der Eiablage der Spinnen ausgewogen oder verschoben und hängt das von den Umweltbedingungen bei der Eiablage ab oder ist regional verschieden? Weiterhin kann der zwischenartliche Vergleich der geschlechtsbestimmenden Chromosomen und der auf diesen Chromosomen vorhandenen Genen wichtige generelle Erkenntnisse zur Evolution von Geschlechtschromosomen liefern.

    Die Ergebnisse, die gerade im Biological Journal of the Linnean Society erschienen sind, entstanden in enger Zusammenarbeit mit der Gruppe für Populationsgenomik um Mathilde Cordellier von der Universität Hamburg und des Laboratory of Arachnid Cytogenetics der Charles Universität Prag unter Leitung von Jiří Král. Monica Sheffer wurde kürzlich an der Universität Greifswald promoviert. Sie hat inzwischen eine Postdoc-Stelle an der University of Washington, Seattle, angenommen.

    (Universität Greifswald)



    Link zur Publikation https://doi.org/10.1093/biolinnean/blac039