Wenn die T-Zellen des Immunsystems miteinander kommunizieren, tun sie dies mithilfe von Zytokinen. Ein wichtiger Vertreter dieser Botenstoffe ist das Interferon-gamma. Das Protein aktiviert die Körperabwehr, um insbesondere gegen Viren und Bakterien vorzugehen. Damit es dabei nicht zu überschießenden Immunreaktionen kommt, hat der Körper im Laufe der Evolution verschiedene Strategien entwickelt. Eine besonders wichtige Taktik hat jetzt ein deutsch-französisches Team um Professor Thomas Blankenstein aufgedeckt, den Leiter der Arbeitsgruppe „Molekulare Immunologie und Gentherapie“ am Berliner Max Delbrück Center.
Mit nur vier Aminosäuren
Wie die Forschenden im Fachblatt „Nature Immunology“ berichten, kann sich Interferon-gamma über vier Aminosäuren an die extrazelluläre Matrix des Bindegewebes heften, die als Geflecht zwischen den einzelnen Zellen liegt und so den Kontakt zwischen ihnen vermittelt. Dieses Anheften verhindere, dass sich der Botenstoff im gesamten Körper ausbreite und dort gefährliche Immunreaktionen hervorrufe, sagt die Erstautorin der Publikation, Dr. Josephine Kemna. Fehlen die vier Aminosäuren, komme es zu schweren Störungen der Körperabwehr. Kemna forschte zwischen 2017 und 2022 im Team von Blankenstein und wechselte im vergangenen Jahr zu dem Berliner Biotech-Unternehmen T-knife Therapeutics, einer Ausgründung aus Blankensteins Arbeitsgruppe. Unterstützt wurde die Studie, mit der Kemna promoviert hat und an der auch die Charité – Universitätsmedizin Berlin maßgeblich beteiligt war, von der Wilhelm-Sander-Stiftung.
Angestoßen hatte die Arbeit eine Beobachtung, die Blankenstein und sein Team vor einigen Jahren gemacht hatten. „Wir hatten festgestellt, dass der molekulare Aufbau des Botenstoffs Interferon-gamma bei verschiedenen Spezies recht unterschiedlich ist“, sagt Dr. Thomas Kammertöns aus der Arbeitsgruppe von Blankenstein, der gemeinsam mit ihm die Doktorarbeit von Kemna betreut hat und ebenfalls Letztautor der Studie ist. „Ein kurzer Abschnitt aus vier Aminosäuren, das KRKR-Motiv, blieb jedoch über die gesamte Evolution der Wirbeltiere, also über 450 Millionen Jahre hinweg, in allen 50 von uns untersuchten Arten nahezu unverändert“, berichtet Kammertöns, der auch am Institut für Immunologie der Charité forscht. Das Team stellte daraufhin die Hypothese auf, dass das KRKR-Motiv für die Funktion des Zytokins eine wichtige Rolle spielen müsse ¬– und beschloss, diese im Detail herauszufinden.
Im Blut schnell sehr giftig
Dazu verwendeten die Forschenden zunächst von Kammertöns entwickelte Mausmodelle, in denen sie die Konzentration des gebildeten Botenstoffs regulieren konnten. „In diesen Modellen sahen wir bereits, dass Interferon-gamma recht schnell sehr giftig wird und die Tiere bei größeren Mengen im Blut innerhalb weniger Tage erkranken“, erklärt Kammertöns. Darüber hinaus konnten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mittels biochemischer Analysen beobachten, dass sich der Botenstoff nach der Sekretion durch die T-Zellen mit den vier positiv geladenen Aminosäuren an die negativ geladene extrazelluläre Matrix – und zwar an das Molekül Heparansulfat – bindet.
„Auf diese Weise wird Interferon-gamma lokal zurückgehalten und seine Ausbreitung im Körper verhindert“, sagt Kammertöns. Da sich die Struktur des Heparansulfats allerdings je nach Gewebe, Zelltyp oder sogar Zellzustand unterscheide, könne auch die Fähigkeit des Bindegewebes, Interferon-gamma zu binden, entsprechend variieren, ergänzt Professor Hugues Lortat-Jacob von der Universität Grenoble, der an der Studie ebenfalls beteiligt war.
In einem nächsten Schritt entwickelte die Gruppe das Modell so weiter, dass sie gezielt Interferon-Moleküle ohne KRKR-Motiv herstellte. Dazu hatte ein Team um Dr. Ralf Kühn, den Leiter der Arbeitsgruppe „Genom-Editierung & Krankheitsmodelle“ am Max Delbrück Center, bei Mäusen die vier Aminosäuren mithilfe der Genschere CRISPR-Cas9 aus dem Zytokin entfernt. „Lange Zeit hatte man geglaubt, dass der Botenstoff ohne diese Bindungsstelle gar nicht mehr funktionell ist“, sagt Kammertöns. „Dass dies nicht stimmt, mussten wir also zunächst beweisen.“ Tatsächlich konnte das Team zeigen, dass sich Interferon-gamma auch ohne das KRKR-Motiv wie gewohnt an seinen Rezeptor an der Oberfläche von Zellen heftet und damit seinen üblichen Aufgaben bei der Immunantwort nachkommt.
Hochpotente Abwehrmechanismen
Gewöhnlich werden Virusinfektionen so nach einiger Zeit bekämpft und überwunden. In Mäusen, denen die vier Aminosäuren im Interferon-gamma fehlten, war dies jedoch nicht der Fall. „Immunantworten, bei denen es nur zu sehr kurzen Entzündungsreaktionen kommt, wurden vom Immunsystem der Tiere noch reguliert“, berichtet Kammertöns. Die Menge an Interferon-gamma im Blut sei zwar zunächst angestiegen, recht schnell aber auch wieder gesunken. „Wenn die Mäuse jedoch mit LCM-Viren infiziert wurden, die eine Grippe-ähnliche Erkrankung, die Lymphozytäre Choriomeningitis, hervorrufen und das Immunsystem über einen längeren Zeitraum hinweg beschäftigen, wurden die genveränderten Tiere aufgrund der hohen Interferon-Konzentrationen im Blut schnell krank.“
„Aus meiner Sicht stellt die Arbeit klar, dass unser Immunsystem hochpotente Mechanismen entwickelt hat, um die eigene Immunabwehr in Schach zu halten“, sagt die Erstautorin der Studie, Josephine Kemna. Greifen diese Mechanismen nicht, könne es sein, dass das Immunsystem dem eigenen Organismus schade, weil bestimmte Moleküle sich systemisch ausbreiten und dies toxisch wirke. „Der von uns vorgestellte Mechanismus zeigt, dass die Evolution dafür gesorgt hat, dass die toxischen Moleküle in der Regel nur dort wirken, wo sie gebraucht werden – nämlich da, wo die T-Zelle eine Virus-infizierte Zelle erkennt.“
Schutz vor tödlichen Infektionen
„Die Studie hat grundlegende Bedeutung für die Immunologie und für das Verständnis vieler entzündlicher Erkrankungen im Menschen“, ergänzt Kammertöns. Da die extrazelluläre Matrix bei Frauen und Männern unterschiedlich aufgebaut sei, könne der jetzt entdeckte Mechanismus womöglich auch erklären, warum manche Infektions- und Autoimmunerkrankungen bei Frauen und Männern so unterschiedlich verlaufen. „Zu verdanken haben wir all unsere neuen Erkenntnisse auch der hervorragenden Zusammenarbeit mit unserem französischen Kollegen Hugues Lortat-Jacob – einem weltweit führenden Experten für die extrazelluläre Matrix, der seit mehr als dreißig Jahren auf diesem Gebiet forscht“, betont Kammertöns.
Als nächstes plant der Wissenschaftler, gemeinsam mit seinem Gruppenleiter Blankenstein und Forschenden des Universitätsklinikums Freiburg, die erzielten Ergebnisse in einem weiteren Modell zu überprüfen. „Wir wollen mit Wildlingen arbeiten, also mit Mäusen, die bereits mehrere Infektionen durchgemacht haben und deren Immunsystem daher mehr der normalen menschlichen Körperabwehr ähnelt“, sagt Kammertöns.
„Im Laufe der Evolution hat das Immunsystem in einem Aufrüstungskampf gegen Pathogene immer stärkere Waffen entwickelt“, resümiert Blankenstein. „Unsere Arbeit zeigt einen neuen Mechanismus auf, der dieser Aufrüstung entgegenwirkt, ohne die Effizienz der Immunantwort zu vermindern: Nur vier Aminosäuren im Interferon-gamma stellen sicher, dass nicht viel mehr Menschen an Infektionen sterben.“ Somit sei es wünschenswert, die genauen Details der Interaktion zwischen Interferon-gamma und der extrazellulären Matrix künftig noch besser zu verstehen.
Max Delbrück Center und Charité – Universitätsmedizin Berlin
Originalpublikation:
Josephine Kemna et al.( 2023): „IFNγ binding to extracellular matrix prevents fatal systemic toxicity“. Nature Immunology. DOI: 10.1038/s41590-023-01420-5, https://www.nature.com/articles/s41590-023-01420-5