Urwälder und naturnahe Wälder sind für die Biodiversität und den Klimaschutz in Europa von herausragender Bedeutung. Trotzdem werden sie immer seltener, obwohl die Europäischen Union (EU) deren Schutz als wichtiges Ziel in ihrer Biodiversitätsstrategie für 2030 vorsieht. Ein Kommentar in der Zeitschrift Science mahnt an, dass es in vielen EU-Ländern gibt es bisher keine verbindlichen Vorschriften zum Urwaldschutz gibt. Eine umfassende Kartierung von Urwäldern - und ein sofortiges Moratorium des Holzeinschlag in Regionen in denen Urwälder wahrscheinlichsten noch zu finden sind – ist dringend erforderlich, um den Verlust dieser einzigartigen Wälder zu stoppen.
„Diese Wälder sind entscheidend für den Erhalt der biologischen Vielfalt. Viele vom Aussterben bedrohte Arten sind von ihnen abhängig, darunter Luchse und Bären sowie eine Vielzahl von Käfern und Pilzen.“ erklärt Dr. Mikoláš, Hauptautor der Studie von der Czech University of Life Sciences in Prag. „Sie speichern große Mengen an Kohlenstoff und tragen daher zum Kampf gegen den Klimawandel bei. Trotz ihrer Bedeutung gelingt es uns derzeit nicht, dieses einzigartige Naturerbe adäquat zu schützen.”
Den Forschern zufolge mangelt es insbesondere auch an Wissen, wo sich die letzten Urwaldreste Europas befinden. „Wir brauchen dringend eine systematische Kartierung von naturnahen Wäldern in Europe, um die Grundlage für einen ausreichenden Schutz dieser Wälder zu schaffen.“ erläutert Koautor Prof. Tobias Kuemmerle von der Humboldt-Universität zu Berlin. „Ohne dies könnten diese Wälder abgeholzt werden, bevor sie identifiziert werden. Oft gehen Urwälder auch verloren, weil sie lokal noch weit verbreitet sind und ihre herausragende Bedeutung aus europäischer Sicht übersehen wird.“
Viele Urwaldreste liegen in schwer zugänglichen Gebieten und während ihre Abgeschiedenheit sie in der Vergangenheit oft schützte, hat sich dies in letzter Zeit geändert. „Die Bewirtschaftung dieser Wälder bringt Waldbesitzern einen höheren Gewinn als ihren Schutz.“ Fügt Dr. Miroslav Svoboda, Co-Autor von der Tschechischen Universität für Biowissenschaften, hinzu. „Die Holzpreise sind hoch und gleichzeitig werden die Eigentümer derzeit nicht ausreichend für den Erhalt ihrer Wälder entschädigt. Zudem ist klar, das es zukünftig scher oder unmöglich sein wird diese Wälder einzuschlagen. Zusammengenomen führt dies zu einem hohen Anreiz, alte, naturnahe Wälder jetzt abzuholzen, bevor sich die Regulierung verschärft.“ Die Autoren stellen fest, dass dies bereits in vielen Ländern geschieht, darunter Rumänien und Schweden.
„Die letzten verbliebenen Urwälder verschwinden vor unseren Augen, und das steht in starkem Widerspruch zu den gerade verabschiedeten Biodiversitätszielen der EU.“, erklärt Tobias Kuemmerle. „Aber wir haben alle Werkzeuge, um diesen Verlust jetzt zu stoppen.“ Zudem sollte die EU unverzüglich ein Moratorium für den Holzeinschlag in Gebieten verabschieden, in denen sich möglicherweise noch Urwälder befinden, damit diese nicht verschwinden, bevor sie überhaupt identifiziert wurden. Schließlich muss es eine verbindliche Verpflichtung geben, dass die Mitgliedstaaten den Schutz von Urwäldern in ihre nationalen Gesetzgebung aufnehmen.
„Es gibt erfolgreiche Beispiele“, sagt Co-Autor Prof. Gianluca Piovesan von der Universität Tuscia, Viterbo, Italien. „Achtzehn Länder in Europa arbeiten seit Jahren zusammen, um über 100.000 Hektar alte Buchenwälder streng zu schützen.“ Diese Bemühungen haben zur Schaffung eines der größten grenzüberschreitenden UNESCO-Weltkulturerbes geführt. „Es ist jetzt an der Zeit zu handeln“ schließt Dr. Mikoláš. „Wir müssen die notwendigen Schritte unternehmen, um dieses unersetzliche Naturerbe für zukünftige Generationen zu schützen.“
Humboldt-Universität zu Berlin
Originalpublikation:
Martin Mikoláš, Gianluca Piovesan, Anders Ahlström, Daniel C. Donato, Rhiannon Gloor, Jeňýk Hofmeister, William S. Keeton, Bart Muys, Francesco M. Sabatini, Miroslav Svoboda & Tobias Kuemmerle. 2023. Protect old-growth forests in Europe now. Science 380, 466-466(2023) DOI:10.1126/science.adh2303 ,https://www.science.org/doi/10.1126/science.adh2303