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Brustkrebs ist nachtaktiv

Bild von Claudio_Scott auf Pixabay

Brustkrebstumore bilden hauptsächlich dann Ableger, wenn die Betroffenen schlafen – dies zeigt eine neue Studie unter Leitung von ETH-Forschenden. Die Erkenntnisse könnten die Art, wie Krebs zukünftig diagnostiziert und behandelt wird, stark verändern.

Brustkrebs ist gemäss der Weltgesundheitsorganisation WHO eine der häufigsten Krebsformen: Pro Jahr erkranken weltweit rund 2,3 Millionen Personen daran. Erkennen Ärztinnen und Ärzte Brustkrebs früh genug, können sie ihn meist gut behandeln. Schwieriger wird es hingegen, wenn der Tumor bereits Ableger gebildet hat. Solche Metastasen entstehen, wenn sich zirkulierende Krebszellen aus dem ursprünglichen Tumor lösen, über die Blutgefässe durch den Körper wandern und in anderen Organen neue Tumore bilden.

Der Frage, wann Tumore metastasenbildende Zellen ausscheiden, hat die Krebsforschung bisher nicht besonders beachtet. Forschende gingen bisher davon aus, dass Tumore laufend solche Zellen ausstossen. Eine neue Studie von Forschenden der ETH Zürich, des Universitätsspitals Basel und der Universität Basel kommt nun aber zu einem überraschenden Ergebnis: zirkulierende Krebszellen, die später Metastasen bilden, entstehen hauptsächlich in den Schlafphasen der erkrankten Personen. Die Ergebnisse der Studie wurden soeben in der Fachzeitschrift Nature publiziert.

Menschliche Hormone steuern den Tumor

«Schläft die betroffene Person, erwacht der Tumor», fasst Studienleiter Nicola Aceto, Professor für Molekulare Onkologie an der ETH Zürich, zusammen. So stellten die Forschenden im Rahmen ihrer Untersuchungen an 30 Krebspatientinnen und in Mausmodellen fest, dass der ursprüngliche Tumor während der Schlafphasen des erkrankten Organismus aktiver ist und mehr zirkulierende Zellen absondert. Zellen, die in der Nacht vom Tumor abgehen, sind ausserdem teilungsfreudiger und haben daher auch ein grösseres Potenzial, Metastasen zu bilden, als diejenigen zirkulierenden Zellen, die sich tagsüber vom Tumor lösen.

«Unsere Forschung zeigt, dass das Entweichen von zirkulierenden Krebszellen aus dem ursprünglichen Tumor durch Hormone wie Melatonin gesteuert wird, die unseren Tag- und Nachtrhythmus be-stimmen», sagt Zoi Diamantopoulou, Erstautorin der Studie und Postdoktorandin an der ETH Zürich.

Therapien auf den Tumor ausrichten

Darüber hinaus zeigt die Studie auf, dass der Zeitpunkt, an dem Tumor- oder Blutproben für die Diag-nose entnommen werden, beeinflussen kann, was Onkolog:innen finden. Solche Zufallsfunde haben die Forschenden erst auf die richtige Fährte gebracht: «Manche meiner Kolleg:innen arbeiten frühmorgens oder spät am Abend; sie analysieren auch mal zu unüblichen Tageszeiten Blut», sagt Aceto schmunzelnd. Überrascht stellten die Wissenschaftler:innen fest, dass in Proben, die zu unterschiedlichen Tageszeiten entnommen wurden, sehr unterschiedliche Mengen an zirkulierenden Krebszellen vorhanden waren.

Ein weiterer Clou war die überraschend hohe Anzahl gefundener Krebszellen pro Bluteinheit bei Mäu-sen im Vergleich zu derjenigen bei Menschen. Der Grund: Mäuse sind nachtaktiv und schlafen tagsüber, wenn Wissenschaftler:innen die meisten Proben entnehmen.

«Aus unserer Sicht könnte es sinnvoll sein, dass das Gesundheitspersonal systematisch erfasst, wann es Biopsien durchgeführt hat», sagt Aceto. «Das würde dazu beitragen, dass die Daten wirklich vergleichbar sind.»

In einem nächsten Schritt möchten die Forschenden herausfinden, wie diese Erkenntnisse in bestehende Krebsbehandlungen integriert werden können, um die Therapien zu optimieren. Im Rahmen von weiteren Studien mit Patient:innen will ETH-Professor Nicola Aceto unter anderem der Frage nachgehen, ob sich verschiedene Krebsarten ähnlich verhalten wie Brustkrebs und ob existierende Therapien erfolgreicher sind, wenn man die Patient:innen zu anderen Uhrzeiten behandelt.

(Eidgenössische Technische Hochschule Zürich - ETH Zürich)


Originalpublikation:

Diamantopoulou, Z, et al.: The metastatic spread of breast cancer accelerates during sleep. Nature, 22. Juni 2022. DOI: 10.1038/s41586-022-04875-y

www.nature.com/articles/s41586-022-04875-y