Extremer Druck durch Prädatoren wurde von der Wissenschaft bisher als Hauptgrund für das außergewöhnliche Sozialverhalten von N. pulcher gesehen: Denn ein Fisch, der wegwill, wird wahrscheinlich gefressen werden. Es lohnt sich also zuhause zu bleiben.
Nur besonders starke, gute und fitte Individuen können diese ökologischen Beschränkungen (ecological constraints) überwinden. Schwächere Tiere sind jedoch gezwungen, das Heim zu hüten und haben unter der Knute ihrer Eltern nur sehr wenig Raum zur Selbstverwirklichung – die Chance auf eigenen Nachwuchs ist dadurch äußerst gering.
Erste derartige Langzeitstudie zur Buntbarschart N. pulcher
Zur Bestätigung dieser gängigen Hypothese fehlten aber bisher Messungen des tatsächlichen Reproduktionserfolgs. In der weltweit ersten derartigen Langzeitstudie untersuchte deshalb ein Forschungsteam der Vetmeduni N. pulcher unter natürlichen Bedingungen. Dazu Studien-Erstautor Arne Jungwirth vom Konrad-Lorenz-Institut für Vergleichende Verhaltensforschung der Vetmeduni: „Wir haben Lebensspanne, Reproduktionserfolg und sozialen Status von knapp 500 markierten Fischen über einen Zeitraum von bis zu fünf Jahren gemessen.“
Beide Geschlechter profitieren von Sesshaftigkeit
Dabei stellte sich heraus, dass beide Geschlechter davon profitieren, zuhause zu bleiben, da sich die Überlebenswahrscheinlichkeit und der Reproduktionserfolg erhöhen. Das stimmt nicht mit den Vorhersagen der „ecological constraints“ überein, sondern vielmehr mit einer anderen klassischen Theorie – den Vorteilen von Sesshaftigkeit (benefits of philopatry).
„Dass beide Geschlechter gleichermaßen von Sesshaftigkeit profitieren, ist insofern überraschend, als sie sich sowohl in ihrem Dispersionsverhalten – Männchen ziehen mehr herum –, als auch in anderen Aspekten ihrer Lebenslaufstrategien unterscheiden. Weibchen wachsen beispielsweise langsamer und zu geringerer Maximalgröße heran, leben dann aber sehr viel länger“, so Arne Jungwirth.
Vielweiberei mit Folgen: Männchen streiten mehr und müssen deshalb umziehen
Für den Umstand, dass Männchen häufiger umziehen müssen, fanden die Wissenschafter:innen laut Arne Jungwirth die folgende Erklärung: „Die Konkurrenz zwischen Männchen verhindert ihre Sesshaftigkeit häufiger als bei Weibchen – männliche Buntbarsche zanken mehr, weil es für sie weniger Territorien gibt: Auf zwei brütende Weibchen kommt nur etwa ein brütendes Männchen, denn die Spezies praktiziert Vielweiberei (Polygynie).“
Veterinärmedizinische Universität Wien
Originalpublikation:
Arne Jungwirth, Markus Zöttl, Danielle Bonfils, Dario Josi, Joachim G. Frommen und Michael Taborsky: „Philopatry yields higher fitness than dispersal in a cooperative breeder with sex-specific life history trajectories“, Science Advances 2023, https://www.science.org/doi/10.1126/sciadv.add2146