In antarktischen Gewässern herrschen Bedingungen, bei denen Gegenstände und Lebewesen sogar unter Wasser gefrieren können. Für die Schifffahrt in Polarregionen ist dies ein großes Problem. Sogenanntes unterkühltes Wasser besitzt eine Temperatur kurz unter dem Gefrierpunkt. Aufgrund des hohen Salzgehalts hat Wasser in der Antarktis einen Gefrierpunkt von circa -1,9 °C, ist jedoch um etwa 0,05 °C kälter. Kleinste Störungen wie Sandkörner oder Oberflächen können dieses unterkühlte Wasser gefrieren lassen – mit teils fatalen Folgen für Lebewesen, die eingefroren nicht überleben können.
Dem widersetzt sich die antarktische Jakobsmuschel „Adamussium colbecki“, wie der Chemiker Konrad Meister weiß. Meister ist Professor an der Universität von Alaska und leitet eine Forschungsgruppe im Arbeitskreis von Mischa Bonn am Max-Planck-Institut für Polymerforschung. Bei einer Expedition in der Antarktis ist er von Tauchern auf die Muschel mit dem effizienten Eisschutzmechanismus aufmerksam gemacht worden. „Die/unsere Taucher haben berichtet, dass sie noch nie Eis auf der Oberfläche dieser heimischen Muschelart beobachtet haben“, sagt Meister.
Das internationale Forscherteam, bestehend aus Mitgliedern mehrerer Arbeitskreise des MPI-P sowie der Universität von Oregon, vermutet, dass die Muschelart im Laufe der Evolution eine spezielle Oberflächenstruktur entwickelt hat, die sie vor Vereisung schützt. Während Muscheln in wärmeren Regionen ungeordnete oder glatte Schalenoberflächen haben, besitzt die antarktische Muschelart eine mikroskopisch kleine, sehr regelmäßige Struktur.
Im Mikroskop zeigen sich kleine Grate, die strahlenförmig auf der Muschelschale verlaufen. Diese Erhöhungen sorgen dafür, dass Wasser vorzugsweise dort gefriert. Schreitet der Gefriervorgang weiter fort, bildet sich eine durchgehende Eisschicht, die nur auf den Graten aufliegt. Durch die geringe Haftung zwischen Eis und Muschelschale können kleinste Unterwasserströmungen das Eis daher wieder abspülen und die Muschel friert nicht ein.
Das Forscherteam hat neben Untersuchungen im Mikroskop auch Vereisungsexperimente mit der antarktischen Muschelart sowie mit einer Muschel aus wärmeren Regionen durchgeführt. Es zeigte sich, dass zur Entfernung der Eisschicht auf der antarktischen Muschel weit weniger Kraft benötigt wird als für die andere Muschelart.
„Es ist spannend, wie die Evolution dieser Muschel offensichtlich einen Vorteil verschafft hat“, so Konrad Meister. „Aus der Erkenntnis der eisfreien Muschelschale sind neue technologische Anwendungen nach dem Prinzip der Bionik denkbar. So könnten nicht vereisende Oberflächen beispielsweise für die polare Schifffahrt höchst interessant sein.“
Max-Planck-Institut für Polymerforschung
Originalpublikation:
Wong, W. S. Y.; Hauer, L.; Cziko, P. A.; Meister, K.: Cryofouling avoidance in the Antarctic scallop Adamussium colbecki. Communications Biology 5, 83 (2022)
https://dx.doi.org/10.1038/s42003-022-03023-6