Das Forschungsteam unter Leitung von Professor Mathias Wernet (Freie Universität Berlin) und Professor Sung Soo Kim (University of California, Santa Barbara) konnte zeigen, dass im Gehirn der Taufliege mindestens zehn parallele synaptische Bahnen existieren, die visuelle Informationen auf ihrem Weg zum Zentralgehirn verarbeiten. „Dies stellt einen bemerkenswerten Befund dar, der zeigt, dass selbst das Gehirn eines so kleinen Organismus erstaunlich komplexe visuelle Verarbeitungsmechanismen aufweist“, sagt Mathias Wernet, Professor für Neuronale Netzwerke.
In ihrer Forschungsarbeit hatten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mithilfe elekronenmikroskopischer Daten über 5.000 Nervenzellen der Taufliege Drosophila melanogaster mitsamt ihrer chemischen Synapsen rekonstruiert. Den drei Erstautor*innen, Doktorand Emil Kind aus Berlin und Doktorandin Jennifer Yuet Ha Lai sowie Dustin Garner (beide aus Kalifornien) gelang auf diesem Wege die erste komplette Darstellung aller visueller Eingänge in den Zentralkomplex. Der Zentralkomplex ist eine evolutionär konservierte Struktur im Zentralgehirn von Insekten, die eine wichtige Rolle bei der Entstehung von Navigationsentscheidungen spielt.
„Die Ergebnisse dieser bahnbrechenden Arbeit ermöglichen Rückschlüsse auf die Natur der verarbeiteten visuellen Reize und die funktionellen Eigenschaften der beteiligten Nervenzellen“, erklärt Mathias Wernet. Dem internationalen Forschungsteam gelang es zudem mithilfe der In-vivo 2-Photonen-Mikroskopie, einige dieser wissenschaftlichen Voraussagen experimentell zu bestätigen.
In der gleichen „Nature“-Sonderausgabe wird die Studie komplettiert durch eine zweite Veröffentlichung, die in Zusammenarbeit mit den Autor*innen Professor Sebastian Seung und Professorin Mala Murthy von der Universität Princeton entstand mit dem Titel „Neuronal parts list and wiring diagram for a visual system“. Diese bietet eine tiefergehende Analyse der neuronalen Bauteile und Verschaltungsmuster des visuellen Systems der Tauffliege.
Die Erkenntnisse aus beiden Studien stellen eine entscheidende Grundlage für künftige Forschungen dar. „In der Zukunft dienen diese connectomischen Daten als wichtiges Fundament für die Planung und Interpretation von physiologischen Arbeiten oder Verhaltensexperimenten mit dem Ziel, Navigationsentscheidungen besser zu verstehen“, sagt Mathias Wernet.
Freie Universität Berlin
Originalpublikationen:
Garner, D., Kind, E., Lai, J.Y.H. et al. Connectomic reconstruction predicts visual features used for navigation. Nature634, 181–190 (2024). https://doi.org/10.1038/s41586-024-07967-z
Matsliah, A., Yu, Sc., Kruk, K. et al. Neuronal parts list and wiring diagram for a visual system. Nature634, 166–180 (2024). doi.org/10.1038/s41586-024-07981-1