Bleiben Sie zu Hause! Verlassen Sie Ihre Wohnung nur für wirklich dringende Erledigungen! Treffen Sie sich nicht mit Freunden und Verwandten! Mit diesem eindringlichen Appell an die Bevölkerung wollten Verantwortliche aus der Politik in Deutschland in der Zeit des ersten Lockdowns im Frühjahr 2020 die Ausbreitung des SARS-CoV-2-Virus verhindern. In Kombination mit den entsprechenden Vorschriften und Bußgeldern sorgten sie dafür, dass Busse und Bahnen leer blieben, in Parks nur noch Pärchen unterwegs waren und Familienfeiern reihenweise abgesagt wurden.
Doch nicht alle waren dazu bereit, sich an diese Vorschriften zu halten. Maskenverweigerer und illegale Partys hielten die Polizei auf Trab und sorgten für Schlagzeilen in den Medien. Wie Menschen dazu motiviert werden können, sich an Regeln zu halten, die ihrem eigenen Schutz und dem der Gesellschaft dienen: Das haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universität und des Universitätsklinikums Würzburg in dieser Zeit untersucht. Die Ergebnisse ihrer Studie haben sie jetzt in der Fachzeitschrift Preventive Medicine Reports veröffentlicht.
Angst ist nicht die wesentliche treibende Kraft
„Eigentlich könnte man erwarten, dass Menschen, die Angst davor haben, sich mit dem neuen Coronavirus zu infizieren und schwer zu erkranken, sich eher an die Vorschriften zur Eindämmung der Coronapandemie halten, verglichen mit Menschen, bei denen weniger Emotionen im Spiel sind“, sagt Grit Hein, Professorin für Translationale Soziale Neurowissenschaften an der Universität Würzburg. An der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Würzburger Universitätsklinikums erforscht sie, welche Motive menschliches Verhalten in welcher Weise beeinflussen.
Wie die Würzburger Studie jedoch zeigt, waren es im Fall der Coronapandemie andere Aspekte, die den Ausschlag dafür gaben, dass sich die Befragten an die Regeln hielten: das Wissen um die potenziellen Gefahren einer Covid-19-Erkrankung sowie Informationen über die Möglichkeiten, die Ausbreitung des Virus einzudämmen. „Wir konnten nachweisen, dass Personen, die während der Pandemie stark gefühlsbetont reagierten, nicht unbedingt eher dazu bereit waren, die Sicherheitsvorschriften einzuhalten“, erklärt Matthias Gamer, Professor für Experimentelle Klinische Medizin an der Uni Würzburg. Hein und Gamer sind Erstautoren der jetzt veröffentlichten Studie.
Wichtiger als Emotionen seien demnach kognitive und soziostrukturelle Variablen. Aus diesem Grund sollten sich nach Ansicht der Forscherinnen und Forscher politische Maßnahmen in Zukunft darauf konzentrieren, gesicherte Informationen und die gesellschaftliche Relevanz des jeweiligen Problems in den Vordergrund zu stellen, wenn sie Bürgerinnen und Bürger dazu bewegen wollen, sich verantwortungsbewusst und vorsichtig zu verhalten.
Umfrage unter rund 4.100 Studierenden
Für seine Studie hat das Forschungsteam die Antworten einer Online-Umfrage unter rund 4.100 Studierenden ausgewertet, an der sich diese im April 2020 beteiligt hatten. Gut zwei Drittel der Befragten waren weiblich, das Durchschnittsalter betrug 22,3 Jahre.
„Inwieweit sind Sie besorgt, bei einer Infektion mit dem Coronavirus schwer zu erkranken? Fühlen Sie sich den Herausforderungen durch die Coronapandemie gewachsen? Werde Sie ängstlich und nervös, wenn Sie Nachrichten über das Coronavirus-19 auf sozialen Medien sehen?“ Auf diese und viele weitere Fragen sollten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Studie Antwort geben. Dazu kamen Fragen zum Informationsverhalten – den Quellen, aus denen sich die Befragten informierten, ihren bevorzugten Social-Media-Plattformen, der täglich dort verbrachten Zeit – sowie Fragen zur Befindlichkeit und zu ihren Erwartungen und Befürchtungen für die Zukunft.
Konkurrierende Erklärungsmodelle
„Den Hintergrund unserer Studie bildet die Tatsache, dass es in der Psychologie konkurrierende Modelle dazu gibt, welche Aspekte menschliches Verhalten, speziell das Gesundheitsverhalten, steuern“, erklärt Grit Hein. So geht das Emotions-Motivations-Modell davon aus, dass emotionale Reaktionen eine wesentliche treibende Kraft darstellen. Oder, vereinfacht gesagt: Wer Angst vor einer bestimmten Situation hat, wird diese tunlichst meiden.
Im Gegensatz dazu gehen sozial-kognitive Modelle davon aus, dass das Sicherheitsverhalten durch eine andere Gruppe von Variablen bestimmt wird, die hauptsächlich kognitive und soziostrukturelle Aspekte widerspiegeln. Das können eigene Erfahrungen sein, Beobachtungen Anderer sowie Informationen aus den unterschiedlichsten Quellen.
„Wer die Risiken bestimmter Verhaltensweisen für die eigene Gesundheit kennt, wer informiert ist über den Verlauf einer Krankheit und deren Auswirkungen auf das Alltagsleben, wer sich darüber bewusst ist, dass er mit seinem eigenen Verhalten kontrollieren kann, welchen Risiken er sich aussetzt, der verfolgt mit einer größeren Wahrscheinlichkeit konkrete Pläne und Strategien, um dieses Risiko zu minimieren“, sagt Matthias Gamer.
Weitere Studien sind erforderlich
Ist die Frage nach dem gültigen Modell damit also geklärt? Nicht ganz. „Auf praktischer Ebene deuten unsere Ergebnisse zwar darauf hin, dass sich junge Erwachsenen eher an Sicherheitsvorschriften halten, wenn sie über die Auswirkungen einer Krankheit für den Einzelnen und seine Angehörigen sowie ihre gesellschaftliche Bedeutung gut informiert sind“, sagt Grit Hein.
Weil an der Umfrage allerdings ausschließlich Studierende teilgenommen haben, könne es sein, dass das Bildungsniveau einen relevanten Einfluss ausübt. Dementsprechend schlägt das Würzburg Team vor, dass zukünftige Studien untersuchen sollten, ob die jetzt beobachteten Zusammenhänge auch für Personen mit niedrigerem Bildungsniveau gelten. Für eine Fortsetzung der Studie konnten Hein, Gamer und der ebenfalls beteiligte Professor Paul Pauli bereits Geld bei der Volkswagenstiftung einwerben.
Universitätsklinikum Würzburg
Originalpublikation:
Grit Hein, Matthias Gamer, Dominik Gall, Marthe Gründahl, Katharina Domschke, Marta Andreatta, Matthias J. Wieser, Paul Pauli: Social cognitive factors outweigh negative emotionality in predicting COVID-19 related safety behaviors, Preventive Medicine Reports. https://doi.org/10.1016/j.pmedr.2021.101559