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Neuronale Kooperation in der Hörrinde

Mongolische Wüstenrennmaus (Meriones unguiculatus) Tiermodell in der Hörforschung
Aufgrund ihres dem Menschen ähnlichen Hörvermögens ist die Mongolische Wüstenrennmaus (Meriones unguiculatus) ein wichtiges Tiermodell in der Hörforschung Eike Budinger, LIN

Unser Gehirn besteht aus einer rechten und einer linken Hälfte. Beide Hemisphären haben unterschiedliche Aufgaben und Funktionen beim Wahrnehmen und Lernen. Forschende am Leibniz-Institut für Neurobiologie (LIN) Magdeburg, dem Deutschen Primatenzentrum (DPZ) in Göttingen und der Otto-von-Guericke-Universität (OVGU) Magdeburg haben in einer aktuellen Studie mit Mongolischen Wüstenrennmäusen gezeigt, wie beide Gehirnhälften beim Erlernen akustischer Reize zusammenarbeiten. Die Erkenntnisse, die im Journal of Neuroscience veröffentlicht wurden, könnten zu neuen Therapiemöglichkeiten bei Menschen mit Störungen in der interhemisphärischen Kommunikation führen.

Die Verteilung spezifischer Funktionen zwischen der linken und rechten Gehirnhälfte ist ein grundlegendes neuronales Organisationsprinzip. Für die Ton-Verarbeitung ist die sogenannte Hörrrinde zuständig, die in beiden Hirnhemisphären liegt und Arbeitsteilung betreibt: So wird Sprache hauptsächlich in der linken Großhirnhälfte und Musik in der rechten Hälfte verarbeitet. Diese Spezialisierung basiert unter anderem auf bestimmten akustisch-physikalischen Parametern von Sprache und Musik: schnelle zeitliche Veränderungen bei Wort- und Satzanfängen oder kontinuierliche Veränderungen der Tonhöhe bei Musikmelodien.

Auf das Zusammenspiel kommt es an

Das Team um Prof. Dr. Eike Budinger vom LIN konnte in einer umfassenden Studie zeigen, dass nicht nur die beiden Gehirnhälften selbst, sondern auch ihr Zusammenspiel wesentlich am Erlernen akustischer Parameter, die der spezialisierten Verarbeitung von Sprache und Musik zugrunde liegen, beteiligt sind.

Erstautorin Dr. Katja Saldeitis vom DPZ hat Mongolische Wüstenrennmäuse, deren Hörvermögen dem des Menschen relativ ähnlich ist, darauf trainiert, Schallreize mit absteigender oder aufsteigender Tonhöhe zu unterscheiden. „Mäuse mit intakten Verbindungen zwischen den Hörrinden beider Hemisphären erlernten diese Aufgabe innerhalb weniger Tage. Mäuse mit gestörten interhemisphärischen Verbindungen benötigten dafür wesentlich länger und waren am Ende auch nicht so erfolgreich wie gesunde Mäuse“, beschreibt Saldeitis.

Wurden die interhemisphärischen Verbindungen bei den gesunden Tieren jedoch nach dem Erlernen gezielt unterbrochen, war die Leistungsfähigkeit der Mäuse bei dieser Aufgabe trotzdem nicht eingeschränkt. Gleichzeitig wurde auch das Erkennen und Unterscheiden kurzer zeitlicher Änderungen in den Schallreizen, wie zum Beispiel Pausen, nicht durch gestörte interhemisphärische Verbindungen beeinträchtigt.

Budinger erklärt: „Wir schlussfolgern aus den Ergebnissen unter anderem, dass die rechte Hemisphäre melodische Tonhöhenveränderungen zwar bevorzugt verarbeitet, für deren Erlernen aber Informationen aus der linken Hemisphäre benötigt. Umgekehrt benötigt die linke Hemisphäre, die bevorzugt zeitliche Veränderungen verarbeitet, aber keine zusätzlichen Informationen aus der rechten Hemisphäre.“

Gezielte Trainingsprogramme als mögliche Therapie

Perspektivisch gibt die vorliegende Studie wichtige Hinweise für die Behandlung von Störungen der akustischen interhemisphärischen Kommunikation, wie sie beispielsweise bei Schizophrenie, Dyslexie und Tinnitus auftreten. Budinger nimmt an: „Diese Symptome könnten vielleicht durch gezielte akustische Trainingsprogramme therapiert werden, die alternative Verarbeitungswege, die in tieferen Hirnstrukturen oder nur einer Hemisphäre verankert sind, stärken.“

LIN


Originalpublikation:

Katja Saldeitis, Marcus Jeschke, Annika Michalek, Julia U. Henschke, Wolfram Wetzel, Frank W. Ohl, Eike Budinger: Selective interruption of auditory interhemispheric crosstalk impairs discrimination learning of frequency-modulated tone direction but not gap detection and discrimination, Journal of Neuroscience 21 January 2022, JN-RM-0216-21; DOI: 10.1523/JNEUROSCI.0216-21.2022

https://www.jneurosci.org/content/early/2022/01/20/JNEUROSCI.0216-21.2022