Wassertiere benötigen präzise koordinierte Bewegungen, um sich effizient durch offene Gewässer zu bewegen. Quallen, die vorwärts schwimmen, indem sie ihren Schirm zusammenziehen und Wasser ausstoßen, müssen außerdem auf Sinnesreize an der Außenhaut ihres glockenförmigen Körpers reagieren, um Jagd oder Flucht einzuleiten. Wie sie ihre einfachen Nervennetze zur Muskelaktivierung nutzen, ist bisher nicht genau verstanden.
Anhand eines mathematischen Modells haben Fabian Pallasdies und Kolleg*innen aus der Arbeitsgruppe Theoretische Neurophysiologie von Prof. Dr. Susanne Schreiber am Institut für Biologie der Humboldt-Universität zu Berlin (HU) nun die Kopplung von neuronaler Aktivität und motorischer Reaktion bei diesen Schwimmbewegungen untersucht. In ihrer Studie, die in der Fachzeitschrift Journal of Neuroscience erschienen ist, decken sie das ausgeklügelte zeitliche Zusammenspiel von Nerven- und Muskelzellen auf, welches eine schnelle Kontraktion der Muskeln bewirkt und Quallen so ermöglicht, stabil und taumelfrei zu schwimmen. Die Studie liefert ein seltenes Beispiel für eine vollständige mechanistische Erklärung des Verhaltens von Tieren - von den biophysikalischen Eigenschaften der einzelnen Zellen bis hin zur Bewegung des gesamten Körpers.
Kombination von Nerven-, Muskel- und fluid-mechanischer Simulation
Für ihre Studie nutzten die Forschenden ein mathematisches Modell, das nicht nur die elektrische Aktivität des Nerven- und Muskelsystems der Rotaugen-Qualle simuliert, sondern auch den glockenförmigen Körper des Tieres und wie dieser während des Schwimmens mit dem Wasser in Wechselwirkung tritt. Diese Kombination aus Nerven-, Muskel- und fluid-mechanischer Simulation zeigte, dass es insbesondere die schnelle, symmetrische Muskelkontraktion ist, die Quallen beim Schwimmen stabilisiert. Anhand der Simulation lässt sich außerdem erkennen, wie die Muskelkontraktion erreicht wird: Wird die Qualle an einer beliebigen Stelle ihres Körpers stimuliert, ziehen sich die ringförmigen, um den Körper verlaufenden Muskelstränge zusammen, um Wasser aus dem vom Quallenkörper umschlossenen Bereich nach außen wegzustoßen und so vorwärts zu schwimmen. Dafür wird der Muskelring elektrisch aktiviert. Dies geschieht durch den Nervenring, in welchem sich die elektrische Aktivität zunächst ausbreitet und dann die angekoppelten Muskelzellen anregt.
Doch wie spielen Nerven- und Muskelzellen zusammen, um das notwendige Tempo bei der Muskelkontraktion zu erzielen? „Im denkbar einfachsten Fall würde sich die elektrische Erregung in eine Richtung einmal im Kreis über den gesamten Ring ausbreiten“, sagt Susanne Schreiber, Leiterin der Arbeitsgruppe. „Doch dann würde die Kontraktion zu lange dauern, die Qualle würde ins Taumeln geraten.“ Selbst wenn sich die elektrische Aktivität vom Stimulationspunkt aus in zwei Richtungen gleichzeitig bewegen und damit die Zeitspanne bis zur Aktivierung der Muskeln halbieren würde, das zeigten die Simulationen, sei das nicht ausreichend, um die Schwimmbewegungen zu stabilisieren.
Eleganter Erregungs-Mechanismus ermöglicht rasche Muskelkontraktion
Die Forschenden decken in ihrer Studie auf, dass Quallen ein elegantes Prinzip nutzen, um die Zeitspanne der Muskelkontraktion deutlich zu reduzieren: Die elektrische Erregung breitet sich vom Stimulationspunkt im Nervenring zunächst in zwei Richtungen aus. Anfangs ist diese Aktivität der Nervenzellen noch zu schwach, um die Muskeln zu stimulieren. Erst im Laufe der Ausbreitung synchronisieren sich die elektrischen Signale im Nervenring und reichen dann erst aus, um die Muskelzellen „zu zünden“. In der Folge breiten sich nun vier Aktivitätswellen im Muskelring aus (von beiden Zündpunkten aus in beide Richtungen). Damit reduziert sich die gesamte Zeitspanne bis alle Muskeln im Ring aktiviert werden auf etwa ein Viertel. Außerdem ist die Muskelaktivierung symmetrischer, was eine geradlinigere Bewegung ermöglicht.
„Die Simulation der Schwimmbewegung der Qualle belegt, dass nur bei einer Nervenzell-Muskel-Kopplung, die dieses vierfache Ausbreitungsprinzip unterstützt, die Schwimmbewegung stabil möglich ist“, sagt Schreiber. Die Studie zeige außerdem, wie wichtig es ist, den direkten Zusammenhang zwischen den Eigenschaften der einzelnen Nervenzellen, den Muskelzellen und dem Verhalten des Tieres in seiner natürlichen Umgebung zu berücksichtigen. „Bei Tieren mit weniger komplexen Nervensystemen wie der Qualle ist dies dank mathematischer Simulation nun möglich und so können Mechanismen entdeckt werden, mittels derer Nervenzellen mit ihren Eigenschaften eine direkte Auswirkung auf das Verhalten haben.“
HU Berlin
Originalpublikation:
Fabian Pallasdies, Philipp Norton, Jan-Hendrik Schleimer, Susanne Schreiber: Neuronal Synchronization and Bidirectional Activity Spread Explain Efficient Swimming in a Whole-Body Model of Hydrozoan Jellyfish, Journal of Neuroscience 14 May 2025, 45 (20) e1370242025; DOI: 10.1523/JNEUROSCI.1370-24.2025, https://www.jneurosci.org/content/45/20/e1370242025