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Neue Erkenntnisse zur Entstehung von Blutkrebs

eine Hand hält ein Röhrchen mit Blut
Neue Erkenntnisse zur Entstehung von Blutkrebs, Foto UM/Canva

Blutkrebserkrankungen wie die Leukämie werden durch genetische Veränderungen in den blutbildenden Stammzellen des Knochenmarks verursacht. Forschende der Universitätsmedizin Mainz haben jetzt gezeigt, wie chronische Entzündungen das Knochenmark bei Betroffenen mit altersbedingten Blutstammzellmutationen bereits in sehr frühen Krankheitsstadien verändern und so die Krankheitsentwicklung vorantreiben können. Sie fanden heraus, dass die Interaktion entzündlicher Gewebestammzellen und bestimmter Immunzellen sich selbst verstärkende Entzündungsprozesse in der Mikroumgebung des Knochenmarks hervorruft, die die normale Blutbildung beeinträchtigen. 

Das Knochenmark eines Menschen produziert in jeder Sekunde mehrere Millionen neuer Blut- und Immunzellen. Diese kontinuierliche Zellerneuerung beruht auf einem Zusammenspiel zwischen blutbildenden (hämatopoetischen) Stammzellen, kurz HSC, stützenden Bindegewebszellen (Stromazellen) und Molekülen oder Zellen, die das Immunsystem steuern (Immunregulatoren). Für die Bildung von Blutzellen unerlässlich ist die sogenannte Mikroumgebung des Knochenmarks, auch Knochenmark-Mikromilieu genannt. Sie ermöglicht den Austausch von Signalen zwischen den Zellen und beeinflusst damit das Wachstum sowohl gesunder als auch genetisch veränderter, potentiell krankheitsauslösender Zellen. Trotz ihrer großen Bedeutung für die Blutbildung ist bisher nur wenig darüber bekannt, auf welche Weise die Mikroumgebung des Knochenmarks zur Entstehung von Blutkrebserkrankungen beiträgt.

Ein internationales Forschungsteam unter der Leitung von Dr. Borhane Guezguez, Arbeitsgruppenleiter an der III. Medizinischen Klinik und Poliklinik der Universitätsmedizin Mainz und Dr. Judith Zaugg, Arbeitsgruppenleiterin am European Molecular Biology Laboratory (EMBL) Heidelberg und Professorin an der Universität Basel, hat jetzt entdeckt, dass chronische Entzündungsprozesse bei Menschen mit Blutstammzellmutationen bereits lange bevor Krankheitssymptome auftreten zu zellulären Veränderungen im Knochenmark-Mikromilieu führen können.

Die Wissenschaftler:innen untersuchten die Mikroumgebung des Knochenmarks von Proband:innen mit speziellen genetischen Veränderungen in den blutbildenden Stammzellen: Die klonale Hämatopoese von unbestimmtem Potenzial (clonal hematopoiesis of indeterminate potential, CHIP) kann im Zuge von Alterungsprozessen entstehen und tritt bei etwa 10 bis 20 Prozent der über 60-Jährigen und bei fast 30 Prozent der über 80-Jährigen auf. Obwohl CHIP asymptomatisch ist, erhöht sie das Risiko für Blutkrebs um das Zehnfache, verdoppelt das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und geht mit einer erhöhten Sterblichkeit einher. Als Myelodysplastische Syndrome (MDS) wird eine Gruppe von Erkrankungen bezeichnet, die durch eine gestörte Blutkörperchenproduktion und ein fortschreitendes Knochenmarkversagen gekennzeichnet sind. MDS treten ebenfalls vorrangig im höheren Lebensalter auf – bis zu 20 von 100.000 Menschen über 70 Jahre sind davon betroffen. In bis zu 30 Prozent der Fälle entwickeln sich MDS zu einer akuten myeloischen Leukämie (AML), einer aggressiven und oft tödlich verlaufenden Form von Blutkrebs.

Die Forschenden entdeckten in der Mikroumgebung des Knochenmarks der Proband:innen mit CHIP und MDS eine Gruppe entzündlicher Bindegewebsstammzellen (inflammatorische mesenchymale Stromazellen), die die normalen Bindegewebsstammzellen im Knochenmark verdrängten. Im Gegensatz zu gesunden Stromazellen setzten die entzündlichen Zellen große Mengen an Signalmolekülen frei, die bestimmte Immunzellen anlocken und aktivieren, die auf das körpereigene Protein Interferon, einen Bestandteil des Immunsystems, reagieren. Diese Interferon-responsiven T-Zellen verstärkten daraufhin die Entzündungsprozesse weiter und sorgten dafür, dass die normale Blutbildung gestört wurde. 

„Unsere Untersuchungen zeigen, dass die Mikroumgebung des Knochenmarks die frühesten Entwicklungsstadien von Blutkrebs aktiv beeinflusst“, betont Dr. Guezguez, Letztautor der jetzt veröffentlichten Studie. „Dank der Fortschritte bei der Genanalyse können wir Vorstufen von Blutkrebserkrankungen bereits Jahre vor dem Auftreten von Symptomen erkennen. Unsere neuen Erkenntnisse zu den Wechselwirkungen zwischen Stroma- und Immunzellen könnten daher die Grundlage für vorbeugende Therapien bei CHIP oder MDS bilden, die auf die Mikroumgebung des Knochenmarks ausgerichtet sind und das Fortschreiten der Krankheit verhindern, bevor eine Leukämie entsteht. Die eindeutigen molekularen Signaturen von inflammatorischen mesenchymalen Stromazellen und Interferon-responsiven T-Zellen könnten zudem als Biomarker dienen, um Risikopersonen lange vor dem Auftreten klinischer Symptome zu identifizieren“, erläutert Dr. Guezguez.

Nach Ansicht der Wissenschaftler:innen trägt die Forschungsarbeit zu einem besseren Verständnis des sogenannten Inflammaging bei, einer chronischen, leichtgradigen Entzündung, die vielen altersbedingten Erkrankungen zugrunde liegt – von Krebs bis hin zu Herz-Kreislauf- und Stoffwechselerkrankungen.

Universitätsmedizin Mainz


Originalpublikation:

Prummel, K.D., Woods, K., Kholmatov, M. et al. Inflammatory stromal and T cells mediate human bone marrow niche remodeling in clonal hematopoiesis and myelodysplasia. Nat Commun16, 10042 (2025). doi.org/10.1038/s41467-025-65803-y

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