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Invasive Rippenqualle: Erfolgreich dank wiederholter Einwanderung

Die Rippenqualle Mnemiopsis leidyi
Die Rippenqualle Mnemiopsis leidyi. Foto: Cornelia Jaspers, DTU Aqua

Eines der berüchtigtsten invasiven marinen Lebewesen ist die Rippenqualle Mnemiopsis leidyi. Um den Invasionserfolg dieser Art genauer zu beleuchten, nutzte ein internationales Team unter Leitung des GEOMAR und des DTU Aqua Daten aus Vollgenom-Analysen. In ihrer Studie, die im Fachmagazin PNAS veröffentlicht wurde, kommen die Forschenden zu dem Schluss: Genetische Vielfalt an sich ist nicht der entscheidende Grund für den Invasionserfolg. Stattdessen ergaben Rekonstruktionen der Populationen, dass das Ausmaß der Invasionsereignisse sowie wiederholte Einführungen bestimmend sind.

Biologische Invasionen – die Einführung neuer, nicht heimischer Arten in Lebensräume, in denen sie zuvor nicht gelebt haben – erhalten seit einigen Jahren viel Aufmerksamkeit. Da sie bestehende Ökosysteme stören und einheimische Arten verdrängen, können sie die biologische Vielfalt massiv beeinflussen. Vor allem im Ozean gilt der Transport durch Menschen als eine der Hauptursachen für solche Invasionen. Eine jetzt im Fachmagazin Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America (PNAS) erschienene Veröffentlichung von Wissenschaftler*innen aus Deutschland, Dänemark, den Vereinigten Staaten von Amerika, Frankreich und Bulgarien beleuchtet die Frage, wie sich genetische Vielfalt auf Erfolg einer invasiven Art auswirkt. Das internationale Autorenteam analysierte hierfür das gesamte Genom einheimischer Populationen der Rippenqualle Mnemiopsis leidyi aus Miami und Woods Hole (USA) sowie von invasiven Populationen aus Varna (Bulgarien), Villefranche-sur-Mer (Frankreich) und Sylt (Deutschland).

Mnemiopsis leidyi ist für ihren verheerenden Einfluss auf Ökosysteme in ihrem Verbreitungsgebiet bekannt. So konkurriert diese Rippenqualle beispielsweise mit einheimischen Fischarten um Nahrung. Die an der Ostküste Amerikas beheimatete Art wurde erstmals in den 1980er Jahren im Schwarzen Meer gesichtet und hat sich seitdem in weiten Teilen West-Eurasiens ausgebreitet. Es wird angenommen, dass die ursprüngliche Invasion auf den Transport im Ballastwasser von Handelsschiffen zurückzuführen ist. Im Jahr 2006 wurde die Art in der Kieler Förde entdeckt. Damals war sie ein zweites Mal, unabhängig von ihrem ersten Auftauchen im Schwarzen Meer, aus Neuengland eingedrungen. „Ungeachtet ihrer großen Bedeutung sind die spezifische Invasionsdynamik und die Ausbreitung während der Einschleppung bisher unbekannt – wie bei den meisten nicht-einheimischen marinen Arten,“ sagt Dr. Cornelia Jaspers. Die biologische Ozeanografin aus Kiel, jetzt Leiterin des Zentrums für Ökologie und Evolution von gelatinösem Zooplankton an der Technischen Universität Dänemark (DTU Aqua), ist die Hauptautorin der PNAS-Veröffentlichung.

Als eine der hundert einflussreichsten invasiven Arten wurde Mnemiopsis leidyi auch als Schwerpunktart des an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel angesiedelten Sonderforschungsbereichs (SFB) 1182 „Entstehen und Funktionieren von Metaorganismen“ ausgewählt. „Da diese Art inzwischen in der Nord- und Ostsee vorkommt, müssen wir ihre genaue Invasionsgeschichte einschließlich der möglichen Reduzierung der genetischen Vielfalt verstehen,“ erklärt Professor Dr. Thorsten Reusch. Der Meeresbiologe am GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel und Projektleiter im SFB 1182 ist Mitautor der Veröffentlichung. „Durch eine Ganzgenom-Resequenzierung von Individuen aus fünf verschiedenen einheimischen und invasiven Populationen konnten wir die Invasionsrouten und die demografische Geschichte von mindestens zwei Invasionsereignissen rekonstruieren.“

Die Forschenden fanden für jede der verschiedenen Mnemiopsis-Invasionen unterschiedliche Verläufe. Dabei war die genetische Vielfalt der eingewanderten im Vergleich zu den einheimischen Populationen aus dem Nordwestatlantik teils ähnlich, teils erhöht und teils verringert. Dies legt nahe, dass die genetische Vielfalt allein nicht der Hauptfaktor für den Invasionserfolg dieser Art ist. Stattdessen ergab die Resequenzierung des gesamten Genoms, dass wiederholte Einschleppungen zur Ausbreitung der Quallenart beigetragen haben könnten. Zudem kann die pure Größe einer Population ihren Erfolg steigern – etwa, wenn nach der Einwanderung keine Fressfeinde ihrem Wachstum entgegenwirken.

„Unsere Daten deuten darauf hin, dass die Nordsee trotz internationaler Konventionen zur Eindämmung der Einschleppung von Arten immer wieder von Mnemiopsis heimgesucht wird. Das Aufdecken dieses zeitlichen Zusammenhangs ist wichtig, um das aktuelle Invasionsrisiko von Gebieten zu verstehen und die Einschleppung von Arten langfristig zu stoppen“, so Dr. Cornelia Jaspers abschließend.

GEOMAR


Originalpublikation:

Jaspers, C., Ehrlich, M., Martin Pujolar, J., Künzel, S., Bayer, T., Limborg, M.T., Lombard, F., Browne, W.E., Stefanova, K. Reusch, T.B.H. (2021): Invasion genomics uncover contrasting scenarios of genetic diversity in a widespread marine invader. Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS), 118 (51) e2116211118; doi: 10.1073/pnas.2116211118

https://doi.org/10.1073/pnas.2116211118