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Umfrage: So geht es dem akademischen Nachwuchs in Deutschland

Bild von Alexas_Fotos auf Pixabay

Junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler arbeiten an deutschen Unis oft unter prekären Bedingungen. Vor allem in der Informatik könnten Tech-Konzerne dadurch Talente für ihre Forschung abwerben. Eine neue Studie zeigt, was den akademischen Nachwuchs besonders belastet.

„Auf dem Weg zur Professur müssen junge Akademikerinnen und Akademiker durch einen Flaschenhals: Das führt zu äußerst schwierigen Arbeitsbedingungen, finanziell wie strukturell“, sagt Dr. Kerstin Lenk, Sprecherin des Beirats des wissenschaftlichen Nachwuchses der Gesellschaft für Informatik e.V. Dieser hat Anfang des Jahres eine Umfrage unter 378 Nachwuchskräften an deutschen Instituten durchgeführt, um herauszufinden, vor welchen konkreten Herausforderungen sie in ihrem Arbeitsalltag stehen. Darunter waren sowohl Teilnehmende aus den sogenannten MINT-Fächern als auch darüber hinaus.

Mehrfachbelastung und Überstunden

Ein Ergebnis ist besonders prägnant: 42 Prozent der Befragten aus dem MINT-Bereich schätzen ihr Beschäftigungsverhältnis als prekär ein – unter den wissenschaftlichen Mitarbeitenden in Nicht-MINT-Fächern tun dies sogar 64 Prozent. Häufigste Herausforderung ist klar die Mehrfachbelastung. 69 Prozent der Befragten finden es schwierig, Forschung, Lehre und weitere Aufgaben gleichzeitig zu meistern. Bei zwei Drittel der Befragten (66 Prozent) führt der hohe Arbeitsaufwand zudem zu Überstunden. Auch die Vereinbarkeit von Beruf und Familie wird häufig als Problem genannt – vor allem von Wissenschaftlerinnen. Dies wurde besonders in der Corona-Pandemie deutlich: 76 Prozent der Befragten waren überhaupt nicht zufrieden mit der Unterstützung ihrer Hochschule bei der Kinderbetreuung. Fächerübergreifend werden Konflikte mit Betreuenden am seltensten als Problem genannt: Trotzdem steht etwa jede*r Vierte vor dieser Herausforderung (22 Prozent in MINT-, 26 Prozent in Nicht-MINT-Fächern).

„Bereits 2020 haben wir ein Positionspapier veröffentlicht, um die Lage von Promovierenden sowie Postdocs in der Informatik und anderen Technikfächern zu verbessern“, sagt Dr. Kerstin Lenk. „Die Ergebnisse der aktuellen Studie zeigen, dass auch außerhalb des MINT-Bereichs zwingend Maßnahmen getroffen werden müssen, um Nachwuchsforschende zu entlasten.“ Die Teilnehmenden wurden auch nach Lösungsvorschlägen gefragt: Dabei fand die Ausweitung unbefristeter Positionen nach der Promotion die größte Zustimmung (97 Prozent). In der anschließenden Freitext-Abfrage schlugen zudem einige Teilnehmende vor, Lehrstühle abzuschaffen und stattdessen eine Departmentstruktur einzurichten, die mit einer flacheren und flexibleren Hochschulorganisation einhergeht.

Unternehmen machen Unis Konkurrenz

Dass es sich lohnt, dem akademischen Nachwuchs bessere Bedingungen zu bieten, hat die Wirtschaft längst erkannt. Gerade in der Informatik stehen Universitäten mit Unternehmen in Konkurrenz um junge Forschende: „Wenn die wissenschaftliche Karriere an deutschen Hochschulen nicht mehr attraktiv erscheint, suchen die besten Köpfe nach Alternativen“, so Dr. Mario Gleirscher, Erstautor der Studie. „Und in der Branche ist längst bekannt: Spannende Forschungstätigkeiten gibt es nicht nur in der Hochschullandschaft, sondern etwa auch bei GAFA.“ Die Abkürzung, die sich aus den Konzernnamen von Google, Apple, Facebook und Amazon ableitet, ist für viele zum Synonym für privatisierte Spitzenforschung geworden. Für den Forschenden droht die Gefahr, dass im Bereich der Informatik die akademische Forschung gegenüber der industriellen ins Hintertreffen gerät: „Das wäre fatal: Die Freiheit in Forschung und Lehre – fernab von unmittelbarem wirtschaftlichem Profit – ist ein maßgeblicher Erfolgsfaktor für die rasante Entwicklung des Fachbereichs Informatik in den vergangenen Jahrzehnten.“

(Gesellschaft für Informatik)


Das oben erwähnte Positionspapier des Beirats des Wissenschaftlichen Nachwuchses der Gesellschaft für Informatik e.V. finden Sie hier: https://link.springer.com/article/10.1007/s00287-020-01250-x#Abs2

Die vollständige Studie und alle weiteren Ergebnisse – darunter auch Zahlen zu den Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Situation an den Universitäten – ist hier zum Download verfügbar.