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Molekulare Täuschung treibt Tumorzellen in den Selbstmord

Bild: Pixabay

Ein maßgeschneidertes Molekül behindert Krebswachstum, indem es einen Proteinkomplex blockiert, dessen Bindungspartnern es täuschend ähnelt. Die betroffenen Zellen schalten daraufhin ein Selbstmordprogramm an. Das hat eine fachübergreifende Forschungsgruppe aus der Marburger Krebsmedizin und Chemie mit Unterstützung aus München herausgefunden.

Viele zelluläre Abläufe beruhen darauf, dass mehrere Proteine zusammenarbeiten. Auch die Entstehung von Krebs hängt von solchen Wechselwirkungen ab. „So koppelt der Proteinkomplex ELOB/C an andere Proteine, von denen viele zu Krebserkrankungen beitragen“, erklärt der Marburger Biochemiker Dr. Robert Liefke vom Institut für Molekularbiologie und Tumorforschung der Philipps-Universität Marburg, einer der Leitautoren des Fachaufsatzes. Krebszellen aller Krebsarten benötigen die beiden Bestandteile des Komplexes, ELOB und ELOC, um zu wachsen.

Die Kopplung zwischen dem Proteinkomplex ELOB/C und seinen Partnern beruht darauf, dass ELOB/C eine Bindungstasche enthält, zu der es ein Gegenstück auf den Partnermolekülen gibt. Dieses Gegenstück – die Zielsequenz – passt in die Bindungstasche wie eine Zugangskarte in das Lesegerät einer Hotelzimmertüre. Die Zielsequenz umfasst Aminosäuren in einer ganz bestimmten Abfolge. Fachleute haben der Zielsequenz einen eigenen Namen gegeben: BC-Box.

„Die BC-Box schmiegt sich in die Bindungstasche des ELOB/C-Komplexes“, erläutert Juniorprofessorin Dr. Olalla Vázquez vom Marburger Fachbereich Chemie, eine weitere Leitautorin. „Aufgrund dieser Passung vermag ELOB/C mit den Partnerproteinen zusammenzuarbeiten.“ Wie lässt sich verhindern, dass ELOB/C das Krebswachstum fördert?

Die fachübergreifende Zusammenarbeit an der Schnittstelle von Krebsforschung, molekularer Zellbiologie und Biochemie gehört zu den Stärken der Marburger Naturwissenschaften und Medizin. Diesen Vorteil machten sich Vázquez und Liefke zunutze, um einen neuartigen Ansatz der Krebsbekämpfung auszuprobieren.

Um ELOB/C zu blockieren, entwickelten die Arbeitsgruppen der beiden ein kurzes, proteinartiges Molekül, ein so genanntes Peptid, das die Zielsequenz nachahmt. „Das maßgeschneiderte Peptid passt genau in die Bindungstasche von ELOB/C, so dass dort kein Platz mehr für die Zielsequenz anderer Proteine bleibt“, berichtet Vázques‘ Mitarbeiter Van Tuan Trinh, der ebenfalls als Koautor firmiert.

Das Täuschungsmanöver hindert den ELOB/C-Komplex daran, mit seinen Partnern zusammenzuwirken. Das wiesen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nicht nur im Reagenzglas nach, sondern auch in Zellkultur, also in der natürlichen Umgebung der beteiligten Biomoleküle: „Behandelt man Krebszellen mit unserem Peptid, so zeigen sie eine gestörte Genaktivierung und leiten vermehrt ein Zelltodprogramm ein, das zu ihrem Absterben führt“, legt Mitverfasserin Sabrina Fischer aus Liefkes Labor dar.

„Die Bindungstasche von ELOB/C zu blockieren, ist nach unseren Befunden eine praktikable Strategie, um das Wachstum von Krebszellen zu hemmen“, fasst Liefke die Ergebnisse zusammen. Vázquez ergänzt: „Unsere Erkenntnisse könnten als Ausgangspunkt dienen, um neuartige Medikamente gegen Krebs zu entwickeln.“

Universität Marburg


Originalveröffentlichung:

Sabrina Fischer, Van Tuan Trinh & al.: Peptide-mediated inhibition of the transcriptional regulator Elongin BC induces apoptosis in cancer cells, Cell Chemical Biology 2023, https://doi.org/10.1016/j.chembiol.2023.05.012