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Chemikalientests: Tierversuchsfreie Verfahren haben großes Potential

Bild von Romeo Scheidegger auf Pixabay

Um mögliche gesundheitliche Risiken von Chemikalien und Pestiziden zu prüfen, sind bislangin vielen Bereichen Tierversuche vorgeschrieben. Inzwischen gewinnen jedoch tierversuchsfreie Methoden zusehends an Bedeutung für die Risikobewertung. Sie haben das Potential, schneller, effektiver und aussagekräftiger als bisherige Verfahren zu sein. Neue Ansätze basieren unter anderem auf künstlicher Intelligenz, Zellkulturverfahren, Organoiden
(„Miniatur-Organe“), der Analyse von Erbinformation und des Zellstoffwechsels („Omics“-Verfahren) sowie hochgenauen und automatisierten biochemischen Auswertungen.

Ein internationales Forscherteam unter Beteiligung des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) sieht daher die Zeit für einen Richtungswechsel in der Chemikalienprüfung gekommen. Im Fachblatt „Environment International“ fordern die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die Weichen zu stellen und Vorschriften für Testverfahren zu ändern: „Nicht ob, sondern wie und wann!“ Gleichzeitig weisen sie darauf hin, dass die neuartigen Methoden und Ansätze (New Approach Methodologies, kurz NAMs) noch weiter erprobt und standardisiert werden müssen. Das Ziel müsse eine neue Epoche der Risikobewertung sein, die weitgehend ohne Tierversuche auskomme.

In einem heute üblichen typischen Tierversuch werden zum Beispiel Ratten steigenden Dosen einer chemischen Verbindung ausgesetzt. Auf diese Weise versucht man abzuschätzen, ob für den Menschen eine Gesundheitsgefahr besteht. Dieser Ansatz hat insgesamt zu einem hohen Schutzniveau beigetragen. Jedoch sind nicht alle Erkenntnisse aus den Tierversuchen gleichwertig auf den Menschen übertragbar, zudem stellen sie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vor ein ethisches Dilemma.

Eine große Herausforderung ist, dass in den derzeit gültigen EU-Verordnungen zu Bioziden, Chemikalien und Pflanzenschutzmitteln umfangreiche Tests vorgeschrieben sind. „Tierversuche dauern zu lange und sind zu teuer angesichts der schieren Zahl der Chemikalien, die gegenwärtig auf dem Markt sind oder in den nächsten Jahren kommen werden“, schreiben die Autorinnen und Autoren. Hinzu kommen neuartige Materialien, etwa aus der Nanotechnik, sowie die Risikobewertung von Chemikaliengemischen.

Die Bandbreite neuartiger, tierversuchsfreier Methoden ist in den vergangenen Jahren deutlich gewachsen. Sie bieten sich als Alternative an, um chemische Stoffe auf gesundheitliche Risiken zu prüfen. NAMs lassen sich in drei Bereiche gliedern: Computermodelle, die Prozesse im Organismus simulieren und Schadwirkungen anhand des molekularen Aufbaus eines Moleküls vorhersagen (in silico), chemische Testverfahren (in chemico) sowie Experimente an lebenden Zellen und Gewebearten (in vitro).

Wie reagiert der Organismus auf einen Stoff?
Studien an Zellen oder Organoiden zum Beispiel zeigen, welche Teile einer Zelle von einer chemischen Substanz angegriffen werden können und welche Prozesse dabei ablaufen. Omics-Verfahren wiederum verdeutlichen auf vielfältige Weise, wie eine Zelle auf eine chemische „Störung“ reagiert. Zugespitzt gesagt: Der Tierversuch weist das „Endergebnis“ nach, also Effekte auf den Organismus. NAMs aber vermögen im Idealfall, solche Prozesse vorherzusagen und die Zusammenhänge und Wirkmechanismen aufzuklären.

Um sich als Standardverfahren für die Risikobewertung von Chemikalien zu etablieren, müssen diese neuen „Werkzeuge“ solide und reproduzierbare Ergebnisse liefern. Dies ist notwendig, damit alle wesentlichen Eigenschaften einer Chemikalie untersucht werden. Das ist nicht immer einfach. Doch zeigt das Beispiel der tierversuchsfreien Tests für Kosmetika, dass zuverlässige Prüfungen auch mit innovativen Methoden möglich sind. Zugleich sollten die gesetzlichen Vorschriften für die Prüfung geändert werden, schlagen die Autorinnen und Autoren der Studie vor. Es gelte flexibler zu werden, um das Potential der Verfahren für eine „Risikobewertung der nächsten Generation“ ausschöpfen zu können. Verschiedene Forschungsvorhaben loten diese Möglichkeiten aus, darunter auch das europäische „PARC“-Projekt, an dem das BfR maßgeblich beteiligt ist.=

(Bundesinstitut für Risikobewertung - BfR)


Zur Originalveröffentlichung

Weitere Informationen auf der BfR-Website zur Risikobewertung von Chemikalien:
„PARC“: EU-Forschungspartnerschaft zur Risikobewertung von Chemikalien startet
Risikobewertung von Chemikalien unter REACH