Das Spinnenexperiment der US-amerikanischen Raumfahrtagentur Nasa ist fast ein Lehrstück über die frustrierenden Fehlschläge und glücklichen Zufälle, die manchmal zu unerwarteten Erkenntnissen in der Forschung führen. Die Fragestellung war relativ einfach: Auf der Erde bauen Spinnen asymmetrische Netze, deren Zentrum zum oberen Rand hin verschoben ist. Dort sitzen die Spinnen in Ruhestellung mit dem Kopf nach unten, weil sie in Richtung der Schwerkraft schneller zu ihrer frisch gefangenen Beute gelangen können.
Aber was machen die Achtbeiner in der Schwerelosigkeit? Die Nasa wollte bereits 2008 mit diesem Experiment Mittelschulen in den USA begeistern. Aber trotz einfacher Fragestellungen war die Planung und Durchführung des Experiments im Weltall äusserst anspruchsvoll. Was zu einigen Missgeschicken führte.
Damals flogen zwei Individuen verschiedener Spinnenarten als «Arachnauten» zur ISS, die eine (Metepeira labyrinthea) als «Hauptdarstellerin» im Experimentierkasten, die andere (Larinioides patagiatus) als Reserve, falls die erste nicht überleben sollte.
Die Reservespinne flüchtete
Doch es gelang der Reservespinne, aus ihrer Aufbewahrungskammer auszubrechen und in die Experimentierkammer zu gelangen. Öffnen liess sich die Kammer aus Sicherheitsgründen nicht und so liess sich die überzählige Spinne nicht wieder einfangen. So spannen die beiden Spinnen ihre etwas wirren Netze in der gleichen Kammer und störten sich dabei gegenseitig.
Damit nicht genug: Die Fliegen, die als Nahrung dabei waren, vermehrten sich stärker als erwartet. Ihre Larven krochen im Lauf der Zeit aus ihrem Zuchtbehälter am Boden des Kastens in die Experimentierkammer und bedeckten nach zwei Wochen grosse Teile der Frontscheibe. Nach einem Monat waren die Spinnen hinter all den Fliegenlarven gar nicht mehr zu sehen.
Ein Fehlschlag, der noch lange an Dr. Paula Cushing vom Denver Museum of Nature & Science nagte, die an der Planung des Spinnenexperiments beteiligt war. Als sich 2011 erneut die Gelegenheit für ein ähnliches Experiment an Bord der ISS ergab, zog die Forscherin auch PD Dr. Samuel Zschokke von der Universität Basel bei, um den neuen Versuch vorzubereiten und auszuwerten. Diesmal startete das Experiment mit vier Spinnen der gleichen Art (Trichonephila clavipes): Zwei flogen zur ISS, zwei blieben auf der Erde und wurden unter identischen Bedingungen wie ihre im Weltraum reisenden Artgenossinnen gehalten und beobachtet – ausser dass sie der irdischen Schwerkraft ausgesetzt waren.
Die Weibchen waren Männchen
Geplant war eigentlich, vier Weibchen zu verwenden. Doch passierte ein erneutes Malheur, weil die Spinnen als Jungtiere für das Experiment ausgewählt werden mussten und sich bei juvenilen Tieren das Geschlecht nur schwer feststellen lässt: Zwei der Spinnen stellten sich im Lauf des Experiments als Männchen heraus, die sich ausgewachsen von den Weibchen dieser Spinnenart in Körperbau und Grösse deutlich unterscheiden. Doch Glück im Unglück – eines der Männchen war an Bord der Raumstation, eines auf der Erde.
Die Achtbeiner spannen ihre Netze, bauten sie wieder ab, spannen neue. Alle fünf Minuten machten drei Kameras pro Kasten Aufnahmen. Zschokke, Cushing und Stefanie Countryman vom Forschungszentrum BioServe Space Technology der University of Colorado, das das Design und den Start der für das Experiment nötigen Infrastruktur verantwortete, werteten die Symmetrie von 100 Spinnennetzen sowie die Orientierung der Spinne im Netz anhand von rund 14’500 Bildern aus.
Dabei stellte sich heraus, dass die in Schwerelosigkeit gebauten Netze tatsächlich symmetrischer waren als die auf der Erde gesponnenen. Ihr Zentrum lag also stärker zur Mitte hin, und die Spinne hatte den Kopf nicht immer nach unten gerichtet. Allerdings bemerkten die Forschenden, dass es einen Unterschied machte, ob die Spinnen ihre Netze im Licht der Lampen oder bei Dunkelheit bauten. Im Lampenschein gebaute Netze an Bord der ISS waren ähnlich asymmetrisch wie die irdischen Netze.
Licht als Reservesystem beim Netzbau
«Dass Licht für die Orientierung der Spinnen im Raum eine Rolle spielt, hätten wir nicht vermutet», sagt Zschokke, der das Spinnenexperiment analysiert und die Ergebnisse mit seinen Kolleginnen im Fachblatt «Science of Nature» veröffentlicht hat. «Wir hatten grosses Glück, dass die Lampen oben an der Kammer angebracht waren und nicht auf verschiedenen Seiten. Sonst hätten wir den Effekt des Lichts auf die Symmetrie der Netze in Schwerelosigkeit nicht feststellen können.»
Die Analyse der Aufnahmen zeigte auch, dass die Spinnen in willkürlicher Orientierung im Netz ruhten, wenn die Lichter ausgeschaltet waren, aber sich im Hellen von den Lichtern weg orientierten – also nach unten. Demnach nutzen Spinnen Licht als zusätzliche Orientierungshilfe, wenn die Schwerkraft fehlt. Da Spinnen ihre Netze auch im Dunkeln bauen und Beute auch ohne Licht fangen können, ging man dagegen bisher davon aus, dass Licht für die Orientierung der Tiere keine Rolle spielt.
«Dass Spinnen ein solches Reservesystem zur Orientierung haben, scheint überraschend, da sie im Laufe ihrer Evolution ja nie einer Umwelt ohne Schwerkraft ausgesetzt waren», so Zschokke. Allerdings könne der Lagesinn der Spinnen während des Netzbaus durcheinandergeraten: Das dafür zuständige Organ registriert die relative Position des vorderen Körperteils zum hinteren. Während der Konstruktion des Netzes sind die beiden Körperteile jedoch in ständiger Bewegung, sodass eine zusätzliche Orientierungshilfe anhand der Richtung des Lichts besonders während des Netzbaus nützlich sei.
Universität Basel
Originalpublikation:
Samuel Zschokke, Stefanie Countryman, Paula E. Cushing: Spiders in space – orb-web-related behavior in zero gravity, Science of Nature (2020), doi: 10.1007/s00114-020-01708-8