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Zielkonflikt gelöst: Wachsschicht von Ameisen kann zwei Anforderungen gleichzeitig optimieren

Kämpfende Arbeiterinnen der Art Lasius niger
Kämpfende Arbeiterinnen der Art Lasius niger: Das Individuum in der Mitte stammt aus einer fremden Kolonie und wird von den anderen Tieren angegriffen. Foto/©: Florian Menzel

Das Überleben einer Ameisenkolonie hängt stark davon ab, dass ihre Mitglieder die eigenen Nestgenossinnen von Ameisen einer fremden, womöglich feindlichen Kolonie unterscheiden. Die Erkennung erfolgt über den Duft, der von einer hauchdünnen Wachsschicht ausgeht, die den Ameisenkörper überzieht. Gleichzeitig muss diese Wachsschicht aber den Ameisenkörper vor Austrocknung schützen. Wissenschaftler der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) haben nun festgestellt, dass diese Funktionen der Wachsschicht auch bei einem Zielkonflikt erhalten bleiben.

„Die Ameisen können ihre Wachsschicht nämlich gleichzeitig an zwei Bedürfnissen ausrichten und sie daraufhin optimieren“, erklärt der Evolutionsbiologe Dr. Florian Menzel von der JGU. „Das heißt, sie können ihre Wachsschicht den Außentemperaturen anpassen und sich damit vor Austrocknung schützen. Dadurch ändert sich zwar die Zusammensetzung dieser Schicht, aber die Kommunikationssignale zur gegenseitigen Erkennung bleiben erhalten. Das dient der Sicherheit der Kolonie.“

Wachsschicht bietet Schutz gegen Austrocknung und sendet Kommunikationssignale aus

Tiere, die an Land leben, müssen sich gegen Wasserverlust schützen. Fast alle Insekten besitzen zu diesem Zweck eine Wachsschicht, die ihren Körper wie eine Haut überzieht. Diese Wachsschicht besteht aus mehreren Dutzend bis über hundert verschiedenen Verbindungen – kutikuläre Kohlenwasserstoffe, die für jede Art spezifisch und unverwechselbar sind. Anhand dieser „Cuticular Hydrocarbons“ oder kurz CHCs können Biologen selbst nah verwandte Arten ohne Schwierigkeit unterscheiden. Bei sozialen Insekten wie Bienen und Ameisen hat die Schicht noch weitere Funktionen: Sie enthält Informationen nicht nur über die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Art, sondern auch zu einer bestimmten Kolonie und ob es sich dabei um eine Arbeiterin oder eine Königin handelt.

Bei steigenden Temperaturen wird das Wachs flüssiger und schützt die Tiere nicht mehr vor Verdunstung. Dann können die Ameisen allerdings die Wachszusammensetzung innerhalb kurzer Zeit anpassen. Die Frage, die sich den Evolutionsbiologen um Florian Menzel nun stellte, war, ob eine Anpassung der CHC-Mischung an die Außentemperatur auch die Informationen zur Erkennung von Nestgenossinnen verändert.

Studie untersucht Aggressionsverhalten nach verschiedenen Temperaturbehandlungen

Die Wissenschaftler haben für ihre Studie zwei Ameisenarten der Gattung Lasius unterschiedlichen Temperaturen ausgesetzt und anschließend ihr Verhalten beobachtet. Die Schwarze Wegameise, Lasius niger, ist die häufigste Ameisenart in unseren Gärten und Wiesen, während Plattbrust-Wegameise Lasius platythorax vorwiegend im Wald oder in Mooren lebt – sie ist ihrer Verwandten zum Verwechseln ähnlich und wurde erst vor 30 Jahren als eigenständige Art erkannt. Kleine Kolonien beider Arten wurden bei kühlen, bei wärmeren und bei schwankenden Temperaturen – also nachts kühl und tagsüber warm – gehalten. Nach drei Wochen analysierten die Biologen die Wachszusammensetzung und beobachteten, wie aggressiv sich die Ameisen verhielten, und zwar gegen Nestgenossinnen und Nicht-Nestgenossinnen aus der gleichen oder einer anderen Temperaturbehandlung.

Funktionstrennung ist zentral fürs Überleben der Kolonie

„Die Ameisen konnten definitiv erkennen, ob ihr Gegenüber vom selben Nest stammte oder nicht“, teilt Marti Wittke, Erstautor der Studie, zu den Ergebnissen mit. „Ehemalige Nestgenossinnen aus einer anderen Temperaturumgebung wurden aber mit stärkerer Aggression empfangen.“ Also konnten sie ihre Schwestern aus dem eigenen Ameisenvolk problemlos von fremden Ameisen unterscheiden – auch wenn die Nestgenossinnen aus einer anderen Temperaturumgebung kamen.

„Die Temperatureffekte auf die Erkennung sind überraschend gering, obwohl sich die Zusammensetzung der Wachsschicht drastisch zwischen Temperaturbehandlungen unterscheidet“, bemerkt Menzel und vermutet, dass die Erkennung der Koloniemitglieder hohe Priorität genießt. „Die Kolonieerkennung ist immens wichtig: Falls Fremde nicht erkannt werden und eindringen, könnte dies den Zusammenbruch der Kolonie zur Folge haben. Genauso fatal wäre es, wenn Nestgenossinnen plötzlich nicht mehr ins Nest gelassen werden.“

Die Studie zeigt, dass nur wenige Wachskomponenten ausreichen, um die Mitgliedschaft in einer Kolonie anzuzeigen. „Es scheint, dass manche Kohlenwasserstoffe eher der Erkennung dienen und manche eher dem Austrocknungsschutz. Es ist ja auch wichtig, den Austausch von Kommunikationssignalen relativ unabhängig vom Schutz vor Austrocknung zu halten, auch wenn beide Funktionen in der Wachsschicht verankert sind. Aus physikalischen Gründen können beide Funktionen aber nicht komplett getrennt werden.“

Interessanterweise waren die beiden Funktionen – Austrocknungsschutz und Sicherstellung der Kommunikation – bei der Schwarzen Wegameise stärker miteinander verflochten, bei der Plattbrust-Wegameise dagegen stärker getrennt. „Warum es diesen Unterschied gibt, können wir bisher noch nicht sagen“, fügt Menzel an.

JGU


Originalpublikation:

Marti Wittke, Lucas Baumgart, Florian Menzel: Acclimation in ants: Interference of communication and waterproofing through cuticular hydrocarbons in a multifunctional trait, Functional Ecology, 8. Juni 2022, DOI: 10.1111/1365-2435.14104
https://besjournals.onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/1365-2435.14104