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Ein neuer Weg zur Wirkstoffvielfalt

Eine Hand hält eine Petrischale
Bakterien sind eine Quelle molekularer „Fliessbänder“, die zur Produktion neuer Wirkstoffe genutzt und optimiert werden können. © Max-Planck-Institut für terrestrische Mikrobiologie/Foto: Chris Kettner

Viele wichtige Medikamente, wie Antibiotika und Krebsmedikamente, stammen von Naturstoffen aus Bakterien ab. Die bakteriellen Enzyme, die diese Wirkstoffe produzieren, gelten wegen ihres Baukastenprinzips als ideale Werkzeuge für die Synthetische Biologie. Durch Erforschung der Protein-Evolution fand ein Team um Prof. Dr. Helge Bode „Fusionsstellen“ nach dem Vorbild der Natur, die eine schnellere und gezieltere Wirkstoffentwicklung ermöglichen.

Industrielle Produktion folgt meist dem Fließbandprinzip: Bauteile werden systematisch zu komplexen Produkten zusammengesetzt, wobei verschiedene Fertigungsstraßen unterschiedliche Produkte ergeben. Doch die eigentlichen Erfinder dieses Prinzips sind nicht Menschen, sondern Bakterien. Nicht-ribosomale Peptid-Synthetasen (NRPS) sind bakterielle Enzyme, die, ähnlich wie Fertigungsstraßen, eine immense Vielfalt an Naturstoffen hervorbringen. Dadurch können sich die Bakterien in der Natur in den unterschiedlichsten Lebensräumen behaupten. Wir Menschen verdanken den riesigen Enzymkomplexen viele wichtige Medikamente, wie Antibiotika.

Vielfalt der Enzymvarianten erzeugt Vielfalt der Naturstoffe

Die große Auswahl an Produkten entsteht dabei weniger durch die Menge an Bausteinen, sondern durch die Vielfalt der NRPS selbst, die sich aus der Kombination ihrer Enzym-Untereinheiten ergibt. Jede NRPS-Variante kann jeweils andere Bausteine binden, aktivieren und miteinander verknüpfen.

Das Team um Prof. Dr. Helge Bode am Max-Planck-Institut für terrestrische Mikrobiologie in Marburg arbeitet daran, dieses Enzymsystem für die gezielte Wirkstoffproduktion im Labor zu nutzen. Dabei werden Teile der Enzyme und damit die funktionellen Eigenschaften ganzer Enzymkomplexe verändert (NRPS-Engineering), so dass Produkte mit neuen Eigenschaften entstehen.

Doch obwohl dieser Ansatz bereits seit einigen Jahren verfolgt wird, funktionierte er bisher noch nicht wie erhofft. „Wir sehen eine große Chance darin, von der Natur zu lernen. Wenn wir die natürlichen Prozesse verstehen, wissen wir, welche Bereiche des Enzyms sich am besten für das NRPS-Engineering eignen“, erklärt Dr. Kenan Bozhüyük, einer der Erstautoren der Studie, die im Wissenschaftsmagazin „Science“ erschien.

Rekombination nach dem Vorbild der Natur

Um herauszufinden, welche Untereinheiten des Enzyms besonders gut miteinander zusammenarbeiten, konzentrierte sich das Team auf die Frage: an welchen Positionen setzt die Evolution selbst an, um neue „Fliessbänder“ zusammenzubauen oder zu verändern, damit benötigte Wirkstoffe entstehen? Zusammen mit der Gruppe von Dr. Georg Hochberg (ebenfalls MPI) und Prof. Dr. Michael Groll (TU München) suchte das Team nach „Hotspots“ der natürlichen Rekombination. „Dazu haben wir mehrere zehntausend Enzyme bioinformatisch analysiert und die Analyse anschließend mit Laborexperimenten kombiniert, um die vorhergesagten Zielstellen zu überprüfen“, erklären die Erstautoren Leonard Präve und Dr. Carsten Kegler.

Tatsächlich fand das Team einen neuen „Fusionspunkt“ für die gezielte Herstellung funktionsfähiger NRPS-Hybride. Mit seiner Hilfe konnten schließlich sogar NRPS-Sequenzen aus völlig unterschiedlichen Organismen wie Bakterien und Pilzen miteinander kombiniert werden.
Ihr neues Wissen überprüften die Forschenden dann in einem medizinischen Zusammenhang: Sie konstruierten ein neues, pharmakologisch aktives Peptid. Die breit angelegte Studie zeigt das große Potenzial der bakteriellen Naturstoffe als Grundlage neuer Medikamente.

Das Ziel: Maßgeschneiderte Arzneimittel

„Im Bereich der synthetischen Biologie und der evolutionären Biochemie hat die Forschung in den letzten Jahren enorme Fortschritte gemacht,“ sagt Prof. Helge Bode, Direktor am Max-Planck-Institut in Marburg. „Der Vorteil unseres Ansatzes ist, dass wir evolutionäre Prozesse nutzen, die sich über Millionen von Jahren bewährt haben. Unsere von der Evolution inspirierten Fusionsstellen sind vielseitiger und haben höhere Erfolgsraten.“

Der Ansatz kombiniert die Synthetische Biologie mit Hochdurchsatzmethoden, die für das schnellere und damit kostengünstigere Auffinden biologisch aktiver Wirkstoffe notwendig sind. Damit wollen die Forschenden zukünftig maßgeschneiderte biologische Arzneimittel mit verbesserten therapeutischen Eigenschaften entwickeln – was angesichts der Zunahme an Arzneimittel-Resistenzen und Wirkstoff-Unverträglichkeiten immer wichtiger wird.

Max-Planck-Institut für terrestrische Mikrobiologie


Originalpublikation:

Bozhüyük, K.A.J.; Präve, L.; Kegler, C.; Schenk, L.; Kaiser, S.; Schelhas, C.; Shi, Y.-N.; Kuttenlochner, W.; Schreiber, M.; Kandler, J.; Alanjary, M.; Mohiuddin, T.M.; Groll, M.; Hochberg, G. K. A.; Bode, H. B.: Evolution inspired engineering of non-ribosomal peptide synthetases, Science Vol. 383 (iss.6689) (22 March 2024), DOI: 10.1126/science.adg4320