Axolotl sind bekannt für ihre Fähigkeit, Gliedmaßen, Organe und sogar Teile des Gehirns und Herzens nachwachsen zu lassen. Doch der Schwanzlurch mit dem wissenschaftlichen Namen Ambystoma mexicanum kann noch mehr. Seine Schleimhaut schützt ihn vor Krankheitserregern, genauer gesagt: die darin enthaltenen antimikrobiellen Peptide (AMP). Diese Eigenschaft macht das Amphibium für die Medizin interessant, denn die zunehmende Antibiotikaresistenz von Bakterien ist ein großes Problem im Gesundheitswesen. Daher suchen Forschende nach neuen Zielmolekülen, welche die immer weniger wirksamen Antibiotika ersetzen können. AMP gehören dabei zu den vielversprechenden Kandidaten. Sie sind Teil des angeborenen Immunsystems und kommen in fast allen lebenden Organismen vor.
Ein Forschungsteam um Dr. Sarah Strauß, Leiterin des Kerstin Reimers Labors für Regenerationsbiologie an der Klinik für Plastische, Ästhetische, Hand- und Wiederherstellungschirurgie der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH), hat sich mit verschiedenen AMP aus dem Hautschleim der im Labor lebenden Axolotl beschäftigt. Dabei konnten die Forschenden zeigen, dass die AMPs nicht nur gegen multiresistente Bakterien wie den gefürchteten sogenannten Krankenhauskeim MRSA wirksam waren. Sie konnten auch Krebszellen erfolgreich bekämpfen. Die Ergebnisse sind in der Fachzeitschrift „Plos one“ veröffentlicht worden.
Schleim durch sanfte Massage gewonnen
„Antimikrobielle Peptide könnten zukünftig eine Alternative zu Antibiotika sein. Sie weisen ein breites Wirkungsspektrum auf und gleichzeitig ist es für die Erreger schwieriger, Resistenzen zu entwickeln“, sagt Klinikdirektor Professor Dr. Peter M. Vogt. Um den Hautschleim zu gewinnen, wurden die Axolotl mit sterilen Handschuhen sanft massiert und der produzierte Schleim mit sterilen Schabern von den Handschuhen abgenommen – alles gemäß den Richtlinien des deutschen Tierschutzgesetzes. Unter den im Schleim gewonnenen tausenden AMP wurden in Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer Institut für Toxikologie und Experimentelle Medizin ITEM in Hannover 22 wahrscheinlich wirksame Peptidkandidaten herausgesucht und synthetisch hergestellt. „Das ist aufwändig und teuer, aber AMP lassen sich leider nicht so einfach in Mikroorganismen herstellen wie einige Antibiotika“, erklärt die Biologin. Der Grund dafür liegt im chemischen Aufbau und Wirkmechanismus der AMP: Sie enthalten Aminosäuren mit positiver Ladung und haben wasserabweisende Anteile. Damit können sie an die Zellwand von Bakterien binden. Dort verursachen sie kleine Löcher oder dringen in die Zelle ein und binden an Moleküle. Beides schädigt die Zelle und führt zum Tod. Auch gegen Pilze und verschiedene Viren können AMP wirken.
Wirksamkeit gegen MRSA
Der besondere chemische Aufbau, so vermutet Dr. Strauß, könnte zur Wirksamkeit der AMP gegen resistente Bakterienstämme beitragen und möglicherweise das Risiko einer Resistenz mindern. Das bietet der Medizin einen entscheidenden Vorteil, denn das Problem der Resistenzentwicklung betrifft zunehmend auch sogenannte Reserveantibiotika. Diese werden bei Infektionen mit Bakterien eingesetzt, gegen die gängige Antibiotika nichts mehr ausrichten können, etwa beim Methicillin-resistenten Staphylococcus aureus (MRSA). „Vier unserer Axolotl-AMPs zeigten eine Wirksamkeit gegen MRSA, die mitunter sogar besser war als die des Reserveantibiotikums Vancomycin“, stellt die Biologin fest. „Die Ergebnisse gegen MRSA sind besonders bedeutsam, weil die Verbreitung dieses multiresistenten Bakterienstammes mit dem übermäßigen Einsatz von Antibiotika sowohl im Gesundheitswesen als auch in der Landwirtschaft weiter zunehmen wird“, erklärt Professor Vogt.
Gesteuertes biologisches Programm
Eine antikarzinogene Wirkung fanden die Forschenden bei drei der vier AMPs, die auch eine signifikante Hemmung von MRSA aufwiesen. In Zellkultur lösten diese bei Brustkrebszellen einen sogenannten programmierten Zelltod aus: ein gesteuertes biologisches Programm, bei dem die betroffene Zelle stirbt. „Dabei haben wir beobachtet, dass die Peptide ganz gezielt Krebszellen töten, ohne gesunde Brustgewebszellen anzugreifen“, betont Dr. Strauß. „Insgesamt deuten unsere Ergebnisse darauf hin, dass diese identifizierten AMP vielversprechende Kandidaten für die Bekämpfung von Antibiotikaresistenzen und für Strategien zur Krebsbekämpfung sein könnten.“ Um das zu überprüfen, sind allerdings weitere Untersuchungen nötig.
Gefährdete Lurcharten
Der ursprünglich in Mexiko beheimatete Axolotl ist mittlerweile vom Aussterben bedroht. In dem 2010 gegründeten „Ambystoma Mexicanum Bioregeneration Center“ (ABMC) des Kerstin Reimers Labors für Regenerationsbiologie leben neben der Art Ambystoma mexicanum noch weitere, zum Teil ebenfalls gefährdete Lurcharten – alle Tiere stammen aus Nachzuchten. Das AMBC arbeitet mit internationalen Kooperationspartnern wie universitären Einrichtungen, privaten Instituten und Zoos zusammen. Es ist zudem Ansprechpartner für Tierärztinnen und Tierärzte und bietet neben Ausbildung und Beratung auch praktische Unterstützung zu den Themen artgerechter Tierhaltung, Erkrankungen, Diagnostik, Therapie, Narkose und operative Techniken.
(Medizinische Hochschule Hannover)
Originalarbeit
„Identification of antimicrobial peptides from the Ambystoma mexicanum displaying antibacterial and antitumor activity“
https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/40043049/