VBIO

Zukunft Biowissenschaften gemeinsam gestalten! 

Als VBIO sind wir überzeugt: Die Biowissenschaften liefern wichtige Beiträge, um Zukunftsprobleme zu erforschen und Lösungsansätze zu entwickeln.

Gezielte Vererbung des Geschlechts verbessert die Tierzucht

Eine neue Studie aus dem Labor von Bernhard Herrmann am Max-Planck-Institut für Molekulare Genetik zeigt, wie gezielte, nicht-mendelsche Vererbung Probleme der Nutztierzucht lösen könnte. 

Grafik: Durch gezielte Veränderung der Geschlechtschromosomenübertragung bei Mäusen erzeugte weiblich- oder männlich-dominante Nachkommen.

Durch gezielte Veränderung der Geschlechtschromosomenübertragung bei Mäusen erzeugte weiblich- oder männlich-dominante Nachkommen. (c) Herrmann Lab

Eine der fundamentalen Vererbungsregeln besagt, dass unterschiedliche Allele (Genkopien) eines Merkmals, wie z.B. dem Geschlecht, mit gleicher Häufigkeit vererbt werden. „Wir wissen jedoch schon lange, dass es Gene gibt, die ihre Vererbungsrate erhöhen können“, erklärt Bernhard Herrmann. Sein Labor am MPIMG widmet sich bereits seit Längerem einem dieser Elemente, einem Abschnitt auf Chromosom 17 der Maus, namens t-Haplotyp. In früheren Arbeiten konnten die Forschenden diesen Faktor bereits genetisch und molekular aufklären. In ihrer aktuellen Studie im Fachmagazin „Genetics“ zeigen sie nun, wie sich der t-Haplotyp nutzen lässt, um die Vererbung der Geschlechtschromosomen bei Mäusen zu beeinflussen. Dieser Ansatz, erwünschte genetische Eigenschaften bevorzugt zu vererben, könnte u.a. dabei helfen, die Nutztierzucht effizienter und tierfreundlicher zu gestalten.

Unfairer Wettbewerbsvorteil

Die Auswirkungen des t-Haplotyps zeigen sich erst während der Befruchtung von Eizellen. Dazu werden die Spermien davor aber in der Spermienentwicklung besonders vorbereitet. In der ersten Phase der Entwicklung produziert der t-Haplotyp mehrere genetische „Störfaktoren“, die sich auf alle Zellen verteilen und Spermien später daran hindern, sich effizient vorwärts zu bewegen. In der zweiten Phase werden die Chromosomensätze getrennt. Dadurch bekommt eine Hälfte der Spermien den t-Haplotyp, die andere Hälfte nicht. „Der t-Haplotyp hat nun einen Trick auf Lager, um sich einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen. Er produziert eine Art Gegengift namens Smok-Tcr, das die Effekte der Störfaktoren aufhebt – allerdings nur in Zellen, die den t-Haplotyp beinhalten“, erklärt Bernhard Herrmann. Die dadurch entstandenen t-Spermien sind beweglicher und können so leichter Eizellen befruchten.

Nutzung um das Geschlecht von Nachkommen zu beeinflussen

Die Aktivität von Smok-Tcr allein, ohne Störfaktor, beeinträchtigt aber ebenfalls die Beweglichkeit der Spermien, die das Gen beinhalten. Dieses Phänomen machten sich die Wissenschaftler*innen zunutze. Sie setzten gezielt Smok-Tcr-Elemente auf X- oder Y-Chromosomen ein. „Wir haben den Ansatz hier sozusagen umgedreht und nutzen Smok-Tcr, um die Vererbung des ungewünschten Geschlechtschromosoms zu hemmen, und gleichzeitig die Vererbung des gewünschten zu fördern. Liegt das Element auf einem Y-Chromosom, haben Spermien, die weibliche Nachkommen erzeugen, einen deutlichen Vorteil, und umgekehrt“, sagt Hermann Bauer, der Erstautor der Studie. „Durch gezielte Sequenzverbesserungen konnten wir den Effekt noch steigern. Befindet sich dieses optimierte Smok-Tcr beispielsweise auf dem Y-Chromosom erhalten wir fast 90% Weibchen“. Diese Methode ist vorteilhafter als bisherige Versuche, die Vererbung des Geschlechts zu beeinflussen.

Einsatz in der Tierzucht

Die angewandte Methode könnte neben Mäusen auch bei anderen Säugetieren in der Nutztierzucht, wie z.B. Rindern eingesetzt werden. Dort wird oft ein bestimmtes Geschlecht bevorzugt, je nachdem, ob die Milch- oder Fleischproduktion im Vordergrund steht. Oft werden Jungtiere, die nicht benötigt werden, einfach getötet. „Die Keulung von Tieren mit dem unerwünschten Geschlecht ist wirtschaftlich und tierethisch ein Problem. Unsere Methode bietet dafür einen Lösungsansatz“, sagt Bernhard Herrmann. Andere experimentelle Methoden das Geschlecht zu beeinflussen beeinträchtigen oft die Gesundheit und Fruchtbarkeit der Tiere und deren Nachkommen. Der Ansatz der Forschenden hat im Gegensatz dazu keine negativen Auswirkungen auf die Gesundheit der Tiere. Die Methode hat auch noch einen weiteren wichtigen Vorteil: “Die erwünschten Nachkommen für die Fleisch- oder Milchproduktion wären genetisch nicht verändert”, so Hermann Bauer.

Max-Planck-Institut für Molekulare Genetik


Originalpublikation:

Hermann Bauer, Frederic Koch, Bettina Lipkowitz, Jürgen Willert, Gaby Bläß, Manuela Scholze-Wittler, Sandra Währisch, Lars Wittler, Bernhard G Herrmann: Female- or Male-biased Offspring Generated by Targeted Distortion of Sex Chromosome Transmission in the Mouse. Genetics 2025, https://doi.org/10.1093/genetics/iyaf246

Gewebeschnitt aus dem Darm einer Maus

Eine internationale Studie hat eine bislang unbekannte Funktion des Darmnervensystems aufgedeckt. Wie das Team nun zeigt, reguliert das…

Weiterlesen
Grafik: Hyperthermophile Archaeen können ihre Ribosomen - die Proteinfabriken der Zellen - modifizieren, so dass sie auch bei extremen Temperaturen funktionieren

Wie hitzeliebende Archaeen ihre Zellmaschinen umbauen, um zu überleben und warum das sogar für Impfstoffe wichtig werden könnte. 

Weiterlesen
Der Vampirtintenfisch (Vampyroteuthis sp.) zählt zu den rätselhaftesten Tieren der Tiefsee.

Ein "genomisches lebendes Fossil" enthüllt, wie die Kraken und Tintenfische vor mehr als 300 Millionen Jahren entstanden sind 

Weiterlesen