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Ein Rezept aus zwei Epochen: Wie Nadelbäume Borkenkäfer abwehren

Larve des Borkenkäfers
Larve des Borkenkäfers, Bild von David Hablützel auf Pixabay

Nadelbäume schützen sich mit Harz. Dieses enthält Diterpene als Abwehrstoffe gegen Schädlinge. Einige dieser Diterpene existierten bereits vor der Evolution der Nadelbäume, während sich andere erst später in verschiedenen Baumarten unabhängig voneinander entwickelten – vermutlich zum Schutz vor Borkenkäfern. Ein wichtiger Faktor dafür ist der als „Epistase” bezeichnete Mechanismus, demzufolge frühere genetische Veränderungen den Weg für neue Merkmale ebnen. Die Erkenntnisse vertiefen das Verständnis der pflanzlichen Abwehr und können zu einem nachhaltigeren Pflanzenschutz beitragen. 

Nadelbäume wie Kiefern, Fichten und Tannen produzieren ein klebriges Harz, das den Baum vor Insekten und Krankheitserregern schützt. Wichtige Bestandteile dieses Harzes sind Diterpene – spezielle natürliche Substanzen, die Borkenkäfer und Pilze abwehren können. Die Enzyme, die diese Verbindungen herstellen, heißen Diterpensynthasen.
Ein Forschungsteam vom Max-Planck-Institut für chemische Ökologie in Jena und der Iowa State University in Ames, Iowa, USA, wollte herausfinden, ob diese Enzyme in der fernen Vergangenheit einmal entstanden sind oder sich in jüngerer Zeit mehrfach unabhängig voneinander in verschiedenen Nadelbäumen entwickelt haben. 

„Diterpensynthasen sind spannende Enzyme, weil schon kleine Veränderungen in ihrer 
Bauweise dazu führen, dass sie unterschiedliche chemische Produkte erzeugen. Sie eignen sich deshalb hervorragend, um zu untersuchen, wie Pflanzen im Laufe der Evolution diese enorme Vielfalt an Abwehrstoffen hervorbringen konnten“, erklärt Erstautor Andrew O’Donnell aus der Abteilung Biochemie den Ausgangspunkt der Untersuchungen. 

Reise in die Vergangenheit der Enzyme

Um die Entwicklungsgeschichte dieser Enzyme zu entschlüsseln, rekonstruierte das Team mithilfe genetischer Analysen die wahrscheinlichen Vorfahren der Diterpensynthasen und untersuchte sie im Labor. Diese rekonstruierten Enzyme wurden gezielt verändert, um zu sehen, wie sich ihre Produkte dadurch änderten. „Um herauszufinden, welche Produkte ein Enzym herstellt, haben wir dessen genetischen Bauplan in Bakterien eingebracht. Die Bakterien produzierten dann das Enzym für uns. Dieses Enzym haben wir isoliert, passende Ausgangsstoffe hinzugegeben und die entstehenden Produkte mithilfe moderner Analysemethoden genau analysiert“, erläutert Axel Schmidt, Leiter der Projektgruppe Abwehr von Nadelbäumen, die Vorgehensweise. 

Zur Bestimmung des Alters bestimmter Ur-Enzyme mussten die Forscher die Sequenzen zahlreicher Diterpensynthasen sowie die evolutionären Beziehungen zwischen Nadelbaumarten berücksichtigen. Das Ergebnis: Einige Diterpene im Harz heutiger Nadelbäume entstanden bereits vor 300 Millionen Jahren – lange bevor es Kiefern, Fichten oder Tannen in ihrer heutigen Form gab. Andere wichtige Diterpene entwickelten sich dagegen erst in jüngerer Zeit – und dann gleich mehrfach unabhängig in verschiedenen Baumarten.

Warum Evolution manchmal lange dauert

Das weckte die Frage, warum sich manche dieser Verbindungen erst so spät entwickeln konnten – und dabei in unterschiedlichen Baumarten dennoch zu ähnlichen Ergebnissen führten. Eine zentrale Rolle spielte dabei ein genetischer Mechanismus namens Epistase: Neue Eigenschaften können oft nur entstehen, wenn andere Veränderungen zuvor bereits aufgetreten sind. „Das Potential der Pflanzen, bestimmte Stoffe zu entwickeln, nahm über Millionen Jahre zunächst nur langsam zu – und stieg dann sprunghaft an, nachdem sich die Nadelbäume von anderen Pflanzen abgespalten hatten. Das könnte erklären, warum manche Pflanzengruppen dieselben Eigenschaften immer wieder neu entwickeln können“, so Andrew O’Donnell.

Schutz vor Borkenkäfern

Heute ist das Harz von Nadelbäumen eine Mischung aus uralten und jüngeren Diterpenen. Die jüngeren Abwehrstoffe könnten in einer Zeit entstanden sein, als Borkenkäfer bereits existierten – fossile Funde stützen diese Vermutung. Kiefern, Fichten und Tannen entwickelten vermutlich unabhängig voneinander die gleichen Diterpene als Abwehr gegen diese Schädlinge, auch wenn sie dabei unterschiedliche evolutionäre Wege gingen.
Diese besondere Mischung aus uralten und jüngeren Abwehrstoffen könnte eine wichtige Rolle dabei spielen, wie gut Bäume heutigen Schädlingen widerstehen – etwa den Borkenkäfern. „Wie schnell sich ein Baum an neue Herausforderungen wie den Angriff von Borkenkäfern anpassen kann, hängt auch davon ab, welche Veränderungen im Stoffwechsel bereits im Laufe der Evolution stattgefunden haben. Diese Vorgeschichte bestimmt mit, welche neuen Eigenschaften überhaupt entstehen können – und damit, wie gut sich die Pflanze anpasst“, erklärt Jonathan Gershenzon, Leiter der Abteilung Biochemie.

Die Forschenden wollen nun genauer untersuchen, wie die Evolution von Diterpenen und Diterpensynthasen Einfluss auf die Fähigkeit von Bäumen genommen hat, sich heute sowohl gegen Borkenkäfer als auch gegen die mit ihnen assoziierten Pilzarten zu verteidigen. Vermutlich kommt es gerade auf die Kombination verschiedener Stoffe an, um die effektivste Abwehr gegen die doppelte Bedrohung von Käfer und Pilz zu erreichen.

Max-Planck-Institut für chemische Ökologie


Originalpublikation:

O’Donnell, A. J., Pellatz, P. J., Nichols, C. S., Gershenzon, J., Peters, R. J., Schmidt, A. (2025). Favorable epistasis in ancestral diterpene synthases promoted convergent evolution of a resin acid precursor in conifers. Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America (122), e2510962122, doi: 10.1073/pnas.2510962122, https://doi.org/10.1073/pnas.2510962122

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