Ob Insekten oder Menschen – soziale Beziehungen spielen im Leben vieler Tiergruppen eine wichtige Rolle. Dabei ist das Familienleben von entscheidender Bedeutung. Dieses ist im Laufe der Evolution mehrmals unabhängig voneinander in verschiedenen Tiergruppen entstanden, dennoch sind die sozialen Interaktionen häufig ähnlich: Eltern interagieren miteinander und mit ihren Nachkommen, aber auch die Nachkommen interagieren miteinander. Die Erforschung der Effekte sozialer Isolierung beispielsweise durch Abwesenheit der Eltern fokussiert sich häufig auf Primaten oder Nagetiere. Jedoch können die Nachkommen dieser Tiere in der Regel nicht ohne ihre Eltern überleben, weshalb diese Forschung nur begrenzte Einblicke in die Effekte sozialer Isolation bietet. Mit Studien wie der aus Bayreuth, die sich mit sozialen Interaktionen andere Tierarten befasst, kann die Evolution des Familienlebens erforscht und nachvollzogen werden, was Rückschlüsse und Forschungshypothesen für die Entstehung von Familienleben anderer Tierarten bis zum Menschen zulässt.
Die Interaktion zwischen Eltern und ihren Nachkommen galt für die Tierwelt lang als evolutionärer Haupttreiber des Familienlebens. In den letzten Jahren ging jedoch aus diversen Studien zum Familienleben unterschiedlicher Tierarten hervor, dass auch andere Interaktionsformen von Bedeutung für die Entwicklung des sozialen Miteinanders sind. „Noch immer bestehen erhebliche Wissenslücken darüber, wie Geschwisterinteraktionen mit Eltern-Kind-Interaktionen zusammenwirken und welche Folge ein Fehlen von Geschwisterkontakt unter verschiedenen Formen elterlicher Fürsorge hat, insbesondere wie Geschwisterinteraktionen durch die Anwesenheit der Eltern beeinflusst werden“, sagt Paul Huber, Doktorand am Lehrstuhl für Evolutionäre Tierökologie der Universität Bayreuth und Erstautor der Studie.
„Ein besseres Verständnis dieser Aspekte könnte nicht nur entscheidend für das Verständnis der Evolution des Familienlebens sein, sondern auch unser Wissen über die Entwicklung hochsozialer Arten bis hin zum Menschen erweitern“, ergänzt Prof. Dr. Sandra Steiger, Inhaberin des Lehrstuhls für Evolutionäre Tierökologie der Uni Bayreuth.
Um die Wissenslücken zu schließen, machten sich die Bayreuther Forschenden die Brutpflege des Schwarzhörnigen Totengräbers (Nicrophorus vespilloides) zunutze. Üblicherweise versorgen bei dieser Käferart sowohl Mutter als auch Vater die Larven, indem sie den Kadaver, in dem der Nachwuchs großgezogen wird, für die Larven vorbereiten und diese nach dem Schlüpfen füttern. Jedoch können die Larven auch im Fall der Abwesenheit eines oder sogar beider Elterntiere überleben. Dass die Nachkommen zwar von der elterlichen Brutpflege profitieren, jedoch nicht auf sie angewiesen sind, macht Nicrophorus vespilloides zu einem perfekten Modellorganismus, um die Rolle der Isolation von Familienmitgliedern im Tierreich zu studieren.
Für ihr Experiment haben die Bayreuther Forschenden Larven entweder einzeln oder mit Geschwistern aufwachsen lassen. Zudem wurden die Larven zufällig auf Testgruppen mit unterschiedlicher Brutpflege aufgeteilt: Brutpflege durch beide Eltern an einem von ihnen vorbereiteten Kadaver; keine Brutpflege, aber ein vorbereiteter Kadaver; keine Brutpflege und ein unvorbereiteter Kadaver. In einem zweiten Experiment wurden einzelne Larven oder Geschwistergruppen entweder von beiden Eltern oder nur einem Elternteil am Kadaver versorgt.
„Insgesamt zeigt unsere Studie, dass Larven von der Anwesenheit von Geschwistern sowohl in der An- als auch Abwesenheit der Eltern profitieren. Das ist überraschend, weil man bisher davon ausgegangen ist, dass Geschwister zwar in Abwesenheit der Eltern kooperieren können, jedoch in deren Anwesenheit um die Aufmerksamkeit und Ressourcen konkurrieren“, sagt Huber. Als Erklärung vermuten die Bayreuther Forschenden ein gemeinsames Bettelverhalten der Larven, das den Aufwand pro Larve reduziert, bei den Elterntieren jedoch die Investition in die Brut insgesamt erhöht.
Universität Bayreuth
Originalpublikation:
Paul Huber, Stefanie Bartl, Jan Schneider, Sandra Steiger. Better Together: Offspring Benefit from Siblings in Both the Absence and the Presence of Parents. The American Naturalist (2025), DOI: https://doi.org/10.1086/736816