VBIO

Bayreuther Fallstudie entdeckt ökologische Folgen wasserlöslicher Polymere

Großer Wasserfloh
Großer Wasserfloh (Daphnia magna). Das abgebildete erwachsene Tier ist vom Kopf (oben) bis zur Schwanzstachelspitze (links unten) etwa vier bis fünf Millimeter lang. Bild: Max Rabus

Wasserlösliche synthetische Polymere (WSSP) kommen in vielen Produkten des Alltags vor. Welche Folgen es hat, wenn diese Kunststoffe in Flüsse, Seen und Meere gelangen, ist noch weitgehend unerforscht. Ein Team der Universität Bayreuth hat jetzt erstmals die Auswirkungen auf Wasserflöhe der Spezies Daphnia magna systematisch untersucht. Die für die Tests ausgewählten Polymere verändern die Körpergröße und die Fortpflanzung der Tiere in einigen Fällen signifikant. Die in „Science of The Total Environment“ publizierten Forschungsergebnisse zeigen, dass wasserlösliche Polymere nicht zu unterschätzende Folgen für die Artenvielfalt und die Nahrungsketten in aquatischen Ökosystemen haben könnten.

Textilien, Farben, Papier, Klebstoffe, Kosmetikprodukte und Arzneimittel sind nur einige Beispiele für industrielle Produkte, die wasserlösliche synthetische Polymere (WSSP) enthalten. Zudem werden WSSP bei der Abwasserreinigung und zur Behandlung von Regenwasser eingesetzt. Dennoch ist nur wenig über ihre Konzentrationen in der Umwelt bekannt. Sie sind im Unterschied zu Plastikmüll und Mikroplastik-Partikeln nicht in der Umwelt sichtbar. Mittlerweile gibt es aber Studien, die das Vorkommen von WSSP in Flüssen, Seen und anderen Süßwasserdepots belegen.

Forschende des SFB 1375 „Mikroplastik“ und des von der EU geförderten Internationalen Trainingsnetzwerks (ITN) „LimnoPlast“ an der Universität Bayreuth haben jetzt fünf handelsübliche Polymere, die in der Industrie häufig zur Produktion eingesetzt werden, ausgewählt. Mit biologischen und chemischen Verfahren haben sie beispielhaft untersucht, wie Wasserflöhe der Spezies Daphnia magna auf die WSSP reagieren. Diese Spezies dient in der ökologischen Forschung als Modellorganismus, an dem sich Wechselwirkungen zwischen potenziellen Schadstoffen und lebenden Organismen gut beobachten lassen. Bei den im Wasser gelösten Polymeren, mit denen die Wasserflöhe während der Tests ständig in Kontakt waren, handelt es sich um Polyvinylalkohol (PVOH), Polyvinylpyrrolidon (PVP), Polyacrylsäure (PAA), Polyethylenglycol (PEG) und Polyethylenoxid (PEO). „Wasserflöhe haben in vielen Süßwasserseen eine ökologische Schlüsselfunktion: Sie haben einen wesentlichen Einfluss auf die Menge des verfügbaren Phytoplanktons, das die Grundlage der Nahrungsketten in den Seen bildet. Wenn die Wasserflöhe durch wasserlösliche Polymere geschädigt werden, können sich die Folgen auch auf höhere Ebenen der Nahrungskette erstrecken und so das gesamte Nahrungsnetz eines Ökosystems beeinträchtigen“, sagt Prof. Dr. Christian Laforsch, Sprecher des SFB Mikroplastik und des ITN „LimnoPlast“, der die neue interdisziplinäre Studie koordiniert hat.

Wie die Forschungsergebnisse zeigen, sind WSSP für Wasserflöhe nicht unmittelbar lebensbedrohlich. Auch ihre Herzschlagfrequenz bleibt konstant, wenn sie über längere Zeit in einem mit WSSP angereicherten Wasser leben. Dies ist ein klares Indiz dafür, dass die Polymere keine akuten physiologischen Veränderungen hervorrufen. Allerdings ändert sich das Fortpflanzungsverhalten der Tiere in zweifacher Hinsicht: Die Fortpflanzungszyklen verlängern sich, so dass die Wasserflöhe nur noch in größeren Abständen Nachwuchs produzieren. Zudem sinkt die Zahl der Nachkommen, die pro Zyklus entstehen. Dies könnte sich auf das Populationswachstum und damit auf die gesamte Lebensgemeinschaft auswirken. Auch die Körpergröße der Daphnien verändert sich unter dem Einfluss der WSSP.

„Die bisherigen Forschungsergebnisse liefern noch keinen genauen Aufschluss über die Ursache-Wirkung-Beziehungen, die zu den signifikanten Änderungen der Körpergröße und der Fortpflanzung der Wasserflöhe geführt haben. Messungen deuten darauf hin, dass ein höheres Molekulargewicht der WSSP mit einer erhöhten Toxizität einhergehen kann. Dies ist ein weiterer Beleg für die Relevanz interdisziplinärer Forschungsarbeiten, bei denen die Umweltwissenschaften und die Polymerchemie miteinander kooperieren“, sagt die Erstautorin der neuen Studie, die Bayreuther Doktorandin Simona Mondellini M.Sc.

Die Erforschung der ökologischen Effekte von wasserlöslichen synthetischen Polymeren steht zurzeit in vieler Hinsicht noch am Anfang. Die Ergebnisse der neuen Studie am Modellorganismus Daphnia magna zeigen aber beispielhaft die Bedeutung dieses Forschungsthemas. „Auswirkungen von potenziellen Schadstoffen auf die Fortpflanzung und Körpergröße von Organismen sind mittlerweile etablierte Parameter in der Ökotoxikologie. Wenn sich Wasserflöhe in dieser Hinsicht unter dem Einfluss von handelsüblichen, in vielen Industriezweigen verwendeten WSSP verändern, sollte dies ein Anlass für weitere gezielte Untersuchungen sein. Denn die toxischen Wirkungen von Schadstoffen, die sich in der Umwelt verbreiten, betreffen in der Regel nicht allein individuelle Organismen, sondern auch größere Populationen und weitverzweigte Nahrungsnetze – und damit auch die Lebens- und Funktionsfähigkeit ganzer Ökosysteme“, sagt Prof. Dr. Christian Laforsch.

Universität Bayreuth


Originalpublikation:

Simona Mondellini, Matthias Schott, Martin G.J. Löder, Seema Agarwal, Andreas Greiner, Christian Laforsch: Beyond microplastics: Water soluble synthetic polymers exert sublethal adverse effects in the freshwater cladoceran Daphnia magna. Science of The Total Environment 847 (2922), DOI: https://doi.org/10.1016/j.scitotenv.2022.157608