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Hochschulbildung in Deutschland: digitaler, internationaler, aber zu langsam bei Verbesserungen

Stifterverband

In den vergangenen zehn Jahren ist das Bildungssystem in Deutschland digitaler, attraktiver für ausländische Studierende und sozial durchlässiger geworden. Doch über den Bildungserfolg entscheidet nach wie vor die soziale Herkunft. Alarmierend ist außerdem die rückläufige Zahl der Absolventen in den MINT-Studienfächern. Dieses gemischte Fazit ziehen Stifterverband und die Unternehmensberatung McKinsey & Company in der Abschlussausgabe ihres Hochschul-Bildungs-Reports mit dem Titel "Hochschulbildung in der Transformation".

Der Report bewertet seit zehn Jahren regelmäßig die Entwicklungen in sechs Handlungsfeldern. Ergebnis: In fünf von ihnen – MINT-Bildung, Chancengerechte Bildung, Lehrer-Bildung, Quartäre Bildung, beruflich-akademische Bildung – wurden die gesetzten Ziele (auf Basis von nationalen und internationalen Benchmarks, Fair-Share-Betrachtungen, offiziellen politischen Zielvorgaben oder Trendextrapolationen) verfehlt. Nur im Handlungsfeld Internationale Bildung wurden zwischenzeitlich nahezu alle Ziele erreicht.

"Hochschulen haben in den vergangenen zehn Jahren viel erreicht. Nicht zuletzt die COVID-19-Pandemie hat gezeigt, zu welcher Flexibilität und zu welchen Verbesserungen Hochschulen in der Lage sind, aber auch woran es mangelt. Wichtig ist, dass es auch nach dem Hochschul-Bildungs-Report gelingt, mit einer systematischen Datenerhebung Defizite sichtbar zu machen und auf dieser Basis messebare politische Ziele für die Transformation unseres Bildungssystems zu definieren", erklärt Volker Meyer-Guckel, Generalsekretär des Stifterverbandes. "Die vielen Verbesserungen, die an Hochschulen in den vergangenen zehn Jahren erreicht wurden, sollten Ansporn für die weitere Digitalisierung, mehr Kooperationen und Investitionen an den Hochschulen sein. Und das mit höherem Tempo", sagt auch McKinsey Senior Partnerin Solveigh Hieronimus. Die nächste Dekade müsse ein Jahrzehnt massiver bildungspolitischer Weiterentwicklung werden.

Mit Blick auf die Report-Ergebnisse plädieren Stifterverband und McKinsey für den weiteren Ausbau digitaler Studienformate, interdisziplinärer Studiengänge sowie von Weiterbildungsangeboten insbesondere für Berufstätige. Eine Kompetenzerfassung der Belegschaft sei zudem Voraussetzung für eine strategische Aus- und Weiterbildung. Ziel sollte sein, flexibler auf die Bedürfnisse der Studierenden und auch auf die Entwicklungen am Arbeitsmarkt zu reagieren. Um den Lehrerberuf attraktiver zu gestalten, sollten Gehälter angepasst und Karrierewege verbessert werden. Im MINT-Bereich seien alle Bemühungen, um insbesondere mehr weibliche Studierende zu gewinnen, fortzusetzen oder sogar zu verstärken. Darüber hinaus sollten mit Blick auf die Chancengerechtigkeit der Ausbau von Ganztagsschulen vorangetrieben werden. Außerdem gelte es vor allem durch zielgruppengerechte Angebote Informationsdefizite abzubauen.

Sechs Handlungsfelder und ihre Entwicklung im Detail

Der für den Hochschul-Bildungs-Report entwickelte Gesamtindex erreicht im Abschlussjahr lediglich 45 Punkte und damit nicht einmal die Hälfte der für das Zieljahr 2020 zu erreichenden 100 Punkte. Auf allen sechs Handlungsfeldern hat die Pandemie einen negativen Einfluss gehabt und die positive Entwicklung der Vorjahre zurückgeworfen. 

Mit 68 Punkten erreicht das Handlungsfeld Internationale Bildung die höchste Punktzahl im Index. Die Zahl der Bildungsausländer (ausländische Studienanfänger, die ihre Hochschulzugangsberechtigung im Ausland erworben haben) erreichte 2019 bereits eine Rekordhöhe von 111.000, ging dann aber Pandemie bedingt zurück auf 86.500 in 2020. Ziel waren 87.000 Erstsemester.Volle Zielerreichung gab es beim Anteil englischsprachiger Studiengänge in allen Studiengängen. Der Anteil von Studienabsolventen mit Erasmuserfahrung stagnierte hingegen über die Jahre. 

Auf den Plätzen zwei und drei haben sich die Handlungsfelder Quartäre Bildung (47 Punkte) und Beruflich-akademische Bildung (46 Punkte) zwar tendenziell positiv aber deutlich unter den Zielvorgaben entwickelt. Die Zahl der Absolventinnen und Absolventen von Weiterbildungsstudiengängen hat sich innerhalb von zehn Jahren auf zuletzt rund 12.000 in 2020 mehr als verdoppelt und den Zielwert nur knapp verfehlt. Positiv, aber viel zu langsam entwickelt, hat sich der Anteil der Studierenden im Fernstudium sowie der Anteil berufsbegleitender Masterstudiengänge. In der beruflich-akademischen Bildung sticht positiv hervor, dass sich die Zahl der Anfänger eines dualen Studiengangs seit 2010 auf rund 30.000 in 2020 nahezu verdoppelt hat, allerdings mit großen regionalen Unterschieden. Nach wie vor gibt es immer noch nicht in allen Bundesländern ein Angebot für duale Studiengänge. Insgesamt haben sie nur einen Anteil von 7,9 Prozent an allen Studiengängen; Ziel waren 11,1 Prozent
 
Auch im Handlungsfeld Lehrer-Bildung haben sich die Indikatoren wenig positiv entwickelt – der Index erreicht nur 37 von 100 Punkten. Einzig der Indikator „Erfolgsquote im Lehramt“ erreichte sein Ziel von 80 Prozent. Alle anderen untersuchten Indikatoren verfehlten ihre Ziele: Der Anteil der MINT-Studienanfänger im Lehramt sank mit 26 Prozent sogar drei Prozentpunkte unter den Ausgangswert, ebenso wie den Anteil der Frauen in Informatik im Lehramt. Für Männer bleibt das Grundschullehramt wenig attraktiv: Deren Anteil stagnierte über die Jahre bei zuletzt 16,9 Prozent.

Schlusslichter im Index sind die Handlungsfelder MINT-Bildung (32 Punkte) und Chancengerechte Bildung (31 Punkte). Im Handlungsfeld MINT wurden zwar viele Verbesserungen in Bezug auf Diversität (Frauenanteil in T-Studiengängen, Ausländeranteil) erreicht, doch waren die Zahlen der MINT-Studienabsolventen alarmierend rückläufig. In den Fächern Mathematik, Informatik und Naturwissenschaft (MIN) gab es 2020 mit 41.200 sogar 7.400 Absolventen weniger als zehn Jahre zuvor. Im Handlungsfeld Chancengerechte Bildung hat sich die Zahl der Bildungsinländer an den Hochschulen in den vergangenen zehn Jahren kaum erhöht. Außerdem war die Studienerfolgsquote der Bildungsinländer nach positiver Entwicklung bis 2018 zuletzt wieder rückläufig. Gemessen an ihrer absoluten Zahl sind Kinder aus Nichtakademikerhaushalten an den Hochschulen noch immer stark unterrepräsentiert. Nur 27 Prozent von ihnen begannen zuletzt ein Studium, bei Akademikerkindern waren es 79 Prozent.

Stifterverband


Den Hochschul-Bildungs-Report zum Download finden Sie hier.