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In der Flexibilität liegt die Funktion: Wie unstrukturierte Proteinbestandteile biologische Funktionen regulieren

Grafik 3D Modell Y2-Rezeptor
Die Wissenschaftler:innen haben herausgefunden, dass der flexible Anfang des Y2-Rezeptors (violett) verschiedene direkte Kontakte mit dem Hormon NPY (grün) ausbildet. Die Summe dieser Kontakte steuert, welche Signale in die Zelle übermittelt werden. Quelle: Grafik: Asat Baischew

Unstrukturierte Bestandteile von Oberflächenproteinen regulieren die biologische Funktion einer Zelle. Eine aktuelle Studie liefert wichtige neue Informationen über das Zusammenspiel zwischen G-Protein-gekoppelten Rezeptoren (GPCR), die sich in der Zellmembran nahezu aller Körperzellen befinden, den jeweils aktivierenden Botenstoffen und den Signalvorgängen innerhalb einer Zielzelle. Dieses Zusammenwirken spielt eine große Rolle in der Medikamentenforschung. Die Studie von Forschenden des Sonderforschungsbereichs (SFB) 1423 „Strukturelle Dynamik der GPCR-Aktivierung und Signaltransduktion“ der Universität Leipzig und der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg wurde im renommierten Fachjournal „Nature Communications“ veröffentlicht. 

G-Protein-gekoppelte Rezeptoren spielen eine Schlüsselrolle in vielen biologischen Prozessen und sind wichtig für die Wirksamkeit von Medikamenten, beispielsweise gegen Bluthochdruck, Schmerzen, Allergien oder zur Gewichtsreduktion. Trotz intensiver Forschung gibt es noch immer viele offene Fragen zur Funktionsweise dieser wichtigen Rezeptoren. Die in der Studie untersuchten Y2-Rezeptoren werden durch das Peptidhormon Neuropeptid Y (NPY) aktiviert, wodurch verschiedene Prozesse im Gehirn beeinflusst werden, etwa Stressreaktionen oder Tag-Nacht-Rhythmik, insbesondere aber auch Sättigungssignale vermittelt werden. Die Forschenden des SFB 1423 haben untersucht, welche Rolle der flexible Anfangsteil (N-Terminus) des Y2-Rezeptors dabei spielt, wenn der Botenstoff NPY an den Rezeptor andockt und eine Reaktion in der Zelle auslöst. Sie fanden heraus, dass dadurch insbesondere das zelluläre Partnerprotein Arrestin-3 beeinflusst wird – also ein Mitspieler, der bestimmt, wie die Zelle auf ein bestimmtes Signal reagiert.

Wie viele GPCR besitzt auch der Y2-Rezeptor einen hochflexiblen, nicht strukturierten Anfangsteil, dessen Funktion wenig verstanden ist „Das Besondere an diesem Teil des Rezeptors ist, dass er eine sogenannte intrinsisch ungeordnete Region ist. Er faltet sich also nicht in stabile Strukturen, sondern verändert ständig seine Form. Man kann sich das in etwa vorstellen wie eine Wolke, innerhalb derer sich der Proteinabschnitt bewegt. Das geht so schnell, dass es experimentell schwierig ist, einzelne Zustände festzuhalten und damit auch Funktionen daran festzumachen“, erklären Dr. Anette Kaiser von der Universität Leipzig und Prof. Dr. Andrea Sinz von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Hauptautorinnen der Studie. 

Um diese hochkomplexen Mechanismen zu untersuchen, haben mehrere Forschungsgruppen des SFB 1423 zusammengearbeitet. Das Team von Prof. Dr. Andrea Sinz konnte mittels einer speziell für diesen Rezeptor entwickelten Technik, einer Kombination aus lichtinduzierter Vernetzung und hochempfindlicher Massenspektrometrie, die genauen Orte der Wechselwirkungen zwischen dem Y2-Rezeptor und NPY ermitteln. Hier zeigte sich, dass der unstrukturierte Anfangsteil des Rezeptors mit dem Botenstoff NPY direkt in Kontakt kommt. Dies war der Ausgangspunkt für umfangreiche Mutationsstudien am Rezeptor, um die Funktion einzelner Regionen zu untersuchen. „Wir konnten sehen, dass kurze Regionen mit einer hohen Dichte an negativer Ladung wichtig sind, um eine stabile, langlebige Bindung des Peptidhormons an den Rezeptor zu gewährleisten. Interessanterweise sind einige Rezeptor-vermittelte Zellantworten auch noch unvermindert möglich, wenn die Kontakte im N-Terminus wegfallen. Die Interaktion mit dem Partnerprotein Arrestin-3 werden durch kurzlebige Bindung jedoch vermindert, was die Balance der zellulären Antwort verändert“, fasst Dr. Anette Kaiser zusammen. 

Diese Beobachtung haben die Arbeitsgruppen von Prof. Dr. Jens Meiler und Prof. Dr. Peter Hildebrand mit computergestützter Struktur-Modellierung und Molekulardynamik-Simulationen bestätigt und konkretisiert. „Unser Verständnis der funktionellen Bedeutung flexibler Bereiche in der Signalgebung steht noch ganz am Anfang. Umso spannender ist es nun zu untersuchen, ob sich die hier beobachteten Prinzipien auch auf andere Rezeptoren anwenden lassen“, sagt Prof. Dr. Peter Hildebrand von der Medizinischen Fakultät der Universität Leipzig.

Die Arbeitsgruppen forschen bereits seit über vier Jahren gemeinsam in diesem Forschungsfeld und die Ergebnisse bauen auf umfangreichen Vorarbeiten auf. Umso wertvoller ist diese gemeinsame Publikation der Arbeitsgruppen. „Zwar existieren bislang noch keine zugelassenen Medikamente, die gezielt über Y2-Rezeptoren wirken. Dennoch liefern diese Ergebnisse weitere Bausteine, um zukünftig ein noch besseres Verständnis des Wirkmechanismus zu erhalten und eventuell auch neue Angriffspunkte für Medikamente zu finden“, ergänzt Prof. Dr. Annette Beck-Sickinger, Co-Autorin und Sprecherin des SFB 1423.

Universität Leipzig


Originalpublikation:

Kaiser, A., Rojas Echeverri, J.C., Baischew, A. et al. Transient ligand contacts of the intrinsically disordered N-terminus of neuropeptide Y2 receptor regulate arrestin-3 recruitment. Nat Commun16, 8326 (2025). doi.org/10.1038/s41467-025-64051-4

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