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Kreidezeitliche Stoffwechselwege beeinflussen globale Stoffkreisläufe der Gegenwart

Forminiferenart Uvigerina peregrina
Die abgebildete Forminiferenart Uvigerina peregrina wurde 2017 aus einer Probe aus der peruanischen Sauerstoffminimumzone gewonnen. © Jan Michels

Kieler Forschungsteam entdeckt bei der Suche nach den evolutionären Ursprüngen, dass Foraminiferen in Sauerstoffminimumzonen bei der Nitratatmung möglicherweise mit bakteriellen Symbionten kooperieren.

Im Zusammenhang mit dem Klimawandel ist das Phänomen sauerstoffarmer Gebiete im Ozean seit einigen Jahren in den Mittelpunkt der wissenschaftlichen Aufmerksamkeit gerückt. Diese als Sauerstoffminimumzonen (Englisch: Oxygen Minimum Zones, OMZ) bezeichneten Areale liegen zum Beispiel im Indischen Ozean oder vor der peruanischen Küste im Pazifik. Je nach Wassertiefe kommt dort wenig bis gar kein Sauerstoff vor. Ein transdisziplinäres Forschungsteam unter Beteiligung der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) und des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel konnte in einer neuen Studie bislang unbekannte Details über den Ursprung und die Anpassung bestimmter einzelliger Lebewesen an diese besonderen Umweltbedingungen und ihren Einfluss auf den marinen Stoffkreislauf sammeln: Da ihr Stoffwechsel sauerstoffunabhängig ablaufen kann, finden sich in den OMZ zahlreiche Foraminiferen-Arten. Das sind einzellige, gehäusebildende Kleinstlebewesen, die bereits über einen Zellkern verfügen und damit zu den sogenannten Eukaryoten zählen.

Ihre besondere Lebensweise beruht auf einer sogenannten anaeroben Atmung, der Nitratatmung, bei der im Wasser vorhandenes Nitrat in Abwesenheit von Sauerstoff in molekularen Stickstoff umgewandelt wird. Stickstoff, als grundlegender Nährstoff aller Lebewesen, ist infolge dieses Prozesses nicht mehr biologisch verfügbar und geht damit dem marinen Lebensraum verloren. Das Kieler Forschungsteam um Professorin Tal Dagan vom CAU-Institut für Allgemeine Mikrobiologie konnte auf Grundlage von Genomanalysen nun belegen, dass die in den meisten Foraminiferen heute noch erhaltene Fähigkeit dieser Nitratatmung bereits vor rund 100 Millionen Jahren in einem gemeinsamen Vorgängerorganismen entstanden sein muss. Bei ihren Analysen zeigte sich zudem, dass die Foraminiferen bei einem bestimmten Schritt im Prozess der auch als Denitrifizierung bezeichneten Nitratatmung wahrscheinlich auf bakterielle Unterstützung angewiesen sind und daher mit bestimmten Bakterienarten in einem symbiotischen Zusammenleben existieren. Ihre Ergebnisse veröffentlichten die Kieler Forschenden, die im Kiel Evolution Center (KEC) und dem Sonderforschungsbereich (SFB) 1182 „Entstehen und Funktionieren von Metaorganismen“ aktiv sind, gemeinsam mit internationalen Kolleginnen und Kollegen kürzlich in der renommierten Fachzeitschrift Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America (PNAS).

Fähigkeit zur Nitratatmung entstand vor Jahrmillionen

Das Forschungsteam untersuchte Sedimentproben aus der peruanischen OMZ und konnte darin rund zehn verschiedene im Meeresboden lebende Foraminiferen-Arten identifizieren. Von diesen Spezies ist aus früheren Forschungsarbeiten bekannt, dass sie fast alle zur Nitratatmung in der Lage sind. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler suchten daher in den Erbinformationen nach Genen, bei denen sie eine Beteiligung am Nitratstoffwechsel vermuteten. „Tatsächlich fanden sich in unseren Proben aus Peru zahlreiche dieser Gene. Da die gefundenen Spezies tatsächlich zur Nitratatmung in der Lage sind, konnten wir auf diese Weise einen ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Vorhandensein der Gene und ihrer Funktion erbringen“, betont Erstautor Dr. Christian Wöhle, ehemaliger Mitarbeiter in Dagans Arbeitsgruppe Genomische Mikrobiologie an der CAU.

In einem nächsten Schritt verfolgten die Forschenden zurück, wie lange der evolutionäre Erwerb der Fähigkeit zur Nitratatmung zurückliegen könnte. Dazu erstellten sie sogenannte phylogenetische Stammbäume, in denen sich die Verwandtschaftsverhältnisse verschiedener Arten darstellen und auf einen möglichen gemeinsamen Ursprung zurückführen lassen. „Auf diese Weise konnten wir für drei bestimmte Gruppen von Foraminiferen einen Zeitraum eingrenzen, vor dem allen früheren Arten die genetische Ausstattung zur Nitratatmung fehlt“, erklärt Wöhle. „So konnten wir rekonstruieren, dass sie wahrscheinlich auf einen gemeinsamen Vorläufer-Organismus zurückgehen, der in der Kreidezeit vor etwa 100 Millionen Jahren diese Fähigkeit entwickelt haben muss“, so Wöhle weiter.

Mikroben liefern fehlenden Stoffwechsel-Baustein

In einer Metagenom-Analyse des peruanischen Probenmaterials untersuchten die Forschenden das darin enthaltene Erbgut auch hinsichtlich möglicher symbiotischer Beziehungen zwischen den dort vorkommenden verschiedenen Foraminiferen- und Bakterienarten. Zunächst zeigte der Vergleich mit Foraminiferen-Arten von weit entfernten Standorten, dass sie unabhängig von der Geografie oft mit einer ähnlichen und stabilen Zusammensetzung von Bakterienarten vergesellschaftet sind. „Bei der Untersuchung fiel weiterhin auf, dass gerade die Vertreter einer bestimmten Gattung von Foraminiferen zusammen mit sogenannten Desulfobakterien auftreten. Diese Bakteriengattung wurde schon früher bei anderen Foraminiferen beobachtet", so Dr. Alexandra-Sophie Roy, ehemaliges Mitglied in der Arbeitsgruppe Genomische Mikrobiologie.

Ein weiterer Hinweis auf eine symbiotische Beziehung zwischen diesen Bakterien und den denitrifizierenden Foraminiferen fand sich in Form des sogenannten NapA-Gens. Es ist bei den Desulfobakterien für ein Enzym verantwortlich ist, das den Beginn des mehrstufigen Prozesses der Nitratatmung in Gang setzen kann. „Frühere Untersuchungen zeigten, dass Foraminiferen genau diesen ersten Schritt nicht selbst durchführen können. Daher erscheint es plausibel, dass die Bakterien diesen Teil der Nitratatmung übernehmen, indem sie zum Beispiel Nitrat in für ihre Wirte nutzbares Nitrit umwandeln, und daher eine stabile Symbiose mit den Foraminiferen eingehen“, erklärt Roy.

Rückschlüsse auf globale Stoffkreisläufe

„Unsere Arbeit zu den Ursprüngen und der Evolution der genetischen Grundlagen des Nitratstoffwechsels liefert uns wichtige neue Erkenntnisse, um auch in der Gegenwart die globalen biogeochemischen Stoffkreisläufe besser zu verstehen“, fasst Professorin Tal Dagan, KEC-Vorstandsmitglied und Projektleiterin im SFB 1182, zusammen. Besonders die mögliche Beteilung der Bakterien an der Nitratatmung im sauerstoffarmen Meer sei ein wichtiger, aber bislang wenig beachteter Bestandteil, der künftig weiter erforscht werden müsse. „Die immer schneller voranschreitenden globalen Umweltveränderungen erfordern ein besseres Verständnis des Umsatzes und der Verteilung von elementaren Stoffen im Ozean. Unsere neuen Ergebnisse tragen dazu bei, den Einfluss des Klimawandels auf vom Sauerstoffgehalt abhängige Nährstoffkreisläufe im Meer und die Auswirkungen auf marine Organismen besser zu verstehen“, ergänzt der ebenfalls an der Studie beteiligte Dr. Joachim Schönfeld vom GEOMAR.

CAU


Originalpublikation:

Christian Woehle, Alexandra-Sophie Roy, Nicolaas Glock, Jan Michels, Tanita Wein, Julia Weissenbach, Dennis Romero, Claas Hiebenthal, Stanislav N. Gorb, Joachim Schönfeld, Tal Dagan (2022): Denitrification in foraminifera has an ancient origin and is complemented by associated bacteria. PNAS 2022. https://doi.org/10.1073/pnas.2200198119