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Tor zur Arktis: Expedition mit dem Forschungsschiff SONNE

Forschungsschiff SONNE
Das Forschungsschiff SONNE wird noch bis 6.9. für die „AleutBio“-Expedition im Einsatz sein. Thomas Walter

Unter der Fahrtleitung von Senckenbergerin Prof. Dr. Angelika Brandt befinden sich aktuell 38 internationale Forschende an Bord des Forschungsschiffs SONNE im Nordpazifik. Ziel der „AleutBio Expedition SO293“ ist es das Ökosystem der Tiefsee zu verstehen und Veränderungen der Fauna – vor dem Hintergrund des raschen Klimawandels – zu dokumentieren. Die Forschenden untersuchen hierfür im östlichen Beringmeer und im Aleutengraben das Leben am Meeresboden in allen Größenklassen. Ein täglicher Blog nimmt die Öffentlichkeit mit in den Alltag der Meeresforschenden.

Seit 23. Juli befindet sich Senckenberg-Meeresforscherin Prof. Dr. Angelika Brandt an Bord des Forschungsschiffs SONNE – aktuell über dem Aleutengraben, eine bis zu 7.822 Meter tiefe und 3.200 Kilometer lange Tiefseerinne im nördlichen Teil des Pazifischen Ozeans. Gemeinsam mit 38 Wissenschaftler*innen aus 12 Nationen – Japan, Dänemark, Deutschland, Frankreich, Italien, Norwegen, Mexiko, Polen, Schweiz, Spanien, USA, Vereinigtes Königreich – nimmt Fahrtleiterin Brandt an der „AleutBio“-Expedition teil. „Wir möchten gemeinsam und fachübergreifend Licht ins Dunkel bezüglich der Verbreitung von Meeresorganismen im Nordpazifik, dem ‚Tor zur Arktis‘, bringen. Zudem möchten wir die Veränderungen der Artenvielfalt dokumentieren – insbesondere vor dem Hintergrund des globalen Klimawandels“, so Brandt.

Etwa zwei Wochen befinden sich die Forscher*innen nun an Bord des gut 116 Meter langen Forschungsschiffs – sie haben an zwei Stationen im Beringmeer Proben genommen und den Meeresboden vermessen, drei Stürme überstanden und sind nun am nördlichen Hang ihres westlichsten Transektes über dem Aleutengraben. „Hier haben wir eine enorme Fülle von winzigen Foraminiferen, kalkschaligen Einzellern, im Sediment der tiefsten Hadalstation gefunden. Innerhalb weniger Minuten konnten wir Hunderte von Exemplaren einsammeln. Ihre kugelförmige Gestalt und ihre organische Wand lassen darauf schließen, dass sie zur Gattung Bathyallogromia gehören. Die Erstbeschreibung dieser Gattung stammt aus dem Weddellmeer. Die Gattung wurde später auch aus anderen Gebieten gemeldet – aber nie in so großer Zahl“, berichtet Brandt und fährt fort: „Bei den Isopoden, den Meeresasseln, konnten wir die bisher größte Art der Gattung Paropsurus nachweisen. Es handelt sich um zwei Weibchen – das größte Tier ist 65 Millimeter lang. Untersuchungen im Labor werden vermutlich zeigen, dass es sich bei ihnen um eine neue Art handelt.“
Im östlichen Aleutengraben fanden die Wissenschaftler*innen die – nach Senckenbergerin Dr. Saskia Brix benannte – Art Rhachotropis saskia. Diese kürzlich beschriebene nordwestpazifische Art lebt in Wassertiefen von 3.000 bis 8.000 Metern und wurde bereits auf beiden Seiten und im Kurilen-Kamtschatka-Graben selbst nachgewiesen. „Arten der Gattung Rhachotropis sind als Räuber bekannt und verfügen über gute Schwimmfähigkeiten. Unser Fund wirft ein neues Licht auf die Verbreitung von Tiefseearten und bestätigt unsere Hypothese, dass zumindest einige dieser Arten auch eine weite geografische Verbreitung aufweisen können. Ausgewählte Individuen der Arten wurden von uns so fixiert, dass sie für weitere Analysen und molekulare Untersuchungen nach unserer Rückkehr zur Verfügung stehen. Wir freuen uns sehr über diese ersten Ergebnisse“, ergänzt Brandt.

Denn es gab auch Schwierigkeiten mit denen Fahrtleiterin Brandt zu kämpfen hatte: Ursprüngliches Ziel der Expedition war es, ein Gebiet des Nordwest-Pazifiks sowie des westlichen Beringmeeres am Tor der Arktis zu untersuchen, aus dem nur wenige Daten von früheren russischen Expeditionen veröffentlicht wurden. Nach Einreichen des Forschungsantrages und der logistischen Planung der Expedition, für die bereits eine russische Arbeitsgenehmigung vorlag, begann der Krieg gegen die Ukraine. Basierend auf der Empfehlung der Allianz der deutschen Wissenschaftsorganisationen musste daher auch die jahrelang geplante „AleutBio“-Expedition ihre Route anpassen. „Das war ein Kraftakt“, so die Frankfurter Meeresforscherin.

Enden wird die Expedition am 6. September im kanadischen Vancouver; zurück an Land beginnt dann die eigentliche Arbeit der Forscher*innen. Brandt gibt einen Ausblick: „Wir wollen unsere neuen biologischen Proben mit den Proben aus vorhergehenden Expeditionen – KuramBio I und II – sowie aus früheren russischen Expeditionen vergleichen. Wir planen integrative taxonomische Arbeiten an Schlüsselarten, die für das Verständnis und die Klärung der verwandtschaftlichen Beziehungen von entscheidender Bedeutung sind. Darüber hinaus werden wir molekulare Standardtechniken als Grundlage für Verbreitungsmodelle und Konnektivitätsstudien einsetzen, um zu verstehen welche Arten nach Norden wandern und den Arktischen Ozean vermutlich in den nächsten Dekaden erreichen werden und welche arktischen Arten bereits heute im Beringmeer oder Aleutengraben zu finden sind.“

Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Frankfurt


Zum Expeditionsblog: https://aleutbio.sgn.one/de/blog/