Biowissenschaftliche Perspektive
Prof. Dr. Thomas Korff,Herz-Kreislauf-Physiologe an der Universität Heidelberg und Sprecher des AK Tierversuche im VBIO, gab zunächst eine Einführung zum Thema wissenschaftliche Tierversuche. Diese werden benötigt um Forschungshypothesen zu prüfen (Grundlagenforschung), Wirkstoffe gegen Krankheiten zu entwickeln (klinische Forschung) und zur Verbesserung der Sicherheit von Verbrauchern bzw. der Bevölkerung (Risikoabschätzung). Mit Tierversuchen assoziiert sind daher so unterschiedliche Produkte wie Medikamente, Diagnostika, Lebensmittel, Haushaltschemikalien oder Werkstoffe. Etwa 39% der Versuchstiere werden für wissenschaftliche Tierversuche verwendet, 11% für Toxikologie oder Qualitätskontrolle und 2% zu Ausbildungszwecken. Etwa 29% aller Versuchstiere werden für wissenschaftliche Zwecke getötet – was selbst aber keinen Tierversuch darstellt.
Der Schutz von Versuchstieren ist dabei von der Ebene der Einrichtung bis hin zur europäischen Ebene fein ausdifferenziert. Als Tierversuch gilt dabei nach §7 des Tierschutzgesetzes versuchsbedingte Eingriffe oder Behandlungen (incl. Erbgutveränderungen), wenn sie mit Schmerzen, Leiden oder Schäden für diese Tiere oder deren Nachkommen verbunden sein können. Tierversuche sind (nach Ausschöpfung alternativer Methoden) rechtlich nur dann erlaubt und ethisch begründbar, wenn sie mit der Intention verbunden sind, das unmittelbare, mittelbare oder zukünftige menschliche Wohlergehen zu sichern bzw. zu verbessern.
Alternativen zu Tierversuchen werden zunehmend entwickelt, sie haben aber genauso ihre Vorteile und Limitierungen wie Tierversuche selbst. Hoffnungen, dass sich die Tierzahlen durch Einrichtungen von sogenannten 3-R-Plattformen (3R: „reduce“, „refine“, „replace“) reduzieren ließen, haben sich bisher nicht erfüllt.
Ethische Perspektive
Prof. Dr. Dr. h.c. Ursula Wolf, Seniorprofessorin für Philosophie an der Universität Mannheim machte in ihren Ausführungen sehr deutlich, dass das Staatsziel Tierschutz im Grundgesetz an die Begründungen der Tiernutzung starke Anforderungen stellt. Die Absicht eines ethischen Tierschutzes wird allerdings durch eine Reihe von Klauseln unterlaufen, die die Zufügung von Leiden unter den Vorbehalt eines auf den Menschen zentrierten Rechtsbegriffs stellen. Das ist allerdings problematisch, wie Prof. Wolf unter anderem anhand der folgenden Punkte erläutert
Das Tierschutzgesetz fordert die „Unerlässlichkeit“ (§ 7 Abs. 2) von Tierversuchen und deren „ethische Vertretbarkeit“ (§ 7 Abs. 3). Diese Forderungen könnte man aber ebenso in anderen Fällen der Tiernutzung erheben. Starke Interpretationen zugunsten der Tiere besagen dann, dass wir Tieren nicht generell einen schwächeren Status zuschreiben dürfen, sondern ihr Wohl und Leben grundsätzlich voll zählt und in jedem Einzelfall zwischen menschlichem Zweck (z. B. Ernährung, Freizeit) und dem Wohl des genutzten Tiers abgewogen werden muss.
Wenn Tiere um ihrer selbst willen zählen sollen, müssen sie ebenso wie Menschen einen „Anspruch auf Rücksicht“ (also ein „Recht“) haben. Was ein Recht ist, ist klar im juristischen Bereich. Es ist aber nicht praktikabel, juristische Rechte für alle Tiere in allen Hinsichten einzuführen, in denen Rücksicht auf sie angebracht ist. Gemeint sein kann also nur ein moralisches Recht.
Im Fall der Tierversuche unterwerfen wir Tiere einer Nutzung im Rahmen einer Strategie. Es geht damit weniger um ihre punktuellen Empfindungen, sondern um ihr Wohlbefinden im Ganzen. Tierversuche wären demnach nur dann vertretbar, wenn sie kein Leiden über den ganzen Lebenszeitraum des Tieres bedeuten. Dann fallen geringfügige und kurz dauernde einzelne negative Erfahrungen wenig ins Gewicht. Andererseits fällt stark ins Gewicht, dass Versuchstiere grundsätzlich an ihrem Wohl gehindert sind, da sie normalerweise nicht genügend Betätigungsmöglichkeiten und soziale Kontakte haben, wenngleich sicher meist ein besseres Leben als Tiere in der Massentierhaltung.
Das Aufdecken der begrifflichen Unklarheiten und Inkonsistenzen in den alltäglichen und rechtlichen Annahmen fasst Prof. Wolf dahingehend zusammen, dass sich nur dort die Verletzung einer moralischen Norm rechtfertigen lässt, wo dem betroffenen Tier keine Beeinträchtigung seines Wohls geschieht. Das wäre bei Tierversuchen nur dort der Fall, wo die Versuche selbst nur minimales und für das Wohl des Tieres im Ganzen unerhebliches Leiden verursachen. Aber auch dann bestehe das Problem, dass die Versuchstiere unter Bedingungen leben müssen, die kaum genug Abwechslung und Lebenstätigkeiten ermöglichen (auch wenn sie sicher besser als die in der Massentierhaltung sind).
Im Dialog
In der von Prof. Dr. Gero Hilken (Zoologe an der Universität Duisburg-Essen und Leiter und Tierschutzbeauftragter des Zentralen Tierlaboratoriums am Uniklinikum Essen) moderierten Diskussion wurden noch einmal die skizzierten Zielkonflikte, Unklarheiten und Inkonsistenzen deutlich. Sehr treffend zum Ausdruck gebracht wurde dies in einer Frage aus den Reihen der Zuhörer/-innen: „Warum tun wir alles, um Ratten und Mäuse aus Haus und Garten zu vertreiben und töten diese sogar, fordern aber das Ende von Tierversuchen an Labormäusen und –ratten?“ Darauf gibt es keine einfache Antwort.
Das VBIO-Dialogforum machte deutlich, dass wir den Blick weiten müssen, wenn wir das Wohlergehen von Tieren unter ethischen Aspekten in den Blick nehmen. Dabei sollten wir uns als Wissenschaftler, aber auch als Gesellschaft im Klaren sein über den weiten Weg von der ethischen Erkenntnis hin zur Umsetzung in Gesetze, Verfahren und Versuchsansätze. Da wird es kaum gänzlich ohne Zielkonflikte und innere Widersprüche gehen. Trotzdem – so das Fazit der Diskussion, muss weiterhin das Möglichste getan werden, um im Sinne der „3 R“-Strategie Tierversuche auf ein Minimum zu reduzieren und die Bedingungen für die Tiere im Labor erträglich zu gestalten.
(VBIO)