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Forscher diskutieren Lösungsansätze für die europäische Gentechnik-Gesetzgebung

Es wird immer deutlicher, dass die veraltete Gesetzgebung im Gentechnik-Bereich mit der immer rascheren wissenschaftlichen Entwicklung auf diesem Gebiet nicht Schritt gehalten hat, und ihren Zweck nicht mehr erfüllt. Vor langer Zeit eingeführte Grundsätze, die einen sicheren Umgang mit einer damals noch neuen Technologie gewährleisten sollten, werden immer mehr zum Bremsklotz für innovative Entwicklungen, und lassen Europa zunehmend im internationalen Wettbewerb zurückfallen. Der Ruf nach einer Reform des Rechtsrahmens in der EU aus der Forschung, aber auch von Pflanzenzüchtern wird immer lauter. Eine Gruppe von 11 Wissenschaftlern aus fünf europäischen Ländern, darunter auch aus der Schweiz, stellen jetzt in einer Serie von drei Fachartikeln Optionen für eine Reform der EU Gesetzgebung im Gentechnik-Bereich vor. Sie vertreten verschiedene Fachrichtungen, von der Pflanzenzüchtung über Agrarökonomie, Biotechnologie, Ökologie und Umwelt, Politikwissenschaften, Philosophie, bis hin zu Recht und Wirtschaft.

Sie regen an, sich bei der Beurteilung von Produkten künftig vermehrt an deren Eigenschaften und weniger am Herstellungsprozess zu orientieren, da dies für eine Risikoabschätzung sinnvoller sei. Produkte neuer Technologien, die identisch sind zu Produkten die sich auch mit herkömmlichen Züchtungsverfahren erzielen lassen, oder die ohne menschliches Zutun auch in der Natur entstehen können, sollten nicht den aktuell geltenden EU Bestimmungen für «gentechnisch veränderte Organismen» unterstellt werden. Für identische Produkte sollten auch ähnliche Sicherheitsbestimmungen gelten. Da sich die Technologien laufend weiterentwickeln, sollte eine Expertenkommission auf EU Ebene in Zweifelsfällen Empfehlungen zum rechtlichen Status von Organismen abgeben, die mit neuartigen Methoden verändert wurden. Ausserdem müsste geklärt werden, wie die seit einem längeren Zeitraum gesammelten Erfahrungen mit einer Technologie in die Sicherheitsbeurteilung einfliessen sollte.

Die bestehenden Bestimmungen für die Risikoabschätzung sollten dazu flexibler ausgestaltet werden. Die aktuell in der EU vorgeschriebenen Tierversuche für die Zulassung eines GVO Produkts sollten überdacht werden, da sie in der Regel keine relevanten Erkenntnisse bringen. Um eine seriöse Abklärung eines Umweltrisikos eines Produktes zu ermöglichen, sollten mögliche Umweltschäden klar definiert werden. Ausserdem habe die Erfahrung gezeigt, dass verschiedene EU-Länder unterschiedlich strenge Anforderungen an eine Produktzulassung stellen – eine Einigung zwischen allen Mitgliedsstaaten ist daher oft nicht möglich. Daher sollten für das Risiko-Management nur noch EU-weite Minimalstandards gelten, und die Autonomie der einzelnen Staaten für Zulassungsentscheide gestärkt werden.

Für Lebensmittel und Produkte, die mittels Genome Editing verändert wurden, die aber keine fremde Erbinformation enthalten, empfehlen die Wissenschaftler, auf eine verbindliche Kennzeichnung zu verzichten, da derartige Veränderungen nicht zweifelsfrei von natürlichen Veränderungen unterschieden werden können. Ebenfalls aufgrund des schwierigen bis unmöglichen Nachweises von technisch erzeugten Erbgut-Veränderungen durch Genome Editing wird angeregt, für Koexistenz-Massnahmen auf aufwändige Nachweisverfahren für eine mögliche Vermischung zu verzichten, und die Standards für Bio-Produkte und für Produkte «ohne Gentechnik» auf die verwendete Anbaumethode auszurichten.

Mit ihren Vorschlägen möchten die Wissenschaftler ein besser vorhersehbares Zulassungssystem für Produkte innovativer Züchtungsverfahren ermöglichen, das nicht ohne Grund gegen bestimmte Technologien diskriminiert, flexibel an den wissenschaftlichen Fortschritt angepasst werden kann, und unter Berücksichtigung der Sicherheit sowohl den potentiellen Nutzen als auch mögliche Nachteile molekularer Züchtungsverfahren berücksichtigt.

Der politische Druck innerhalb der EU auf eine politische Reform der Gesetzgebung im Gentechnik-Bereich ist inzwischen so gross geworden, dass die Chance auf eine Veränderung wächst. Verschiedene politische Initiativen laufen in diese Richtung. Bei der Ausgestaltung neuer Regeln sollte berücksichtigt werden, dass sich zu hohe Hürden für neue Technologien nachteilig auf dringend nötige Innovationen in der Landwirtschaft auswirken können. Hier sollte eine sorgfältige Balance zwischen Sicherheitsbestrebungen und der Ermöglichung von Innovationen angestrebt werden.

Jan Lucht,Point-Newsletter Februar 2020 (Nr. 213)


Quellen:

Dennis Eriksson et al. 2020, Options to Reform the European Union Legislation on GMOs (I): Scope and Definitions, Trends in Biotechnology 38:231-234; https://doi.org/10.1016/j.tibtech.2019.12.002

Dennis Eriksson et al. 2020, Options to Reform the European Union Legislation on GMOs (II): Risk Governance, Trends in Biotechnology; doi:10.1016/j.tibtech.2019.12.016);

Dennis Eriksson et al. 2020, Options to Reform the European Union Legislation on GMOs (III): Post-authorization and Beyond, Trends in Biotechnology; doi:10.1016/j.tibtech.2019.12.015)