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Wie die Gräser das Meer eroberten

Das heimische Seegras Zostera marina gehört zur aus rund 60 Arten bestehende Gruppe der Seegräser, die weltweit Bestandteil wichtiger Küstenökosysteme sind. © John Brew, CC BY 4.0

Vor etwa 140 Millionen Jahren gelang es einigen Landpflanzen, sich an ein Leben im Meer anzupassen. Diese heute aus rund 60 Arten bestehende Gruppe der Seegräser ist weltweit Bestandteil wichtiger Küstenökosysteme und liefert zahlreichen Meereslebewesen Nahrung und Lebensraum. Durch die intensive menschliche Nutzung der Küsten sind Seegraswiesen allerdings stark bedroht. Um sie künftig besser schützen zu können, arbeiten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an einem besseren Verständnis der grundlegenden Lebensprozesse dieser Pflanzen. Ein Forschungsteam um Professorin Birgit Classen aus der Abteilung für Pharmazeutische Biologie am Pharmazeutischen Institut der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) hat nun neue Erkenntnisse über die Mechanismen vorgelegt, mit denen sich die Seegräser im Laufe der Evolution an ihren Lebensraum angepasst haben.

Dazu konzentrierten sich die Kieler Forschenden, die am CAU-Forschungsschwerpunkt Kiel Life Science (KLS) mitwirken, auf die Zusammensetzung der pflanzlichen Zellwand, die als Abschirmung gegenüber der Umwelt eine zentrale Rolle in der Anpassung an das Leben unter marinen Bedingungen spielt. Am Beispiel des heimischen Seegrases Zostera marina konnten sie erstmals nachweisen, dass sogenannte Arabinogalaktan-Proteine (AGPs) in der Zellwand von Seegräsern vorkommen. Bei blühenden Landpflanzen spielen diese AGPs eine wichtige Rolle in verschiedenen Prozessen, unter anderem bei der Anpassung an ungünstige Lebensbedingungen. Mithilfe analytischer Methoden konnten nun wichtige Bausteine der AGPs in dem Seegras charakterisiert werden, unter anderem die Struktur ihrer Zuckerketten. Es zeigte sich, dass sich diese Kohlenhydratstrukturen der AGPs der Seegräser deutlich von denen der Landpflanzen unterscheiden. Trotz ähnlicher Grundstruktur finden sich in den Zuckerketten der Seegras-AGPs sehr starke Ladungen. Ihre Ergebnisse veröffentlichten die Kieler Forschenden gemeinsam mit australischen Kolleginnen und Kollegen von der La Trobe University in Melbourne kürzlich in der Fachzeitschrift Scientific Reports.

Barrierefunktion der Zellwandbestandteile in Anpassung an den marinen Lebensraum

Um die evolutionäre Anpassung der Seegräser im Vergleich mit heutigen Landpflanzen zu untersuchen, konzentrierte sich das Kieler Forschungsteam auf bestimmte Bausteine der AGPs: „Wir haben bei der strukturellen Analyse der AGP-Moleküle vor allem die stark geladenen Zuckeranteile in den Blick genommen“, erklärt Lukas Pfeifer, Doktorand in der Pharmazeutischen Biologie. Bei vielen marinen Organismen kann eine starke Ladung von Kohlenhydratbestandteilen beobachtet werden. Sie kommt meist durch Sulfatgruppen oder bestimmte Zuckersäuren, die sogenannten Uronsäuren, zustande. Diese Uronsäuren ermöglichen eine starke Bindung von Calcium-Ionen. Dass diese Bindung tatsächlich bei den Seegras-AGPs stattfindet, konnte das Kieler Forschungsteam mit verschiedenen Verfahren im Labor nachweisen. Eine hohe Calciumkonzentration nahe der Plasmamembran bietet einen direkten Schutz vor dem Eindringen von Natrium-Ionen aus dem umgebenden Salzwasser in die Zelle. Ergänzt wurden die analytischen Ergebnisse durch die Kooperation mit den Forschenden in Melbourne, die die bioinformatische Klassifizierung der Proteinanteile der AGPs sowie die Identifizierung der für die Biosynthese verantwortlichen Enzyme vornahmen.

„Insgesamt untermauern unser Nachweis von AGP-Molekülen in Seegräsern einerseits und die Aufklärung der Rolle ihrer geladenen Zuckeranteile andererseits die Hypothese, dass diese Zellwand-Bestandteile allgemein einen wichtigen Anteil an der Reaktion der Pflanzen auf Salzstress haben“, fasst Pfeifer zusammen. Die Forschungsarbeit liefert damit wichtige neue Erkenntnisse über die evolutionären Anpassungsmechanismen an den marinen Lebensraum. Letzteres ist auch in Hinsicht auf den menschengemachten Klimawandel bedeutsam, da die Anpassung von Pflanzen an Salz- beziehungsweise Trockenstress eine Herausforderung in unserer sich wandelnden Welt ist.

CAU


Originalpublikation:

Lukas Pfeifer, Thomas Shafee, Kim L. Johnson, Antony Bacic, Birgit Classen (2020): Arabinogalactan-proteins of Zostera marina L. contain unique glycan structures and provide insight into adaption processes to saline environments. Scientific Reports

https://doi.org/10.1038/s41598-020-65135-5