Die Ameisenlöwen produzieren aus drei verschiedenen Giftdrüsen ein deutlich komplexeres Gift als ihre Verwandten. Alle identifizierten Giftproteine stammen von den Insektenlarven selbst und nicht etwa von symbiotischen Bakterien. Einige der Toxine sind neu und kommen offenbar nur bei Ameisenlöwen vor. Mit ihrem Gift können Ameisenlöwen, die in trichterförmigen Fallen im Sand auf ihre Opfer warten, auch größere Beutetiere bewegungsunfähig machen. Die Giftwirkung spielt somit eine wichtige ökologische Rolle bei der Anpassung an ihren kargen Lebensraum.
Netzflüglerlarven sind Räuber, die andere Gliederfüßer mit Hilfe von Gift fangen und verdauen. Bekannte Vertreter dieser Insektenordnung sind die Familien der Florfliegen und der Ameisenjungfern. Florfliegenlarven werden oft als Nützlinge in Gewächshäusern eingesetzt, weil sie viele Blattläuse vertilgen, weshalb sie auch Blattlauslöwen genannt werden. Die Larven der Ameisenjungfern heißen Ameisenlöwen. Sie kommen nur in trockenen, sandigen Lebensräumen vor, wo sie Trichterfallen in den Sand bauen und auf Beuteinsekten warten. Da es in der kargen Umgebung nicht viele Insekten gibt, können Ameisenlöwen bei der Auswahl ihrer Beute nicht wählerisch sein. Das Nahrungsangebot ist sehr begrenzt und sie müssen daher auch große und wehrhafte Beuteinsekten überwältigen und schnell töten, um zu überleben. Dafür benötigen sie starke Gifte, die die Beutetiere wirksam lähmen und an der Flucht hindern können.
Giftapparat mit drei unterschiedlichen Giftdrüsen produziert ein komplexes Gift
Das Forschungsteam um Heiko Vogel vom Max-Planck-Institut für chemische Ökologie und Andreas Vilcinskas von der Universität Gießen wollte mehr über das Ameisenlöwengift herausfinden. Die Forschenden wollten insbesondere wissen, woher das Gift stammt und ob es möglicherweise von symbiotischen Bakterien produziert wird, welche Organe für die Giftproduktion zuständig sind, welche Zusammensetzung das Gift hat und wie sich das Giftsystem und die Toxizität des Gifts von dem der verwandten Florfliegenlarven unterscheiden.
„Wir konnten im Ameisenlöwen insgesamt 256 Giftproteine identifizieren. Außergewöhnlich ist die Komplexität des gesamten Giftapparates, bei dem drei unterschiedliche Drüsen verschiedene Gifte und Verdauungsenzyme über die Greifzangen in die Beute injizieren. Ameisenlöwen haben ein deutlich komplexeres und wirksameres Gift als Blattlauslöwen, in denen wir nur 137 Proteine aus den Giftdrüsen identifizieren konnten. Mittels Genanalysen entdeckten wir außerdem Toxine, die offenbar nur beim Ameisenlöwen vorkommen“, fasst Erstautorin Maike Fischer die wichtigsten Ergebnisse zusammen.
Das Forschungsteam nutzte verschiedene molekularbiologische und histologische Methoden sowie dreidimensionalen Rekonstruktions-Verfahren, um die Genexpression, Proteinvielfalt und den Aufbau der Giftdrüsen zu untersuchen. Außerdem verwendeten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die HCR-RNA-FISH-Methode, eine Kombination aus Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung (FISH) und Hybridisierungskettenreaktion (HCR), um die Verteilung und Menge von RNA-Molekülen in einzelnen Zellen sichtbar und messbar zu machen. So konnten die Forschenden nachweisen, dass drei verschiedene winzige Giftdrüsen im Ameisenlöwen an der Sekretion der Gifte beteiligt sind und unterschiedliche Giftproteine produzieren.
Ameisenlöwen kommen ohne bakterielle Helfer aus
Die Analyse mittels Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung, um Bakterien im Gewebe sichtbar zu machen, zeigte auch, dass Ameisenlöwen offenbar frei von bakteriellen Symbiose-Partnern sind. Dieses Ergebnis hat das Forschungsteam überrascht. „Es ist erstaunlich, dass Ameisenlöwen keine Bakterien in ihrem Körper haben. Das ist zum einen ungewöhnlich, da die meisten Tiere vor allem im Darm eine Vielzahl von Mikroorganismen beherbergen, die zum Teil auch überlebensnotwendig sind. Zum anderen hatten wir Bakterien im Giftsystem erwartet, da man bisher davon ausging, dass bestimmte Giftproteine im Ameisenlöwengift von Bakterien produziert werden“, sagt Martin Kaltenpoth, der am Max-Planck-Institut für chemische Ökologie die Abteilung Insektensymbiosen leitet.
Der besondere Giftapparat ist eine Anpassung an die ökologische Nische des Ameisenlöwen
Netzflügler waren bisher vor allem für die biologische Schädlingsbekämpfung, z.B. in Gewächshäusern, von Interesse. Die Rolle und Evolution der Giftzusammensetzung bei verschiedenen Netzflüglerarten wurde dabei weitgehend vernachlässigt. „Unsere Ergebnisse zeigen, dass unterschiedliche Lebensräume und Beutespektren einen starken Einfluss auf die Giftzusammensetzung und -aktivität von Netzflüglern haben und dass deren Dynamik einen großen Einfluss auf die Evolution von Räuber-Beute-Beziehungen haben könnte. Ameisenlöwen produzieren eine komplexe Giftmischung, die es ihnen ermöglicht, in ihrem beutearmen Lebensraum auch große, wehrhafte Insekten zu überwältigen. Außerdem haben sie evolutionär einzigartige Strukturen entwickelt, mit denen sie über ihre Mundwerkzeuge in getrennten Systemen entweder Gift oder Verdauungsenzyme in ihre Beutetiere injizieren können“, sagt Heiko Vogel, Leiter der Projektgruppe „Anpassung und Immunität“ in der Abteilung Insektensymbiosen.
Andreas Vilcinskas von der Universität Gießen, hat als Leiter des Bereichs "Bioressourcen" am Fraunhofer-Institut für Molekularbiologie und Angewandte Ökologie (IME) die Wirksamkeit und Komplexität des Ameisenlöwengifts weiterhin im Blick: „Wir konnten zwar zeigen, dass Ameisenlöwengift hochwirksam ist, wenn es in Insekten injiziert wird, aber wir wissen nicht, welche Substanzen für diese Giftigkeit verantwortlich sind. Es wäre daher interessant herauszufinden, welche Komponenten in diesem sehr komplexen Gift welche Rolle spielen und wie sie sich von anderen Insektengiften unterscheiden. Besonders interessant sind dabei die Toxine, die nur beim Ameisenlöwen gefunden wurden“, sagt er mit Blick auf weitere Untersuchungen.
Max-Planck-Institut für chemische Ökologie
Originalpublikation:
Fischer, M. L., Schmidtberg, H., Tidswell, O., Weiss, B., Dersch, L., Lüddecke,T., Wielsch, N., Kaltenpoth, M., Vilcinskas, A., Vogel, H. (2024). Divergent venom effectors correlate with ecological niche in neuropteran predators. Communications Biology, 7: 981, https://doi.org/10.1038/s42003-024-06666-9