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Allianz der Wissenschaftsorganisationen: Aufruf zu mehr Sachlichkeit in Krisensituationen

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Zur aktuellen Berichterstattung der BILD-Zeitung im Zusammenhang mit der Coronavirus-Pandemie erklärt die Allianz der Wissenschaftsorganisationen: „Die BILD-Zeitung setzt mit dem Beitrag „Die Lockdown-Macher“ vom 4. Dezember 2021 ihre im vergangenen Jahr begonnene einseitige Berichterstattung gegen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler fort, die ihre fachliche Expertise in den Dienst von Politik und Gesellschaft stellen, um der Coronavirus-Pandemie und ihren gerade in diesen Tagen dramatisch sichtbaren Folgen zu begegnen.

Dass und auf welche Weise hier einzelne Forscherinnen und Forscher zur Schau gestellt und persönlich für dringend erforderliche, aber unpopuläre Maßnahmen zur Pandemie-Bekämpfung verantwortlich gemacht werden („Experten-Trio schenkt uns Frust zum Fest“), ist diffamierend. Es kann überdies leicht zu einem Meinungsklima beitragen, das an anderer Stelle bereits dazu geführt hat, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sich physischer oder psychischer Gewalt ausgesetzt sahen oder mit ihr bedroht wurden.

Solche Formen der Auseinandersetzung sind aus Sicht der Allianz in keiner Weise akzeptabel und widersprechen den Grundregeln einer freien und offenen Gesellschaft sowie den Grundprinzipien unserer Demokratie. Gerade in Krisensituationen und einem ohnehin schon emotionalisierten Themenfeld ist Sachlichkeit in Diskussion und Berichterstattung in besonderer Weise geboten und weitaus zielführender.

Politik und Gesellschaft werden, nicht nur in pandemischen Krisen, substanziell durch die Erkenntnisse der Wissenschaft unterstützt. Daher müssen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ihre Expertise frei einbringen können.“

Die Allianz der Wissenschaftsorganisationen ist ein Zusammenschluss der bedeutendsten Wissen-schaftsorganisationen in Deutschland. Sie nimmt regelmäßig Stellung zu wichtigen Fragen der Wissenschaftspolitik. Der Wissenschaftsrat ist Mitglied der Allianz und hat für 2021 die Feder-führung übernommen. Weitere Mitglieder sind die Alexander von Humboldt-Stiftung, der Deutsche Akademische Austauschdienst, die Deutsche Forschungsgemeinschaft, die Fraunhofer-Gesellschaft, die Helmholtz-Gemeinschaft, die Hochschulrektorenkonferenz, die Leibniz-Gemein-schaft, die Max-Planck-Gesellschaft und die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina.


Zum gleichen Thema äußert sich auch die Humboldt-Universität:

Humboldt-Universität verurteilt mediale Verunglimpfung von Wissenschaftlern und hat Beschwerde beim Deutschen Presserat gegen BILD-Zeitung eingereicht

Das Präsidium der Humboldt-Universität zu Berlin verurteilt die Berichterstattung der BILD-Zeitung vom 4. Dezember 2021. Darin werden die drei Wissenschaftler Dirk Brockmann (HU), Viola Priesemann (MPI für Dynamik und Selbstorganisation) und Michael Meyer-Herrmann vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung als „Lockdown-Macher“ bezeichnet. Den Leser:innen wird auf diese Weise suggeriert, Wissenschaftler:innen seien verantwortlich für Entscheidungen der Politik.

Diese Art der journalistischen Darstellung ist in den Debatten um den Zusammenhalt der Gesellschaft in Pandemie-Zeiten gefährlich und verantwortungslos. Wissenschaftler:innen werden auf diese Weise markiert. Anhänger von Verschwörungstheorien erhalten dadurch mediale Unterstützung für ihre Ansicht, die Wissenschaft sei ein Treiber politischer Entscheidungen. Dies ist nicht der Fall.

Das Präsidium der Humboldt-Universität verwahrt sich vor solchen Falsch-Behauptungen und stellt sich schützend vor jedes seiner Mitglieder, das auf diese Weise verleumdet wird. Zudem erklärt sich das Präsidium der HU solidarisch mit allen, die sich gegen derartige bewusste Falschaussagen zur Wehr setzen. Diese Art der Berichterstattung ist weit entfernt von jeder journalistischen Redlichkeit. Die Humboldt-Universität hat daher Beschwerde beim Deutschen Presserat gegen diesen Beitrag der BILD-Zeitung und besonders dessen Überschrift eingelegt, mit der Dirk Brockmann als Professor der HU als „Lockdown-Macher“ bezeichnet wird.

Die HU steht für Freiheit und Toleranz auf der Grundlage gegenseitiger Achtung und Anerkennung. Das bedeutet, konkurrierende Ansichten auszuhalten und Differenzen in argumentativen Streit zu überführen. Unsere Universität ist und bleibt ein Ort des freien und unabhängigen Austauschs - und auch ein Ort der Politikberatung. Die Voraussetzung dafür ist, dass jedes Mitglied der HU ohne Angst wissenschaftliche Auffassungen äußern und zur Diskussion stellen kann. Wenn dies durch das öffentliche mediale Brandmarken von Wissenschaftler:innen nicht möglich ist, werden diese aus Angst davor zurückschrecken, die Politik nach bestem Wissen und Gewissen und zum Wohl der Gesellschaft zu beraten. Das bedeutet, dass Politik auf sich allein gestellt und ohne Expertise entscheidet.

Humboldt-Universität Berlin