VBIO

Citizen Science

Der Begriff Citizen Science (Bürgerwissenschaft) bezeichnet eine Form offener Wissenschaft, deren Forschungsprojekte unter Einbeziehung von interessierten Laien durchgeführt werden. und das nicht nur in den Biowissenschaften. Die Bürgerwissenschaftler melden Beobachtungen, führen Messungen und Kartierungen durch, fotografieren und dokumentieren oder werten Daten aus.

Die erste organisierte Aktion von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in Zusammenarbeit mit Bürgern fand Weihnachten im Jahr 1900 in den USA statt. Der „Christmas Bird Count“ wird seitdem jedes Jahr durchgeführt wird, um den Bestand bestimmter Vogelarten zu erfassen.

Durch digitale Technologien sind mittlerweile zusätzliche Möglichkeiten der ortsunabhängigen Teilhabe entstanden. Über spezielle Webseiten können Daten online eingegeben und ausgewertet werden. Auch mittels Smartphone-Apps können Daten erhoben und weitergeleitet werden. Mittlerweile gibt es verschiedene Portale, auf denen Interessenten sich über passende Einzelprojekte informieren können. Ein Blick in die Portale zeigt: Es gibt viele verschiedene Arten und Ebenen, Bürgerinnen und Bürger am Forschungsprozess zu beteiligen, die jeweils mit unterschiedlichem Aufwand und unterschiedlicher Verbindlichkeit verbunden sind. Einen Überblick über wesentliche Elemente von Citizen Science geben die "Zehn Prinzipien" der "European Citizen Science Association (ECSA)", die die Akteure auf europäischer Ebene vernetzt.

Beispiele für Citizen Science Projekte in Deutschland sind naturgucker.de, der Mückenatlas, oder das seit 2005 durchgeführte Projekt „Tagfalter-Monitoring Deutschland“ mit ca. 500 Beteiligten. Ein Überblick über in Deutschland laufender Projekte findet sich auf der Plattform „Bürger schaffen Wissen“ und bei citizenscience:germany.

Mitunter werden Bürgerwissenschaftler selbst zu Experten und können sich an der Planung von Forschungsprojekten beteiligen. Einige Verfechter von Citizen Science leiten daraus die Forderung ab, Bürgerwissenschaftler auch stärker an Entscheidungen jenseits von einzelnen Projekten zu beteiligen.

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung unterstützt Citizen Science und hat 2016 ein Förderprogramm aufgelegt. Außerdem unterstützte das BMBF das Projekt "GEWISS", einen strategischen Klärungsprozess in den Akteure aus Forschung, Bildung, Politik und organisierter Zivilgesellschaft eingebunden waren. Ein Ergebnis dieses Agenda-Prozesses ist die im Frühjahr 2017 vorgestellte Citizen Science-Strategie 2020 für Deutschland.

Im April 2022 wurde die Citizen-Science-Strategie 2030 für Deutschland der Öffentlichkeit vor gestellt. Diese setzt sich mit den größten Herausforderungen und Potenzialen von Citizen Science in den nächsten zehn Jahren auseinander. Sie beinhaltet 94 konkrete Handlungsempfehlungen, um Bürgerforschung in Deutschland weiterzuentwickeln und dauerhaft in Wissenschaft, Gesellschaft und Politik zu verankern. Die Citizen-Science-Strategie 2030 Deutschland wurde in einem zweijährigen partizipativen Prozess mit mehr als 200 Akteur:innen aus 136 Organisationen erarbeitet. Der Prozess wurde zu großen Teilen durch die Deutsche Bundesstiftung Umwelt (DBU) und das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert.


Der Standpunkt des VBIO

Die Einbeziehung von Bürgerwissenschaftlerinnen und Bürgerwissenschaftlern bietet große Chancen und kann den wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritt beschleunigen. Gleichwohl plädiert der VBIO für eine differenzierte Sichtweise.

Diese beginnt schon mit den Begrifflichkeiten und Zielen: Individuelle Begeisterung und Wissensvermehrung sind essentielle Motivatoren bzw. Teilziele, tragen aber nicht zwangsläufig zum Hauptziel des wissenschaftlichen Erkenntnisgewinns bei.

Innerhalb der Biowissenschaften gibt es biowissenschaftliche Fächer, die von Citizen Science sehr profitieren können (z. B. Freilandforschung, Geschichte der Biologie und Biochemie), während es in anderen Fächern schon aus regulatorischen oder sicherheitsrelevanten Gründen wenig Spielraum für Citizen Science gibt.

Problematisch ist die Stellung der Freiberuflichen Biologen an der Schnittstelle von Haupt- und Ehrenamt. Gerade in den Bereichen der Biologie, die schon heute in erheblichem Maße von Wissen profitieren, das außerhalb des Wissenschaftssektors generiert wird (Beispiel: Monitoring), sind die Übergänge zwischen Haupt und Ehrenamt fließend. Hier wird zum Teil mit Werkverträgen oder ähnlichem für Citizen Scientists gearbeitet. Dies kann die an dieser Schnittstelle tätigen freiberuflichen Biologen, die von ihrer Arbeit leben müssen, in Schwierigkeiten bringen.

Der VBIO ist der Überzeugung, dass auch der gelungenste Citizen Science-Ansatz, der einen Großteil der Bevölkerung mobilisiert nicht ohne die Einbeziehung gut ausgebildete, professioneller und damit auch bezahlter Biowissenschaftler auskommen wird. Die Rolle der Wissenschaftler läge dann eher im Bereich von Koordination und Qualitätssicherung als in der Durchführung

Auch in diesem Zusammenhang gilt, dass der Staat seinen nationalen und internationalen Verpflichtungen nur nachkommen kann, wenn er ausreichend Ressourcen für eine qualitativ hochwertige Bearbeitung zur Verfügung stellt.

Vor diesem Hintergrund plädiert der VBIO dafür, neben den Chancen auch die Grenzen des Citizen Science Ansatzes klar zu benennen um zu hohen Erwartungen vorzubeugen.

Der VBIO sieht weder Notwendigkeit noch Mehrwert, Bürgerwissenschaftler über Einzelprojekte hinaus beispielsweise in Entscheidungen über Förderprogramme und –strategien einzubinden und kann sich entsprechenden Forderungen nicht anschließen.

Die Stellungnahme des VBIO zum Grünbuch Citizen Science Strategie 2020 für Deutschland finden Sie hier


Weitere Informationen

Bestandsaufnahme zu Citizen Science:
Hecker, S., Haklay, M., Bowser, A., Makuch, Z., Vogel, J. & Bonn, A. (2018) Citizen Science – Innovation in Open Science, Society and Policy.UCL Press, London. (Open Access)

Bonn, A., Brink, W., Hecker, S., Herrmann, T. M., Liedtke, C., Premke-Kraus, M., Voigt-Heucke S., von Gönner, J., Altmann, C., Bauhus, W., Bengtsson, L., Brandt, M., Bruckermann, T., Büermann, A., Dietrich, P., Dörler, D., Eich-Brod, R., Eichinger, M., Ferschinger, L., Freyberg, L., Grützner, A., Hammel, G., Heigl, F., Heyen, N. B., Hölker, F., Johannsen, C., Kiefer, S., Klan, F., Kluß, T., Kluttig, T., Knapp, V., Knobloch, J., Koop, M., Lorke, J., Munke, M., Mortega, K. G., Pathe, C., Richter, A., Schumann, A., Soßdorf, A., Stämpfli, T., Sturm, U., Thiel, C., Tönsmann, S., van den Bogaert, V., Valentin, A., Wagenknecht, K., Wegener, R., Woll, S. (2021). Weißbuch Citizen-Science-Strategie 2030 für Deutschland. Helmholtz-Gemeinschaft, Leibniz-Gemeinschaft, Universitäten und außeruniversitäre Einrichtungen, Leipzig, Berlin. https://doi.org/10.31235/osf.io/ew4uk.